Karl Nehammer: "Krisen dürfen unsere Werte nicht verwässern!"
Inhalt
- Positionierung in der Mitte
- Kritik für Burgergate
- Duell ums Kanzleramt
- Klimaschutz: "Jeder kann einen Unterschied machen"
- Keine Erhöhung des Pensionsantrittsalters, aber …
- Russland, Sicherheit & Migration
- Inflation & Teuerung
- Bundeskanzleramt braucht Stabilität
- "Man muss mit jedem sprechen"
Die Österreichische Volkspartei steht vor einem Wendepunkt. Mit dem Rückzug etlicher Kurz-Vertrauter und dem voraussichtlichen Sitzverlust im Nationalrat stellt sich die Frage: Wie viel Türkis steckt noch im Schwarz? Parteichef Karl Nehammer betont die Stärke der Bünde, die interne Neuausrichtung wirft dennoch Fragen auf. Kann sich die ÖVP glaubhaft als Partei der Mitte positionieren?
Positionierung in der Mitte
Im kommenden Nationalrat werden voraussichtlich weniger ÖVP-Abgeordnete sitzen. Zudem verlassen viele “Kurz-Vertraute” die politische Bühne. Wieviel Türkis steckt noch im Schwarz? Übernehmen jetzt wieder die Bünde die Partei?
Karl Nehammer: Die Breite der Volkspartei ist unsere größte Stärke! Ich bin froh, dass wir sechs starke Teilorganisationen haben, die die Gesellschaft abbilden und unterschiedliche Zugänge und Perspektiven einbringen. Die Volkspartei ist eine vielfältige, aber geeinte Partei der Mitte, Vernunft und Stabilität. Das ist entscheidend, nicht irgendwelche Farbenspiele.
Die Wirtschaftspolitik der ÖVP wird oft als zu unternehmensfreundlich kritisiert. Was sagen Sie den Arbeitnehmern, die das Gefühl haben, vergessen zu werden?
Karl Nehammer: Ich halte nichts davon, unterschiedliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Ganz im Gegenteil: Wir stehen für Entlastung und Steuersenkungen. Wir stehen für mehr Netto vom Brutto. Deshalb wollen wir zum Beispiel alle Überstunden von der Steuer befreien und einen Vollzeitbonus. Die Kalte Progression – den schleichenden Lohnfraß – haben wir schon abgeschafft. All das kommt den Arbeitnehmern zugute.
Kritik für Burgergate
Besonders heftig in die Kritik geraten ist die ÖVP mit ihrer Inflationspolitik und dem Umgang damit – Stichwort Burgergate und Co. Was hätte man rückblickend anders oder besser machen können?
Karl Nehammer: Natürlich kann man im Nachhinein immer manches besser machen! Aber denken wir daran, welche Situation wir hatten. Die Krisen der vergangenen Jahre, die Pandemie und der Krieg in der Ukraine, haben die Inflation international befeuert. Unser Zugang war immer, dass wir die Kaufkraft der Menschen erhalten wollen. Denn wir haben immer gewusst: Die Inflation geht, die Kaufkraft bleibt. So ist es jetzt auch eingetreten.
Duell ums Kanzleramt
Sie haben ein Kanzlerduell ausgerufen. Kopiert man jetzt einfach FPÖ-Themen? Wie hart wird das Match um den Chefsessel in der Regierung?
Karl Nehammer: Ich habe ein völlig anderes Politikverständnis als Herbert Kickl: Die FPÖ lebt von Problemen, die Volkspartei löst Probleme. Bei der kommenden Wahl geht es darum, die Weichen für die nächsten Jahre zu stellen. Österreich braucht eine Politik der Mitte – und keine Radikalen, die vieles versprechen, aber nichts halten können. Ich bin überzeugt, dass wir die besten Ideen für die Zukunft haben. Herbert Kickl hat noch kein einziges Problem gelöst.
Welches Problem in Österreich muss die neue Regierung sofort angehen?
Karl Nehammer: Nach Jahren der Krise gilt es, unseren Wirtschaftsstandort für die Zukunft zu stärken. Das Land braucht Zuversicht und eine Politik, die die Eigenständigkeit und auch die Eigenverantwortung der Menschen stärkt. Dafür stehen wir.
Welche drei Maßnahmen würden Sie umsetzen, wenn Ihre Partei die absolute Mehrheit im Nationalrat hätte?
Karl Nehammer: Ich will dafür sorgen, dass den Themen Leistung, Familie und Sicherheit der Vorrang gegeben wird, der ihnen gebührt. Konkret braucht es steuerfreie Überstunden und einen 1.000-Euro-Vollzeitbonus für die arbeitenden Menschen, die Messengerdienst-Überwachung im Kampf gegen Terrorismus und 700 zusätzliche Kassenarztstellen im Einklang mit einem Ausbau der Gesundheitszentren.
Klimaschutz: "Jeder kann einen Unterschied machen"
Wie kann man den Spagat zwischen Klimaschutz und persönlicher Mobilität schaffen?
Karl Nehammer: Wir stehen hier für Technologieoffenheit. Es gibt vielversprechende Technologien wie den Grünen Verbrenner, die die Mobilität in Zukunft stark prägen können. Mit einer rigiden Verbotspolitik erreicht man nichts für den Klimaschutz.
Was tun Sie persönlich für den Klimaschutz?
Karl Nehammer: Ich gehe achtsam mit unserer Umwelt um. Das kann jeder von uns tun, um einen kleinen, persönlichen Unterschied zu machen.
Die besseren Technologien sollen und werden sich durchsetzen. Deshalb brauchen wir Technologieoffenheit, die Freiheit der Forschung und keine Verbote. #puls4 #atv #kronetv— Karl Nehammer (@karlnehammer) September 22, 2024
Keine Erhöhung des Pensionsantrittsalters, aber …
Würde es mit Ihnen in einer Regierung zu einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters kommen?
Karl Nehammer: Nein. Stattdessen müssen wir schauen, dass das faktische Pensionsantrittsalter an das gesetzliche herangeführt wird. Zudem möchte ich all jenen, die freiwillig länger arbeiten wollen, finanzielle Anreize bieten. Es macht keinen Sinn, dass jemand, der bereits das Pensionsantrittsalter erreicht hat, immer noch Beiträge bezahlt.
Russland, Sicherheit & Migration
Wie stehen Sie zu den aktuellen Sanktionen gegen Russland und deren wirtschaftlichen Auswirkungen auf Österreich?
Karl Nehammer: Man muss bedenken, dass Produkte wie Gas und viele andere Rohstoffe keinen Sanktionen unterliegen. Wenn hier weniger geliefert wird, liegt das nicht an Sanktionen, sondern an einer absichtlichen Lieferverknappung durch Russland.
Was würden Sie Wladimir Putin bei einem Gespräch in einem Kaffeehaus sagen?
Karl Nehammer: Dass sein Angriffskrieg gegen die Ukraine beendet werden muss und er seine Ziele militärisch nicht erreichen kann.
Festung Österreich oder offene Grenzen?
Karl Nehammer: Weder noch. Der optimale Fall sind offene Grenzen zu unseren europäischen Nachbarn und harte europäische Außengrenzen, durch die keine illegale Migration stattfinden kann. Solange die Außengrenzen nicht ausreichend geschützt sind, müssen wir auch innerhalb Europas kontrollieren.
Wie viel Zuwanderung und welche verträgt Österreich?
Karl Nehammer: Man muss zwischen illegaler Migration ins Sozialsystem und legaler Migration von qualifizierten Fachkräften in den Arbeitsmarkt unterscheiden. Illegale Migration muss gestoppt werden. Dagegen muss der Zuzug von Fachkräften, die unsere Wirtschaft stärken und unser Pflegesystem zukunftsfit halten, entbürokratisiert werden.
Inflation & Teuerung
Es gibt immer mehr unzufriedene Bürger. Was sagen Sie den Menschen, die sagen: „Politiker kümmern sich nicht um uns?”
Karl Nehammer: Ich lebe und arbeite dafür, das Leben der Menschen in Österreich jeden Tag ein Stück besser zu machen. Ich weiß, dass wir durch harte Zeiten gegangen sind. Ich gebe jeden Tag mein Bestes, dass sich auch die Menschen, die sich von der Politik abgewandt haben, wieder vertreten und wertgeschätzt fühlen.
Vor allem Inflation und Teuerung machen vielen zu schaffen. Müssen wir uns an einen Wohlstandsverlust gewöhnen?
Karl Nehammer: Nein. Die Inflation ist bereits stark gesunken und hat fast den Zielwert der Europäischen Zentralbank erreicht. Zudem haben wir dafür gesorgt, dass die Kaufkraft auch in Zeiten hoher Inflation stabil geblieben ist.
Bundeskanzleramt braucht Stabilität
Was ist die wichtigste Eigenschaft, die ein Bundeskanzler/in mitbringen muss?
Karl Nehammer: Stabilität. Das ist auch der Grund, warum Populisten vom rechten und linken Rand vollkommen ungeeignet für dieses Amt sind. Denn ihre Achillesferse ist, dass sie politisch gar nicht dazu in der Lage sind, schwierige Entscheidungen zu treffen.
Die letzten Jahre waren von verschiedenen Krisen geprägt. Was haben Sie aus dieser Zeit persönlich und politisch mitgenommen?
Karl Nehammer: Man lernt persönlich wie politisch, was es bedeutet, Verantwortung für neun Millionen Menschen zu übernehmen. Mit dieser Verantwortung spielt man nicht.
"Man muss mit jedem sprechen"
Spaltung der Gesellschaft und aufgeheizte politische Debatte: Was werden Sie persönlich in der kommenden Legislaturperiode tun, um das politische Klima zu verbessern?
Karl Nehammer: Das liegt in den Händen der Wählerinnen und Wähler. Diese Wahl ist auch eine Richtungsentscheidung zwischen extremem rechten und linken Populismus und einer vernünftigen Politik der Mitte. Ich persönlich werde immer dafür einstehen, miteinander im Gespräch zu bleiben und jedem mit Respekt zu begegnen.
Mit welchem österreichischen Politiker – der nicht aus Ihrer Partei stammt – würden Sie auf ein Achterl Wein gehen?
Karl Nehammer: Ich mache das regelmäßig. Es ist immer wichtig, auch mit Politikerinnen und Politikern aus anderen Parteien im Gespräch zu bleiben. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, für die Menschen zu arbeiten. Wenn man partout nicht miteinander sprechen würde, wäre niemandem geholfen.
Das Interview wurde in schriftlicher Form geführt.