Andreas Babler: "Von Festungen bleiben nur Ruinen"
Inhalt
- Wähler laufen zur FPÖ über
- Machtkämpfe in der SPÖ
- Budgetpläne und Reichensteuer
- Migration & Asyl
- Die wichtigsten Ziele
- Klimaschutz
- Pensionsantrittsalter: Keine Anhebung nötig
- Russland und die Sanktionen
- Krisenerprobter Bürgermeister
- Austausch ist Tagesgeschäft
Verliert die SPÖ ihre Stammwähler? Mit den kommenden Wahlen rückt die Frage näher. SPÖ-Chef Andreas Babler steht doppelt unter Druck: Während ehemalige Stammwähler zur FPÖ überlaufen, lassen die internen Machtkämpfe nicht nach. Hat die Sozialdemokratie noch ein Rezept gegen den Rechtsruck und für die Lösung der Migrationskrise? Babler zeigt sich optimistisch. Der Hoffnungsträger des linken Flügels will mit klaren Konzepten gegensteuern.
Wähler laufen zur FPÖ über
Die SPÖ ist traditionell die Partei der Arbeiter, aber bei der letzten Wahl haben viele von ihnen die FPÖ gewählt. Was läuft falsch?
Andreas Babler: Rechte Kräfte bedrohen zusehends wichtige demokratische Werte, wie zum Beispiel die Pressefreiheit oder das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Diese Entwicklungen machen auch vor Österreich nicht halt und führen zusammen mit der verfehlten und unsozialen Regierungspolitik dazu, dass auch in Österreich das Vertrauen der Menschen in die Demokratie schwindet. Aber wir ändern das! Und alle Menschen, die mit mir auf Tour gehen, erleben das hautnah: Die Sozialdemokratie füllt wieder Säle und Plätze! Ich tausche mich mit so vielen Menschen wie möglich aus. Es wird wieder darüber diskutiert, was wirklich wichtig ist. Millionärssteuern zum Beispiel. Wenn wir die Chance bekommen, unser Steuerkonzept umzusetzen, werden 98 Prozent der Menschen in Österreich davon profitieren. Millionenvermögen und Millionenerbschaften werden einen gerechten Beitrag leisten. Ich trete an, um Österreich wieder gerechter zu machen.
Machtkämpfe in der SPÖ
Wieso hört man immer nur von der SPÖ von inneren Machtkämpfen? Was ist Ihre Ultima Ratio, um Ihnen Herr zu werden?
Andreas Babler: Ich kann verstehen, dass über manche Aktionen großer Unmut herrscht. Wie Sie im Fall Luger schon gesehen haben, kann man sich aber darauf verlassen, dass ich klare Worte spreche und nötigenfalls auch Konsequenzen einfordere. Ich bin angetreten, weil ich Politik als Instrument begreife, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Machtspiele oder wer in welchem Chefsessel Platz nehmen darf, interessieren mich nicht.
Budgetpläne und Reichensteuer
Sie fordern zahlreiche Maßnahmen, die das Budget weiter belasten würden. Wie sollen die neuen Ausgaben gegenfinanziert werden?
Andreas Babler: Die SPÖ ist die einzige Partei, die konkret sagt, wie sie das österreichische Budget wieder in den Griff bekommen möchte. ÖVP und Grüne haben in den letzten Jahren neue Ausgaben am laufenden Band getätigt. Keine einzige davon war gegenfinanziert. Jetzt hinterlässt man einen Scherbenhaufen. 150 Spitzenpositionen wurden in den Ministerien durch ÖVP, FPÖ und Grüne in den letzten Jahren geschaffen. Diese wollen wir wieder einsparen. Steuergeschenke an Konzerne wollen wir zurücknehmen und Multimillionenvermögen gerecht besteuern – wie das in anderen Ländern Europas üblich ist.
Die SPÖ fordert immer wieder höhere Steuern, vor allem für Reiche. Ist das die Lösung für alles oder schafft man sich damit nicht doch eher neue Probleme, wie die Abwanderung von Unternehmen und Investitionen?
Andreas Babler: Die Millionärssteuermodelle der SPÖ sind wohl überlegt, durchgerechnet und orientieren sich an internationalen Vorbildern. Die Millionärssteuer orientiert sich am Vorbild Schweiz – die Einnahmen in der Schweiz betragen rund 1 Prozent des BIP – das wären für Österreich 5 Milliarden Euro jährlich. Damit könnte man flächendeckend kostenlose Kinderbetreuungsangebote bieten sowie den Pflegenotstand bekämpfen. Bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer wird nur Millionenvermögen besteuert, das Eigenheim bleibt steuerfrei, genauso wie der Großteil der Betriebsübergaben – hier orientieren wir uns am deutschen Modell. Weder in der Schweiz noch in Deutschland sind Investitionen durch diese Steuern ausgeblieben oder gar Unternehmen abgewandert. Das sind lediglich Scheinargumente.
Migration & Asyl
Hat die SPÖ in punkto Migration zu spät „umgedacht“?
Andreas Babler: Nein. Im Gegenteil. Als einzige Partei haben wir seit langem ein Konzept. Das Kaiser-Doskozil-Papier wurde bereits 2018 der Öffentlichkeit präsentiert und seitdem neuen Gegebenheiten angepasst. Unser Prinzip lautet „Menschlichkeit und Ordnung“. Zur Umsetzung zählt hier die Integration ab dem ersten Tag und eine möglichst rasche Entscheidung in den Verfahren. Sollte kein Aufenthaltstitel möglich sein, müssen die Menschen das Land wieder verlassen oder außer Landes gebracht werden, und wir wollen die faire Verteilung von Asylwerber*innen innerhalb der EU.
Festung Österreich oder offene Grenzen?
Andreas Babler: Die Geschichte hat uns gelehrt, dass von Festungen nur Ruinen überbleiben. Wir brauchen keine Skandalisierungen, sondern pragmatische Lösungen. ÖVP und FPÖ produzieren nur schreiende Überschriften, aber damit lösen sie keine Probleme. Im Gegenteil, damit vergrößern sie diese nur. Die SPÖ bekennt sich zum Menschenrecht Asyl. Für uns ist klar: Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten, muss geholfen werden. Dieses Grundrecht darf niemals hinterfragt werden. Gleichzeitig sind wir aber auch die einzige Partei, die in der Asyl- und Migrationspolitik Lösungen hat und auf Ordnung setzt: So braucht es eine faire Verteilung in der EU, die auch mit Sanktionen durchgesetzt werden muss, und schnelle Verfahren an den EU-Außengrenzen statt endloser Verfahren in Österreich. Wir wollen unrechtmäßige Aufenthalte reduzieren und Rückführungsabkommen verhandeln – all das hat die aktuelle Regierung verabsäumt.
Wie viel Zuwanderung und welche verträgt Österreich?
Andreas Babler: Die österreichische Gesellschaft schrumpft ohne Zuwanderung. Alleine deshalb ist sie wichtig, um unser Gesundheits-, Sozial- und Pensionssystem zu erhalten. Zugleich bedeutet die gezielte Zuwanderung anhand der Kriterien des Arbeitsmarkts eine Gestaltungsmöglichkeit im Bereich der Migration an sich, aber auch eine Chance für Geflüchtete, wenn wir einen Spurwechsel zwischen einem Schutztitel und dem Aufenthalt aufgrund der Arbeit erleichtern. Angesichts des herrschenden Personalmangels auf vielen Ebenen ist dies keine Frage der Verträglichkeit, sondern eine Notwendigkeit. So herrscht beispielsweise ein akuter Fachkräftemangel in der Elektroindustrie. Derzeit fehlen alleine in diesem Bereich rund 13.800 Fachkräfte, jede vierte Stelle bleibt unbesetzt.
Die wichtigsten Ziele
Welches Problem in Österreich muss die neue Regierung sofort angehen?
Andreas Babler: Von einem sozial gerechten Steuersystem über bessere Teilhabe, Gleichstellungsmaßnahmen und verstärkte Integration, bis hin zu einer Kindergrundsicherung und einem armutsfesten Auffangnetz sind viele Maßnahmen dringend erforderlich, damit in unserer Gesellschaft soziale Ungleichheiten beseitigt werden. Die aktuelle Regierung war hier mehr als säumig. Österreich braucht wieder eine Politik, die wirklich für die Menschen arbeitet – und dafür steht eine starke SPÖ. Nur wir werden das Leben für alle wieder leichter und leistbarer machen.
Welche drei Maßnahmen würden Sie umsetzen, wenn Ihre Partei die absolute Mehrheit im Nationalrat hätte?
Andreas Babler: Ich würde die Kindergrundsicherung umsetzen, um Kinderarmut in Österreich endgültig abzuschaffen. Für den Kampf gegen die Teuerung ist auch das Einfrieren der Mieten bis Ende 2026 wichtig. Zweitens würde ich unser Gesundheitssystem wieder aufbauen: Es braucht dringend mehr Kassenärzt*innen. Und drittens würde ich das Steuer- und Abgabensystem fairer gestalten. Österreich soll nicht länger zu jenen Ländern mit der höchsten Steuer auf Arbeitseinkommen und den geringsten Steuern für Millionenvermögen und -erbschaften zählen. Daher braucht es dringend eine gerechte Millionärssteuer.
Klimaschutz
Wie kann man den Spagat zwischen Klimaschutz und persönlicher Mobilität schaffen?
Andreas Babler: Die Politik ist dazu da, Rahmenbedingungen für ein klimafreundliches Leben zu schaffen, anstatt mit dem Zeigefinger auf Leute zu zeigen, die auf das Pendeln angewiesen sind, weil der öffentliche Verkehr nicht ausgebaut ist. Wichtig ist deshalb, dass sich das Angebot an öffentlichen Verbindungen – gerade auch im ländlichen Bereich – erhöht und es auch den Gemeinden möglich ist, einen entsprechenden Mikroverkehr wie zum Beispiel Sammeltaxis oder Ruf-Busse anzubieten.
Was tun Sie persönlich für den Klimaschutz?
Andreas Babler: Privat bemühe ich mich, das Auto nur dann zu verwenden, wenn es notwendig ist. Ich versuche Kurzstrecken mit dem Auto zu vermeiden und die Tempolimits freiwillig zu unterschreiten. Wann immer es geht, benutze ich die öffentlichen Verkehrsmittel und mein Fahrrad oder gehe einfach zu Fuß. Wichtig ist mir auch, regional und biologisch einzukaufen. Das ist nicht nur gesünder, sondern verbessert auch den persönlichen CO2-Fußabdruck. Wenngleich ich betonen möchte: Ich bin dagegen, die Verantwortung für einen intakten Planeten an Einzelne abzuschieben. Die Politik muss der profitgetriebenen Erderhitzung Einhalt gebieten.
Pensionsantrittsalter: Keine Anhebung nötig
Würde es mit Ihnen in einer Regierung zu einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters kommen?
Andreas Babler: Nein. Wir lehnen eine weitere Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters ab. Erstens, weil es nicht notwendig ist, denn das öffentliche Pensionssystem ist sicher und finanzierbar. Das zeigt auch der jüngste „EU-Ageing-Report" – die Ausgaben bleiben stabil. Zweitens gehen schon jetzt vor allem viele Frauen, aber auch Männer, nicht aus der Erwerbstätigkeit heraus in Pension, sondern aus dem Krankenstand oder aus der Arbeitslosigkeit. Bevor die Wirtschaft also ein Anheben des Pensionsalters fordert, müssen wir über alternsgerechte Arbeitsbedingungen reden, da jetzt schon häufig ein Arbeiten bis zum Pensionsalter nicht möglich ist.
Russland und die Sanktionen
Wie stehen Sie zu den aktuellen Sanktionen gegen Russland und deren wirtschaftliche Auswirkungen auf Österreich?
Andreas Babler: Seit über zwei Jahren herrschen Krieg, Verzweiflung und Not in weiten Teilen der Ukraine, der Krieg forderte laut UN bereits über 11.000 zivile Opfer, darunter auch rund 600 Kinder, Millionen Menschen mussten flüchten. Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Notwendig sind eine enge Zusammenarbeit und ein geeintes Auftreten der EU-Mitgliedstaaten, wirksame Sanktionen, die nicht umgangen werden können, sowie die Unabhängigkeit Österreichs von russischem Gas. Wir setzen uns von Beginn des Kriegs an für umfassendes humanitäres Engagement Österreichs zur Unterstützung der Ukraine und ihrer Bevölkerung ein. Wir bekennen uns auch zur Notwendigkeit eines nachhaltigen Wiederaufbaus der Ukraine. Zugleich setzen wir uns für das Offenhalten von Gesprächskanälen für Verhandlungen ein, um zu einem Ende des Kriegs zu finden.
Was würden Sie Wladimir Putin bei einem Gespräch in einem Kaffeehaus sagen?
Andreas Babler: Ich würde Putin nicht in einem Kaffeehaus treffen wollen, sondern als Bundeskanzler von Österreich. Österreichs Außenpolitik hat sich in den letzten Jahren auf Beobachten, Kommentieren und passiv Reagieren beschränkt. Dabei muss sich Österreich friedenspolitisch wieder stärker engagieren und eine aktive Neutralitätspolitik leben. In unserer Neutralität liegt eine große Chance. Ich würde mich für ein Offenhalten der Gesprächskanäle einsetzen, um einen Weg zu Verhandlungen und zu einem Ende des Kriegs zu finden.
Krisenerprobter Bürgermeister
Die letzten Jahre waren von verschiedenen Krisen geprägt. Was haben Sie aus dieser Zeit persönlich und politisch mitgenommen?
Andreas Babler: Mir wird nachgesagt, in Krisensituationen einen kühlen Kopf zu bewahren und klare Entscheidungen zu treffen. Als Bürgermeister von Traiskirchen habe ich das in Ausnahmesituationen immer wieder unter Beweis gestellt. Gerade in Krisen braucht es eine Politik mit Herz und Hirn. Das habe ich aus den letzten Jahren für mich persönlich und politisch mitgenommen. Und ich stehe für eine Politik, die den Zusammenhalt fördert und die für eine demokratische Gesellschaft und einen sozialen Wohlfahrtsstaat steht, von dem alle Menschen profitieren.
Andi Babler handelt und koordiniert im Hochwassergebiet als Bürgermeister und Feuerwehrler von Traiskirchen👍❤️🚩👏👏 pic.twitter.com/LMt5mehwd9— Renate Jancuch🚩🇦🇹🇺🇦🇮🇱🌍 (@Reni_Klima) September 14, 2024
Austausch ist Tagesgeschäft
Mit welchem österreichischen Politiker – der nicht aus Ihrer Partei stammt – würden Sie auf ein Achterl Wein gehen?
Andreas Babler: Es gehört zu meinem Tagesgeschäft, mich mit Politiker:innen anderer Parteien auszutauschen. Das Achterl Wein steht dabei zwar nicht im Zentrum, aber um ein Beispiel zu nennen: Mit dem Lustenauer Bürgermeister Kurt Fischer von der ÖVP habe ich schon das eine oder andere Mal ein Achterl genossen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.