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weekend-Chefredakteurin Stefanie Hermann & Verteidigungsministerin Klaudia Tanner führen ein Gespräch im Büro der Ministerin in der Rossauer Kaserne
Österreich muss seine Neutralität verteidigen können, betont Verteidigungsministerin Tanner.
Österreich muss seine Neutralität verteidigen können, betont Verteidigungsministerin Tanner.
Christian Mikes / weekend

Tanner: „Krieg findet bei uns längst statt”

16.04.2025 um 15:21, Stefanie Hermann
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Verteidigungsministerin Tanner warnt: Neutralität ist nur gesichert, wenn sie verteidigt wird. Investitionen ins Bundesheer und Aufrüstung seien alternativlos.

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Die Zeit der Illusionen ist vorbei: Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) spricht im Interview über die neue Realität nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine, die Verteidigungsfähigkeit Österreichs und die Grenzen der Neutralität. Mit Nachdruck fordert sie geistige Landesverteidigung, mehr Wehrwillen – und ein Ende der sicherheitspolitischen Bequemlichkeit.

Die aktuelle Bedrohungslage

Wie fassen Sie die aktuelle Sicherheits- bzw. Bedrohungslage in Österreich zusammen?
Klaudia Tanner: Herausfordernd, weil wir einfach sehr viele Krisen, Kriege sehen. In den letzten drei Jahren, seit Beginn des Krieges Putins gegen die Ukraine, hat sich die Situation gänzlich verändert. Das führt dazu, dass wir in Österreich nachrüsten müssen – das tut aber auch ganz Europa.

Und wie beurteilen Sie in diesem Kontext die Verteidigungsfähigkeit Österreichs?
Klaudia Tanner: Wir haben mit dem Bundesverteidigungsfinanzierungsgesetz eine sehr wichtige Entscheidung getroffen. Über alle Parteigrenzen hinweg ist beschlossen worden, dass das Budget für das Verteidigungsministerium für das Bundesheer alljährlich ansteigt. Hinterlegt haben wir die budgetären Mittel mit der „Mission vorwärts“ – einem ganz genauen Aufbauplan bis ins Jahr 2032. Wir investieren in Infrastruktur, Kasernen, Ausrüstung. Wir haben unsere Kampfpanzer und Schützenpanzer zur Modernisierung geschickt, Radpanzer, eine zusätzliche Staffel von Black Hawk und Leonardo-Hubschraubern sowie LKWs beschafft. Wir rüsten in allen Bereichen nach, um verteidigungsfähig zu werden.

Österreichs Truppenstärke

Wie sieht es mit der Truppenstärke aus? Da hört man auch immer wieder, sie sei zu gering.
Klaudia Tanner: 2013 haben sich die Österreicher sehr klar für die Wehrpflicht ausgesprochen. Jährlich führen wir etwa 16.000 junge Männer durch die Stellung. In dem halben Jahr Grundwehrdienst können wir sie auch für das Bundesheer begeistern. Aber Fakt ist auch, dass wir geburtenschwache Jahrgänge haben. Wir haben einen freiwilligen Grundwehrdienst für Frauen eingeführt. Das hat auch dazu geführt, dass mittlerweile 100 zusätzliche Soldatinnen bei uns zu begrüßen sind.

Wie viele Soldaten könnte Österreich aktuell mobil machen?
Klaudia Tanner: Die Mobilmachungsstärke liegt bei 55.000.

Und wie viele sollten es sein?
Klaudia Tanner: Das ist die Truppenstärke, die plangemäß vorgesehen wäre, wenn es notwendig werden würde und sich die Lage verschärfen würde.

Geistige Landesverteidigung stärken

Es braucht wieder ein Bewusstsein für innere Wehrhaftigkeit, betont Tanner.

Das heißt, im Worst Case, wenn wir ab morgen unsere Grenzen effektiv verteidigen müssten, würde sich das ausgehen?
Klaudia Tanner: In den jetzigen Plänen sind die 55.000 da. Was viel wichtiger ist: Wir brauchen auch den entsprechenden Wehrwillen. Wer von den Österreicherinnen und Österreichern wäre bereit, das Land mit der Waffe zu verteidigen? Das ist ein sehr niedriger Prozentsatz. Diese geistige Landesverteidigung müssen wir stärken. Wir haben begonnen, sie in den Lehrplänen zu verankern.

Was soll unterrichtet werden?
Klaudia Tanner: Im Regierungsprogramm ist festgehalten, dass es ein eigenes Fach geben soll, das sich mit Fragen der Demokratie, der Notwendigkeit der geistigen Landesverteidigung beschäftigt. Wichtig ist, dass wir dieses Bewusstsein wieder aufbauen. Wir haben uns viele Jahre auf einer Insel der Seligen gewähnt.

Grundwehrdienst für Frauen: Keine Option

Verschiedene Länder haben den Grundwehrdienst für Frauen eingeführt, unter anderem Dänemark ab 2026. Wann wird das in Österreich kommen?
Klaudia Tanner: In Österreich haben wir den freiwilligen Grundwehrdienst für Frauen. Ich persönlich sehe es so: Die Frage nach einem verpflichtenden Grundwehrdienst für Frauen in Österreich ist erst dann zu stellen, wenn wir gleichberechtigt sind. Und das sind wir nicht. Wir haben nach wie vor einen Gender Pay Gap. Die meisten Care-Arbeiten werden nach wie vor noch von den Frauen ausgeübt – egal ob es um Kindererziehung, Betreuung oder Pflege geht, die ganze Hausarbeit. Die nordischen Staaten sind da schlichtweg weiter als wir.

Böse zusammengefasst könnte man sagen: „Wir haben so viel Ungleichheit, dass das ein Goodie für Frauen ist, dass sie zumindest nicht zum Heer müssen.“
Klaudia Tanner: Das Goodie für Frauen ist, dass wir sie stattdessen umwerben. Wir zeigen jungen Mädchen und Frauen, dass sie bei uns alles werden können. Wir haben Hubschrauberpilotinnen, wir haben im Panzerbereich steigende Zahlen. Wir haben schon einiges erreicht – mit Anreiz, nicht mit Druck.

Untauglichkeit entgegenwirken

Nochmal zurück zum Grundwehrdienst. Es wird immer wieder bemängelt, in welcher Form Jugendliche sind, wenn sie antreten. Macht Ihnen das Sorgen?
Klaudia Tanner: Ja, die Zahlen sind viel zu hoch, wenn man sich die Anzahl der Untauglichen anschaut. Mit 17 Jahren sind sehr viele Wege schon gelegt. Wir haben es mit Übergewicht zu tun, mit psychischen Herausforderungen, die stark zugenommen haben. Das ist eine Frage, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen: In welche Richtung wir uns in der psychischen und physischen Gesundheit bewegen?

Wenn Sie sich einen Ansatz aussuchen müssten – was wäre das Erste, was Sie tun würden, um das zu ändern?
Klaudia Tanner: Dazu ist im Regierungsprogramm im Bildungskapitel schon einiges drinnen, etwa zu Bewegung in der Schule oder Bewusstsein zu gesunder Ernährung. Aber das ist nichts, das man allein von der Politik verordnen kann. Da sind wir alle, auch in den Familien, gefordert.

So groß ist die Kriegsgefahr für Österreich

Das Risikobild 2025 schildert relativ drastisch, dass sich Europa bereits in einem Kriegszustand befände. Wie geht Österreich damit um? Was machen wir konkret?
Klaudia Tanner: Gemeint hat Brigadier Ronald Vartok insbesondere die hybriden Gefahren – das heißt Desinformationskampagnen, Fake News. Wie wir uns in Österreich oder auch innerhalb der EU vorbereiten: nachrüsten, verteidigungsfähig sein. Die Zeit der sogenannten Friedensdividende ist vorbei. Das wissen wir spätestens, seit der Krieg auf unseren Kontinent zurückgekehrt ist. Wir müssen in all diesen Bereichen investieren – von der Infrastruktur der Kasernen, über Mobilität, Bewaffnungssysteme, Kommunikationsgeräte bis Cyber Defense. An der Militärakademie Wiener Neustadt haben wir einen neuen Lehrgang ins Leben gerufen, der sich ausschließlich mit diesem Bereich beschäftigt. Dort bilden wir unsere Cyber-Offiziere aus.

Wie real ist die Bedrohung durch hybride Kriegsführung?
Klaudia Tanner: Sehr real. Krieg findet nicht nur dort statt, wo man ihn sieht. Fake News, Desinformationskampagnen sind Teil moderner Kriegsführung. Es gibt gezielte Angriffe – vor allem im Vorfeld von Wahlen. Auch bei uns. Falsche Information verändert Gesellschaften. Gerade von russischer Seite sehen wir massive Aktivitäten in sozialen Medien.

Vom Cyberraum zum Greifbareren: Wie vorstellbar ist es für Sie, dass es zu einem bewaffneten Konflikt auf europäischem Boden kommt?
Klaudia Tanner: Es gibt Militärexperten, die Wahrscheinlichkeiten nennen. Das würde ich nicht machen. Fakt ist: Wir müssen uns vorbereiten. Verteidigungsfähig zu sein – gerade auch als neutraler Staat – steht in unserer Verfassung. Unsere Neutralität mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auch zu verteidigen.

Rossauer Kaserne, Wien, Österreich  Gespräch mit Außenministerin Beate Meinl-Reisinger und Bundesministerin für Landesverteidigung Klaudia Tanner  am 10. März  2025
Verteidigungs- und Außenministerium stehen in enger Abstimmung zur neuen Rolle Österreichs.

Neutralität verteidigen

Zur Neutralität: Nicht erst mit Sky Shield und der aktuellen Debatte oder Sicherheitslage rückt das Thema wieder in den Fokus. Hat sich das Konzept überholt?
Klaudia Tanner: Wir sind militärisch neutral, aber kein außenpolitischer Zuseher. Wir leisten unseren Beitrag bei Friedensmissionen und in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir sind ein glaubwürdiger Partner innerhalb dieser Politik. Daher finde ich es richtig, militärisch neutral zu sein, aber auch aktiv mitzuwirken.

Wie weit schützt uns die Neutralität?
Klaudia Tanner: Neutralität schützt uns nur, wenn wir sie auch verteidigen können. In der Vergangenheit haben wir auf die Mittel zur Verteidigung vergessen, weil wir uns auf einer Insel der Seligen gefühlt haben. Was uns schützt, ist ein gut ausgestattetes, modernes Bundesheer. Auf diesem Weg sind wir – mit dem Aufbauplan 2032 plus und mit der Mission vorwärts. Wichtig ist: Wir müssen die Neutralität verteidigen können und gleichzeitig ein vertrauenswürdiger Partner in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bleiben.

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