"Mangelnder Arbeitswille": Wirbel nach Mahrers ZIB2-Auftritt
Der Fachkräftemangel bringt einzelne Industriezweige bereits seit Jahren unter Zugzwang. Jetzt weitet sich das Problem auf immer mehr Branchen aus. Wirft man einen Blick auf die Zahlen dahinter, offenbart sich eine Schieflage. Aktuell sind beim AMS 370.000 Arbeitslose gemeldet - dreimal so viele wie es offene Stellen geben würde.
Staatliche Maßnahmen gegen "Mismatch"
"Ja, es gibt einen Unterschied zwischen den Arbeitslosen und den offenen Stellen", bestätigt Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer bei Armin Wolf in der ZIB2. Offene Stellen seien häufig in einem Bundesland, Menschen aber in einem anderen. Dieses "Mismatch" sei bekannt. Um es zu beheben, gebe es Stellschrauben, an denen man drehen könne, so Mahrer, der staatliche Maßnahmen fordert.
Mahrer ortet mangelnden Arbeitswillen
Auf Wolfs Nachfrage, dass auch Arbeitgeber eventuell versuchen müssten, attraktiver zu werden - Stichtort Homeoffice, höhere Löhne, Kinderbetreuung und bessere Arbeitsbedingungen - geht Mahrer nicht ein. Das größte Problem ortet er hingegen in mangelndem Arbeitswillen. Viele Betriebe würden bereits über Kollektivvertrag zahlen. Das Thema sei, dass viele Menschen weniger arbeiten wollen. "Das wird sich aber pro futura nicht ausgehen und geht sich schon jetzt nicht aus", so Mahrer.
Baustelle Kinderbetreuung
Fakt ist, dass Österreich im europäischen Vergleich bereits heute eine deutlich höhere Teilzeitquote. Nicht nur für Arbeitgeber ist das ein Problem. Ein Hauptgrund, weshalb vor allem viel Frauen teils ungewollt in Teilzeit arbeiten, ist mangelnde Kinderbetreuung. Ein Thema, das auch Wolf anspricht. "Da brechen Sie mit mir gemeinsam eine Lanze", so Mahrer. "Sie wissen, seit vielen Jahren bin ich für eine Verbesserung in der Kinderbetreuung." Bereits in der Sendung macht Wolf Mahrer auf den Widerspruch aufmerksam.
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Uns fehlen in allen Bundesländern und in allen Branchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zehntausende offene Stellen können derzeit nicht besetzt werden – von Ärztinnen und Köchen über Programmiererinnen bis zu Kindergärtnern. Bis zum Jahr 2040 bedeuten das 363.000 offenen Stellen. Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, kostet uns das 150 Mrd. Euro. Um dem #Fachkräftemangel entgegenzutreten, braucht es: 1. Anreize für Arbeiten über das Regelpensionsalter hinaus 2. Ausbau der Kinderbetreuung 3. Projekte für die qualifizierte Zuwanderung 4. Erhöhung der steuerfreien ÜberstundenGepostet von Harald Mahrer am Dienstag, 21. März 2023
Mahrer: Vollzeit muss sich lohnen
Mahrer sei immerhin einer der mächtigsten ÖVP-Politiker. "Und gerade Ihre Partei, die ÖVP, wehrt sich seit Jahren gegen mehr Ganztagsschule und gegen einen Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung", so Wolf. Es gebe viele ÖVP-Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sowie Landeshauptleute, die Anstrengungen in diese Richtung unternehmen würde, so Mahrer. Auch die Wirtschaft habe viele Kinderbetreuungseinrichtungen auf die Beine gestellt. Das Problem ortet Mahrer anderorts: "Wenn jemand Teilzeit arbeitet und sagt, ich würde gerne aufstocken auf Vollzeit [...], dann will man natürlich, dass dann mehr Netto von Brutto überbleibt und dass dieses Netto nicht durch die Kinderbetreuungskosten aufgefressen wird." Dass es nicht in allen Bundesländern eine Gratis-Kindergartenbetreuung am Nachmittag gebe, bräuchte schnell eine Lösung.
Vergangenheit holt Mahrer ein
"Wirtschaftsforscher Badelt hat erst vorletzte Pressestunde gesagt, es ist schon beinahe lächerlich, wie lange schon über die Verbesserung der Kinderbetreuung geredet wird", so Wolf. Der Wirtschaftsbund sei innerhalb der ÖVP nicht durchsetzungsschwach. "Warum können Sie sich denn da nicht durchsetzen?" Mahrer versucht die fehlende Lösung abzuwälzen. Auch wenn die SPÖ Koalitionspartner wäre - jeder habe so seine Vorstellungen, bleibt Mahrer vage. Gerade die SPÖ jedoch fordert seit Jahren den Ausbau. Zuletzt sind die Koalitionsverhandlungen in Niederösterreich unter anderem an diesem Punkt gescheitert.
Harald Mahrer redet über das ‚dicke Brett‘ Kinderbetreuung. Als er mein Gegenüber als Regierungskoordinator war, schrieb @sebastiankurz: ‚Kann ich ein Bundesland aufhetzen?‘ #ZiB2— thomas drozda (@thomasdrozda) March 21, 2023
Kurz torpedierte Kinderbetreuung
Dabei saß Mahrer von 2014 bis 2017 als Wirtschaftsminister in einer Koalition mit der SPÖ. Just aus dieser Zeit sind im Zuge der Ermittlungen rund um Thomas Schmidt Chats mit dem späteren ÖVP-Bundesobmann und Kanzler Sebastian Kurz aufgetaucht. Die Nachrichten legen nahe, dass er die flächendeckende Kinderbetreuung aus Machtinteressen torpedierte. Zur Erinnerung: 2016 plante die rot-schwarze Regierung ein 1,2 Milliarden schweres Paket zum Ausbau der Ganztagsschule. "Gar nicht gut!", befand Kurz den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in einem Chat. "Ich terrorisiere gerade Mahrer und Kaszanits [damaliger Kabinettschef im Wirtschaftsministerium Mitterlehner, Anm.] und mache denen das klar", ließ Schmidt daraufhin wissen. Mahrer war 2014 bis 2017 Staatsekretär im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Nach Mitterlehners Rücktritt 2017 übernahm er als Wirtschaftsminister.