Tourismus-Staatsekretärin: "Wir haben Leistung verlernt"
weekend: Im Tourismus und in der Gastronomie gibt es aktuell extreme Personalprobleme. Worauf führen Sie das zurück?
Susanne Kraus-Winkler: Es gibt deutlich weniger Arbeitslose in Beherbergung und Gastronomie und mehr Beschäftigte als 2019. Trotzdem existieren mehr offene Stellen. Der Tourismus in Österreich hat sich entwickelt, Qualität und Komplexität sind gestiegen. Hinzu kommt der Strukturwandel am Arbeitsmarkt. Viele Leute überlegen sich, wie sie ihre Work-Life-Balance definieren. Dadurch ergibt sich ein erhöhter Personalbedarf.
weekend: Manche meinen, dass die Leute einfach nicht mehr arbeiten wollen …
Susanne Kraus-Winkler: Das würde ich so nicht sagen. Was ist die richtige Leistung für welches Leben? Wenn ich das Wort Leistung nicht verstehe, tue ich mir in jedem Lebensmodell schwer, weil ich meine Ziele gar nicht definieren kann. Da sind wir jetzt bei einem Grundsatzthema der Gesellschaft – das betrifft uns alle.
weekend: Konnten wir das früher besser?
Susanne Kraus-Winkler: Früher war die Mehrdimensionalität nicht da. Früher hat es geheißen: Jetzt gehst du in die Schule, dann machst du eine Ausbildung, dann schaust du, dass du einen guten Job bekommst, viel arbeitest und wichtig oder reich wirst. Durch die Pandemie ist dieses Verständnis von Leistung verloren gegangen bzw. hat sich geändert.
Früher hat es geheißen: Jetzt gehst du in die Schule, dann machst du eine Ausbildung, dann schaust du, dass du einen guten Job bekommst, viel arbeitest und wichtig oder reich wirst.
weekend: Sind wir faul geworden?
Susanne Kraus-Winkler: „Faul“ ist das falsche Wort Es ist ein strukturelles Problem. Die Frage ist: Wie vermittle ich meinen Kinder Leistung? Wie lerne ich zu wissen, was ich will? Das ist etwas, das auch Eltern weitergeben müssen..
weekend: Die einen unterstellen Arbeitsscheu, die anderen sagen, dass Betriebe ihren Mitarbeitern zu wenig zahlen. Was stimmt?
Susanne Kraus-Winkler: Im Tourismus ist ein 9-to-5-Job von Montag bis Freitag nicht möglich. Wir können eine Küche nicht um 18 Uhr zusperren – das wird es nicht spielen. Die passende Arbeitszeiteinteilung ist eine große Herausforderung für die gesamte Branche.
Wir können eine Küche nicht um 18 Uhr zusperren – das wird es nicht spielen.
weekend: Es gibt die Forderung der Hotellerie die Lohnnebenkosten an Wochenenden und Feiertagen zu senken. Würde das helfen?
Susanne Kraus-Winkler: Mehr Netto vom Brutto hilft immer. In Österreich sind die steuerlichen Abgaben für Arbeit relativ hoch. Teilzeitarbeit wird derzeit systembedingt oftmals besser bezahlt als Vollzeit. Früher haben wir zu wenig Arbeit für zu viele Menschen gehabt. Jetzt kommen wir in eine Phase der Überbeschäftigung, die Betriebe brauchen viel mehr Mitarbeiter. Da gelten andere Regeln.
weekend: Eine zweite Baustelle sind die hohen Energiekosten. Für energieintensive Betriebe wird ein Kostenzuschuss gefordert. Auch im Tourismus?
Susanne Kraus-Winkler: Der Energiekostenzuschuss wird nach einer speziellen Formel berechnet. Diese gilt auch für Tourismusbetriebe. . Es gibt zB Thermen oder Hotels, die verbrauchen zu wenig Energie, um für den Kostenzuschuss in Frage zu kommen und es gibt Hotels mit hohem Wellness-Anteil, die ihn wahrscheinlich bekommen.
Und alle Österreicher, die es sich leisten können, werden dann dort auf Urlaub fahren, wo es das Problem nicht gibt. Dann fliegt man auf Inseln wie die Malediven oder sonst wohin.
weekend: Man könnte argumentieren, dass man den Wellness-Bereich schließen muss …
Susanne Kraus-Winkler: Da sind wir dann bei der Diskussion: „Ist Tourismus Luxus?“ Ich wage das zu bezweifeln. Tourismus ist ein Wirtschaftszweig wie jeder andere. Viele Hotels, die den Wellnessbereich als vorrangiges Reisemotiv haben, müssten dann schließen. Und alle Österreicher, die es sich leisten können, werden dann dort auf Urlaub fahren, wo es das Problem nicht gibt. Dann fliegt man nach Möglichkeit auf Inseln wie die Malediven oder sonst wohin.
weekend: Es gibt noch mehr Sparvorschläge, zum Beispiel der Verzicht aufs Nachtskifahren.
Susanne Kraus-Winkler: Hotellerie und Gastgewerbe haben 1,3 Prozent Anteil am österreichischen Energieverbrauch, die Seilbahnwirtschaft, inklusive Schneekanonen 1,2 Prozent. Zusammen sind wir bei etwa 2,5 Prozent. Das ist im Verhältnis zur Großindustrie oder allen Haushalten, wenn man da zehn Prozent einspart, noch immer wenig.
Machen Sie das einmal bei der Großindustrie – die würde gleich schwere Geschütze auffahren.
weekend: Generell scheint der Tourismus aktuell einen eher schlechten Ruf zu haben …
Susanne Kraus-Winkler: Weil er leider in vielerlei Hinsicht grundsätzlich schlecht geredet wird. Der Tourismus ist leichter zu attackieren als andere Branchen. Machen Sie das einmal bei der Großindustrie – diese würde gleich schwere Geschütze auffahren.
weekend: Besonders hart in der Kritik steht der Wintertourismus. Ist er in Zeiten des Klimawandels noch haltbar?
Susanne Kraus-Winkler: Es ist ein wichtiger Wirtschaftszweig für Österreich. In vielerlei Hinsicht auch im alpinen Raum, wo wir sonst keine Arbeitsplätze und keinen Wohlstand hätten. Viele haben den Weg in eine moderne und nachhaltige Tourismusstruktur gefunden. Man sollte das schon ein bisschen faktenbasierter diskutieren und nicht nur einfach draufhauen.