Viel Luft nach oben
Die pilzförmige Konstruktion zählt zu den spektakulärsten Holzbauten Skandinaviens. Mitten im Unterhaltungsviertel Göteborgs lässt die Volvo Group nach den Plänen des dänischen Architekten Henning Larsen mit „World of Volvo“ eine touristische Erlebniswelt errichten. Der kühne Entwurf ist eine Referenz für die Leistungsfähigkeit des nachwachsenden Baumaterials – und ein Aushängeschild für die oberösterreichische Unternehmensgruppe Wiehag. Die tonnenschweren geschwungenen Träger und Stützen wurden am Firmensitz in Altheim geplant, vorproduziert und per Sondertransport nach Göteborg gebracht. Das mag auf den ersten Blick überraschen, zählt doch Schweden zu den waldreichsten Ländern überhaupt. Aber der Engpass liegt nicht beim Rohstoff, sondern bei der Expertise. „Es gibt weltweit nur wenige Firmen, die so große und technisch komplexe Strukturen umsetzen können, ohne vom anspruchsvollen Design abrücken zu müssen“, erklärt Erich Wiesner. Der 64-jährige Familienunternehmer ist als Geschäftsführer bei Wiehag in fünfter Generation tätig und zählt zu den Hidden Champions im Ingenieurholzbau. Stararchitekten, die Holz für immer höhere und ausgefallenere Projekte verwenden, landen bei der Suche nach Lieferanten fast zwangsläufig bei Wiesner und seiner Mannschaft. In jahrzehntelanger Knochenarbeit hat man sich Engineering-Know-how für komplexe Holzkonstruktionen angeeignet – das macht sich jetzt bezahlt.
Bauen nach dem Lego-Prinzip
Jüngster Coup der Innviertler ist der Öko-Bau eines 45.000 Quadratmeter großen Fakultätsgebäudes der Nanyang Technological University (NTU) in Singapur. Die Pläne stammen vom japanischen Architekten und Pritzker-Preisträger Toyo Ito. Zum Einsatz könnte Wiehag auch bei einem Megaprojekt in Sydney kommen: In der australischen Millionenstadt soll ein 180 Meter hoher Büroturm neue Maßstäbe im Holzbau setzen. Die Liste an realisierten Projekten aus Altheim ist inzwischen lang und prominent. 2022 wurde die neue Crossrail-Station Canary Wharf in London eröffnet. Für den 300 Meter langen, vom Stararchitekten Sir Norman Foster entworfenen Bahnhof lieferten die Innviertler die Dachkonstruktion. Zu den Referenzen zählen eine Whisky-Destillerie in Schottland, das Hans Christian Andersen Museum in Dänemark oder der Ascent Tower in Milwaukee, im US-Bundesstaat Wisconsin. Das neunzehnstöckige multifunktionale Holzhochhaus wurde im Vorjahr bezogen. „Der Generalunternehmer aus Milwaukee hat uns während der Coronazeit angerufen und uns von den Plänen erzählt. Nach fünf Videokonferenzen hatten wir das Projekt unter Dach und Fach“, erzählt Wiesner. Die Teile samt den Verbundelementen für den Holz-Hybrid-Bau wurden als Bausatz in Containern geliefert. „Das funktioniert im Prinzip wie bei Lego oder Matador, was die Bauzeit erheblich verkürzt.“
Paradigmenwechsel am Bau
Wiesner ist davon überzeugt, dass Hochhäuser aus Holz im urbanen Bereich ganz normal sein werden. Schweden ist auch hier Vorreiter. In dessen Hauptstadt soll im kommenden Jahrzehnt die „Stockholm Wood City“ mit 30 Öko-Gebäuden verwirklicht werden. Als Grund für diesen grundlegenden Wandel in der Baubranche macht Wiesner die Transformation in Richtung Dekarbonisierung aus. Mehr als ein Drittel der globalen Klimaemissionen werden vom Bau und Betrieb von Gebäuden verursacht. Insbesondere die Zementbranche soll für rund 8 Prozent der globalen Treibhausgase verantwortlich sein. Holz hingegen ist ein erneuerbarer Rohstoff und bindet CO2. Zudem spiele die Nachhaltigkeits-Berichterstattungspflicht für Betriebe und Organisationen eine immer größere Rolle. Sie müssen den CO2-Fußabdruck ihres unternehmerischen Handelns künftig abbilden und gegebenenfalls verringern. „In der Bauwirtschaft ist ein Transformationsprozess im Gange, der mit der Automobilindustrie und dem Umbau zur Elektromobilität vergleichbar ist“, erklärt Wiesner. Als Beispiel nennt er das erwähnte Projekt NTU in Singapur. Die Universität habe das Ziel ausgegeben, im Jahr 2030 den Campus CO2-neutral zu betreiben. Mit UBM Development realisiert Wiehag den Büroturm „Timber Pioneer“. Der Wiener Immobilienentwickler ist auf Green-Building-Projekte fokussiert und setzt auf Holzhochhäuser im Portfolio. Eines davon soll der 113 Meter hohe „Donaumarina Tower“ am Wiener Handelskai sein. Wird das neue In-Material der Baubranche zum Überflieger im Städtebau? Wiesner bleibt realistisch: Holz sei im Vergleich zu Beton und Stahl immer noch ein Nischenprodukt. Und es hat natürliche Grenzen: „Wir können uns nur im Rahmen einer nachhaltigen Rohstoffversorgung bewegen. Das heißt, der Holzbau kann nicht über das hinauswachsen, was nachwächst und geerntet werden darf.“ In Österreich, immerhin der viert-größte Schnittholzproduzent Europas, kann man 22 Millionen Festmeter jedes Jahr nachhaltig ernten. Danach sei Schluss. „Die technischen Möglichkeiten bei Holz sind enorm, aber es ist kein Allheilmittel“, gibt Wiesner zu.
Gute Auftragslage, mehr Umsatz
Wiehag ist eine fast typische Erfolgsgeschichte der österreichischen Nachkriegszeit. „Wir sind als Zimmereibetrieb gegründet worden und waren das bis in die vierte Generation. Erst mein Vater, ein studierter Bauingenieur, hat gemeint, aus Holz könne man mehr machen als bloß Dachstühle“, erinnert sich Wiesner. Das Unternehmen griff in den 1950er-Jahren auf die Technologie des Holzleimbaus zurück, die der deutsche Zimmerer Otter Hetzer fünf Jahrzehnte zuvor entwickelt hatte. Für den Handwerksbetrieb war das der Startschuss der industriellen Fertigung für weitgespannte und freitragende Tragwerkskonstruktionen, die im Hallenbau zum Einsatz kamen. Der Leimbinder sei allerdings nicht das Geheimnis des heutigen Erfolgs, sondern die Kombination aus Engineering und leistungsfähiger Produktion, wie Wiesner erklärt: „Hier geht es auch um Wissen von Statik und Materialien. Wir kommen weltweit an die Top-Aufträge heran, weil wir die technische Lösungskompetenz und die Produktionskompetenz vereinen.“ In Österreich hatte das Unternehmen lange keinen leichten Stand. Der Ingenieurholzbau musste sich bei Ausschreibungen in einem beinharten Wettbewerb gegenüber einer dominanten Betonbau- und Stahlbauwirtschaft behaupten – auch preislich. Diese Fitnesskur führte zu effizienteren Produktionsprozessen in der Vorfertigung – und öffnete die Tür zu neuen Geschäftsfeldern. Eine Anfrage aus dem Büro des Stararchitekten Frank Gehry für das geplante Guggenheim Museum in Abu Dhabi lenkte vor mehr als zehn Jahren den Blick Wiesners auf das wachsende Potenzial anspruchsvoller Holzbauten im urbanen Bereich. „Das Wachstum findet vor allem im Ausland statt. In Österreich hinken wir der Entwicklung hinterher.“ Gut aufgestellt ist man inzwischen bei Forschung und Bildung. Anfang der 1990er-Jahre überzeugte Wiesner den damaligen Wissenschaftsminister Erhard Busek, einen Holzbaulehrstuhl zu installieren – heute Standard in vielen heimischen Hochschulen. Zuletzt wurde im Oktober 2023 an der TU Wien die Stiftungsprofessur „Holzbau und Entwerfen im urbanen Raum“ eingesetzt. Die Baukrise spürt Wiesner in den Stammmärkten Österreich und Deutschland, auch weil der Preiswettbewerb wieder massiv angezogen hat. „Aber insgesamt ist es so, dass der Holzbau trotz stagnierender Bauwirtschaft Marktanteile gewinnt, und international gibt es für uns Projekte, die uns eine gute Auslastung geben.“ So rechnet der Familienunternehmer mit einer Umsatzsteigerung im laufenden Geschäftsjahr von 98 Millionen auf rund 120 Millionen Euro. Das Unternehmen beschäftigt 380 Mitarbeiter.