Verborgene Wahrheiten aus offenen Quellen
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Am 17. Juli 2014 verließ ein Flugzeug der Malaysia Airlines mit 298 Menschen an Bord den Flughafen Amsterdam in Richtung Kuala Lumpur. Dort ankommen sollte es jedoch nie. Die Boeing 777 wurde in der Frühphase des russisch-ukrainischen Krieges von einer Luftabwehrrakete getroffen. Eine jahrelange Untersuchung wurde eingeleitet. Aber einige der ersten Beweise wurden nicht von einer der offiziellen Stellen gesammelt, sondern vom Recherche-Netzwerk Bellingcat. Dieses identifizierte in der Region des Abschusses ein Lenkwaffensystem russischer Machart und verfolgte es bis zum Ort seines Ursprungs zurück: der russischen Militärbasis in Kursk. Das Erstaunliche daran: Die gesammelten Daten waren alle öffentlich zugänglich. Handyfotos und -videos des Waffensystems wurden von Zivilisten auf Social Media geteilt und die Route des Fahrzeugs konnte mithilfe von Google Maps und Google Earth rekonstruiert werden. Open Source Intelligence – kurz OSINT – lautet die Methode, bei der Informationen aus frei verfügbaren Quellen gesammelt werden. Eine durchdachte OSINT-Strategie kann aber nicht nur bei militärischen Operationen den entscheidenden Vorteil liefern, sondern auch bei betriebswirtschaftlichen Entscheidungen.
Nachrichtendienst im Unternehmen
Marcell Nedelko begann seine Karriere als Berufsoffizier im Bereich Führungsunterstützung mit Fokus auf Informationsmanagement, Cybersecurity und Cyber Threat Intelligence. Später arbeitete er als Senior Manager für Cybersecurity bei PwC. Heute ist er Executive Director bei Trivest AG und versucht, den betriebswirtschaftlichen Informationshunger des Unternehmens zu stillen. Hier behält er Wirtschaftsdaten, Informationen über Marktbegleiter und Kunden, Ausschreibungen, Regularien und vieles mehr im Auge. Und bei all dem nutzt er Open Source Intelligence. „OSINT ist günstig und relativ aussagekräftig“, erklärt Nedelko. Gemeinsam mit dem SEO-Experten Gery Hofer will Nedelko seine Methoden der Informationsbeschaffung an Unternehmen weitergeben. „Wir haben unser Wissen zusammengeführt und für unterschiedliche Use Cases angewendet“, sagt Nedelko. „Mit OSINT-Techniken können wir bei SEO und für das SEA die Märkte für unsere Kunden viel intensiver bewirtschaften“, ergänzt Hofer, „der Erfolg wird durch OSINT wesentlich höher werden.“ Die entwickelte Methodologie kann Informationen aber relativ unabhängig vom Bedarf beschaffen. Unternehmen können so beispielsweise kontinuierliche Recherchen wie Marktanalysen durchführen. „Mit OSINT-Techniken wissen wir oft schon vorher, was die Konkurrenz den Märkten bieten wird oder vielleicht im Hintergrund bietet.“

Betrieblicher „War Room“
Ad-hoc-Recherchen erfolgen im Gegensatz zu den ständigen Marktbeobachtungen situationsbedingt und kurzfristig. Sie können helfen, wenn im Unternehmen eine strategische Entscheidung gefällt wird. „Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor der Auswahl eines neuen Geschäftspartners oder Lieferanten. Mithilfe unserer OSINT-Methoden können Sie eine umfangreiche Hintergrund-Recherche durchführen.“ Die gewonnenen Daten bilden eine solide Entscheidungsgrundlage, um zu bewerten, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll ist. „Statt sich blind auf einen neuen Partner einzulassen, kann man mit OSINT gezielt recherchieren und einen Unternehmenssteckbrief erstellen.“

Fake News
KI-gestützte OSINT-Methoden sind sogar in der Lage, die Ursprünge von Falschaussagen zu finden – doch kann OSINT nicht auch selbst Opfer von Fake News werden? Die Qualitätssicherung legt Nedelko noch nicht vollständig in die Hände der Technik. „Kenne ich die Quellen, die analysiert wurden, noch nicht, beobachte ich sie über eine Zeit hinweg und bewerte ihre Qualität und Seriosität“, erklärt er den Prozess. Jede Quelle hat demnach einen Score, der festlegt, wie viel Vertrauen ihr bei einer Recherche entgegengebracht wird. „Qualitätszeitungen und Boulevardmedien kann man bei eingehender Analyse schnell auseinanderhalten.“ Die Bewertung geht dabei ins kleinste Detail: „Man kann die jeweiligen Journalisten auch mit Schlagwörtern versehen, beispielsweise zu ihrer Gesinnung. So können unsere Analysetools ihre Artikel noch besser kontextualisieren.“ Ob bei geopolitischen Konflikten oder in der Wirtschaft: Der gezielte Einsatz von OSINT hat das Potenzial, einen entscheidenden Wissensvorsprung in unserer datengetriebenen Welt zu bringen.