Das Prinzip der Fülle
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Fülle – ein Begriff, der nicht nur materielle Dinge beschreibt, sondern ein Gefühl, das tief in uns verwurzelt ist. Doch was passiert, wenn man sich der Leere stellt? Fülle verbindet Kurt Stimmeder vor allem mit einem Gefühl, das er nicht unbedingt mit Kunst in Verbindung bringen würde: „Ich denke, dass die Leere in uns allen steckt, aber weil wir sie als unangenehm verspüren, vermeiden wir es, dieses Gefühl zu spüren. Mein Arbeitsprozess gibt mir die Möglichkeit, dieses Gefühl zu erleben. Es ist unangenehm, aber danach fühlt es sich irgendwie befreiend an. Alles Materielle erscheint dann für eine Weile unnötig und unwichtig.“ Das Leben bedeutet, Räume zu füllen, sich auszubreiten, zu gestalten. Dabei ist nicht das „Ob“ die Frage, sondern das „Wie“.
Die Antwort ist individuell – und für ihn ist sie in der Kunst verborgen. In Bezug auf seine Arbeiten verspürt er den Drang, jede Stelle der Leinwand mit Farbe zu füllen. Ihm kommt das Wort „Berufung“ in den Sinn: „Weil ich glaube, dass damit eine höhere Ordnung verbunden ist, der man sich unterwerfen sollte – wenn nicht sogar muss. Dieses Prinzip ist fließend und erfordert ständige Anpassung.“
Quellen der Inspiration
Inspiration zieht er dabei nicht nur aus inneren Reflexionen, sondern auch aus der Kunstgeschichte, aus Reisen und aus Orten, an denen die Vergangenheit noch spürbar ist. Es sind vor allem die Reisen, die seine künstlerische Perspektive erweitern. „Es gibt keine generelle Botschaft in meinen Werken. Jedes Bild erzählt aber eine Geschichte, von der man sich angezogen fühlen kann oder nicht. Auch wenn meine Bilder zum größten Teil Menschen und Porträts zeigen – so gesehen Dasselbe –, verändert sich mit jedem Bild in meinen Augen das Motiv. Mir ist es wichtig, dass jeder seine Antworten in meinen Bildern finden kann. Gerade im Ausland finde ich es spannend, wie meine Bilder interpretiert werden. Oft lerne ich durch die Sicht anderer über meine Werke und mich selber. Natürlich freue ich mich, wenn jemand an der Geschichte zu einer Arbeit von mir interessiert ist.“

Kontemplation
Seine Arbeiten berühren den Betrachter, regen subtil zum Nachdenken an und verändern geschickt die Atmosphäre im Raum. Durch seine technische Meisterschaft verbindet er natürliche Ästhetik mit fließender Interpretation, wodurch das Unsichtbare in Linien und Farben sichtbar wird. Ordnung und innere Ruhe sind beim Malen das Um und Auf für Kurt Stimmeder. Davor, in der Phase der Konzeption, kann es aber durchaus ganz schön emotional hergehen. Sein Medium ist Öl auf Leinwand, weil sich das Material beim Arbeiten für ihn gut anfühlt und außerdem eine tolle Bandbreite an Anwendungsmöglichkeiten bietet: „Ich verwende eine fixe, jedoch relativ kleine Farbpalette, arbeite aber seit einem Dreivierteljahr daran, bunter zu werden, was für mich nur emotional gelöst werden kann. Wie? Ich arbeite noch daran …“

Die Hände im Fokus
Besonders in Italien, wo Gesten ein integraler Bestandteil der Sprache sind, fühlt er sich inspiriert. Die Italiener sprechen mit ihren Händen, sie unterstreichen fast jedes Wort mit einer Handbewegung. „Das fasziniert mich, weil es eine körperliche Intensität in die Kommunikation bringt, die weit über die Sprache hinausgeht“, erklärt er. „Da ich selber gerne ins Gestikulieren komme, wenn meine Worte nicht ausreichen, fühlt sich ein Teil von mir gut in dieser Art von Darstellung gespiegelt. Im Gegenzug haben die ruhiger komponierten Arbeiten eine gerade zu meditative Wirkung auf mich. Vereinfacht gesagt, sie ergreifen mich.“

Unsichtbares sichtbar machen
Stimmeders Werke sind Einblicke in die inneren Welten von Menschen, fangen Stimmungen ein, die oft nicht in Worte zu fassen sind. „Mich interessieren nicht nur die sichtbaren Dinge, sondern das, was dahinterliegt“, sagt der Künstler. Bilder sind nicht nur Kunstwerke, sondern auch Reflexionen über das Leben selbst. Sie zeigen das Zerbrechliche und das Starke, das Schöne und das Ungeordnete – und sie erinnern daran, dass es oft das Nichtsichtbare ist, das uns am tiefsten berührt. Wer sich auf seine Kunst einlässt, taucht in eine Welt ein, in der Emotionen in Farben übersetzt werden. Und vielleicht ist es genau das, was moderne Kunst in unserer hektischen Welt leisten sollte: Den Moment einfangen, uns innehalten lassen – und eine Tür in eine andere Realität (er-)öffnen.

