Saturday Night hat Fieber
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So manch einer wäre wohl nicht auf der Welt, hätte es nicht den „Stadtkeller“, das „Rosenstüberl“, das „Vanilli“, oder das „Kolosseum“ gegeben. Bekannte Diskotheken, in denen sich wohl so manche künftige Eltern kennengelernt haben. Sie sind ebenso von der Landkarte verschwunden wie die „Nachtwerft“ in Linz oder die Welser Diskotheken „Fifty Fifty“ bzw. „Sugarfree“. Gute Neuigkeiten gibt es für die etwas ältere Klientel der „Mausefalle“ im Linzer Infra Center. Nach 30 Jahren ging das Tanzlokal in die Insolvenz, wird aber von einem ehemaligen Betreiber wieder aufgesperrt. Gibt es keine Partytiger mehr? Die Gründe sind vielschichtig und zeigen den Wandel in der Gesellschaft auf. Das Diskotheken- und Clubsterben wurde zu einem soziologischen Indikator und beschäftigt sogar Historiker.
Historiker und der Exzess
Diese sahen einen neuen Hedonismus nach der Pandemie kommen. Als Analogie zu den wilden 1920er Jahren, in denen getanzt und gefeiert wurde wie noch nie zuvor in der Geschichte. Nicholas A. Christakis, Historiker an der Yale University, schrieb 2020 noch davon, dass es nach der Pandemie zu einer neuen Phase sexueller Freiheiten, zu Exzessen und zu einer Renaissance der Künste kommen würde. Er rief die „Roaring Twenties 2.0“ aus. Doch so kam es bekanntlich nicht. Zudem ignorieren viele Kulturoptimisten, welche die 1920er verklären, dass der Crash 1929 den auf Höchstlautstärke laufenden Grammophonen rasch den Stecker zog. Der Historiker Philipp Blom schrieb in der „NZZ“: „Die Geschichte wiederholt sich nicht und erteilt auch keine Lektionen – aber unter der glitzernden Oberfläche der Ereignisse verbergen sich Strukturen, die uns die zwanziger Jahre näher kommen lassen, als uns lieb sein kann.“
Stirbt die Massenunterhaltung?
Die deutsche Hauptstadt Berlin – schon vor über 100 Jahren ein Partymekka – zeigt den Trend vor. In den vergangenen zehn Jahren schloss rund die Hälfte der Clubs ihre Pforten. In ganz Deutschland ist die Lage noch dramatischer: Zwei Drittel gaben zwischen 2013 und 2023 auf. Allein zwischen 2011 und 2019, also schon vor der Pandemie, schlossen 400 Clubs im Nachbarland. In Österreich ist das nicht viel anders. Der Sozialwissenschaftler Bernhard Heinzlmaier, Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung, spricht in einem Interview mit dem NDR von einer „Krise der Massenkultur“. Er schickt junge Mitarbeiter in das immer schütter werdende Getümmel, um Feldforschung zu betreiben. Seine These: Ähnlich wie im Wintersport käme diese Form der „Vulgärkultur“ nicht mehr an. Die Mittelschicht würde anspruchsvoller werden. Damit würde der kreative Druck auf die Branche steigen. Noch offensichtlicher ist der Rückzug ins Private. Junge Leute feiern lieber zu Hause, das spart Geld und entspricht dem Individualismus. Man hört mit den Menschen, die man um sich haben will, die Musik, die man hören will. Heinzlmaier sieht aber auch den „Kontrolldruck“ auf junge Menschen als Faktor. Je rigider die Kontrolle, desto mehr würde sich die Jugend dem Kontrolldruck entziehen. Fazit: Massenunterhaltung stirbt aus, mit einer Ausnahme – Festivals.
Barfly statt Discoqueen?
Große, gigantomanische Festivals wie Wacken, Frequency oder Nova Rock boomen. Das Wacken Open Air ist innerhalb weniger Minuten ausverkauft, noch bevor man das Line-up kennt. Ein halbes Jahr vor der Eröffnung des Nova Rock sind zahlreiche Ticketkategorien bereits vergriffen und das trotz steigender Ticketpreise. Laut PwC wurden 2024 allein in Deutschland 1,5 Milliarden Euro mit Festivals umgesetzt. Eskapismus wird zeitlich begrenzt. Anstatt jedes Wochenende „die Sau“ in der Diskothek „rauszulassen“, wird Geld für punktuelle Events gespart. Und noch ein Trend ist ersichtlich: Während sich das klassische Nachtleben stark einbremst, erleben Bars und Kneipen seit 2022 einen leichten Aufwind. Es gibt aber auch ganz profane Gründe hinter dem Diskosterben. Neben Fachkräftemangel, Inflation und Kostenexplosionen sind es oft behördliche Auflagen oder der Städtebau, die den Betrieb der Nachtgastronomie erschweren. Mietverträge werden nicht verlängert oder das Areal der Diskothek wird umgewidmet – Stichwort „Gentrifizierung“.
Mama geht tanzen
Welche Konzepte braucht es also, um dennoch in der Nachtgastronomie erfolgreich zu sein? Die Suche nach neuen „alten“ Zielgruppen hat begonnen und schlägt sich bereits nieder. Robert Bremmer, Geschäftsführer der nach(t) leben Gruppe (siehe Interview), sieht Trends aus Deutschland nach Österreich kommen. „Etwa das Konzept ‚Mama geht tanzen‘. Das ist vergleichbar mit den früheren Fünfuhrtees. Es beginnt viel früher und endet um Mitternacht. Auch ‚Tanzen wie früher‘ für die ältere Generation ist im Kommen.“ Bremmer sieht vor allem bei den über 30-Jährigen nach wie vor Potenzial, denn: „Sie haben klassisches Feiern und Fortgehen noch gelernt.“