Sobotka: "Tue das nicht aus Selbstzweck"
Mächtiger als er ist nur der Bundespräsident: Seit 2017 zeichnet der gebürtige Niederösterreicher und ehemalige Innenminister als Nationalratspräsident für die "Wahrung der Ordnung und Würde des Parlaments" verantwortlich. Seine Rolle als Vorsitzender im ÖVP-U-Auschuss hat ÖVP-Urgestein Wolfgang Sobotka (68) zuletzt herbe Kritik eingebracht. Im Gespräch verrät er, wie er damit umgeht, wo er Gefahren für die Demokratie ortet und warum der aktuelle Ton in der Politik gar nicht so schlimm ist, wie alle sagen.
Gefahr für die Demokratie
Die Wahlbeteiligung nimmt tendenziell ab, die Demokratie-Skepsis zu. Macht Ihnen das Sorgen?
Wolfgang Sobotka: Eine Demokratie-Skepsis sehe ich nicht. 80 Prozent nennen die Demokratie als wichtigste und richtige Staatsform. Ich sehe aber schon einen Vertrauensverlust bei Politikern, bei Parteien, auch beim Parlament. Die derzeitige Werteverlust-Situation drückt sich auch bei Wahlen aus. Die Zahl der Nichtwähler und Protestwähler nimmt zu.
Wo könnte man ansetzen?
Wolfgang Sobotka: Auf der einen Seite müssen wir all das unterstützen, was für die Demokratie stärkend ist. Die Demokratiewerkstatt des Parlaments setzt zum Beispiel bereits im Kindergarten an. Wie geht man mit der Minderheit um? Wie redet man miteinander? Frühzeitige Erziehung zum demokratischen Diskurs ist ein wichtiges Momentum. Das Wesen der Demokratie ist schlussendlich einen Kompromiss zu erzielen. Ein weiterer Faktor ist, Gefahren klar zu benennen, denen Demokratien heute ausgesetzt sind. Das sind Echokammern im Internet, das sind aber auch Fake News und Deepfakes. Hier müssen wir mit Klarnamenpflicht und einem editorialen Prinzip gegensteuern. Das Zweite ist mit Sicherheit alles, was mit dem Thema des Antisemitismus zusammenhängt. Antisemitismus ist immer antidemokratisch.
Antisemitismus auch von links
Wie groß sehen Sie die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht?
Wolfgang Sobotka: Wir sehen heutzutage eine Zunahme von Antisemitismus, der nicht nur vom rechten Rand kommt, sondern auch von links und durch Migrantengemeinschaften, besonders aus Ländern, in denen Antisemitismus stark verbreitet ist. Dies zeigt sich etwa in der Täter-Opfer-Umkehr bei Angriffen wie denen der Terrororganisation Hamas. Antisemitismus bedroht uns von mehreren Seiten. Studien belegen, dass junge Menschen, die über fundiertes Wissen und Bildung verfügen, tendenziell weniger antisemitische Einstellungen haben. Bildung ist ein zentraler Ansatzpunkt.
Welche konkreten Maßnahmen können Sie sich vorstellen?
Wolfgang Sobotka: Wir haben in der Demokratiewerkstatt einzelne Workshops, Bildungs- und Gedenkinitiativen. Wir setzen in Schulen an, Fußballclubs und auch in den Gefängnissen. Hier ist ein Bündel an Maßnahmen notwendig – auch im Bereich Forschung. Die Antisemitismusforschung in Österreich ist leider Gottes lange Zeit nicht in diesem Maße betrieben worden, wie wir uns das vielleicht wünschen würden. Jetzt sind wir mit der Antisemitismusstudie des Parlaments auf einem guten Weg.
Im Zuge der Ausstellung haben Jugendliche Ihre Erfahrungen mit Antisemitismus im Alltag geschildert. Alle Videos gibt es auf unserem YouTube-Kanal: https://t.co/18SyPU4lzW— Parlament Österreich (@OeParl) March 20, 2024
Grenzen im Wahlkampf
Basis der Demokratie ist wie von Ihnen genannt Kommunikation und Kompromiss. Bereits jetzt wird im Wahlkampf mit relativ harten Bandagen gekämpft. Ist das der Ton, auf den wir uns künftig einstellen müssen?
Wolfgang Sobotka: Weltweit wird in Wahlauseinandersetzungen stärker emotionalisiert, polarisiert und auch radikalisiert. Wenn man aber von Fahndungslisten spricht oder von Fußabstreifern, wo man abtreten muss, dann hat man eine Grenze erreicht. Begegnen wird man dem nur können, indem man sich sehr klar davon distanziert.
Auch die ÖVP hat im Rahmen der Rede zum Österreichplan nicht unbedingt Zurückhaltung geübt. Wie kann das in Koalitionsverhandlungen und im Parlament wieder zusammenwachsen?
Wolfgang Sobotka: Ich bin nicht der Generalsekretär der Partei, aber so wie ich es sehe, ist es darum gegangen, einen Faktencheck zu machen und Unterschiede herauszuarbeiten... darin sehe ich nichts, was über Gebühr strapaziert hat. Natürlich ist es pointiert, das war immer so. Die gute alte Zeit, wie manche meinen, gab es früher auch nicht. Die Aggressionsbereitschaft auf Plakaten der ersten Republik würde nach heutigem Modell alles sprengen. In der Monarchie war es auch nicht besser und auch nach 1945 wurde mit Untergriffen jeglicher Art gearbeitet. Daran gemessen, sind wir heute wesentlich sachlicher unterwegs. Aber gerade jetzt nach Corona zeigt sich wieder eine gegenteilige Richtung.
Unzufrieden mit Diskussionsniveau
Prinzipiell könnte alles schlimmer sein?
Wolfgang Sobotka: Dass man mit dem Niveau mancher Diskussionen nicht immer zufrieden sein kann, noch dazu als Präsident des Nationalrates, ist klar. Man sollte es aber weder dramatisieren noch bagatellisieren, sondern immer wieder zu einer gewissen Nüchternheit aufrufen. Jeder muss an sich selbst arbeiten. In den Ausschüssen, in den Auseinandersetzungen, auch in den Couloirs, gibt es einen wirklich guten und respektvollen Umgang. Auf der Bühne, im Fernsehen wird manchmal etwas zu sehr emotionalisiert und sprachlich zu sehr zugespitzt.
Ist das eine Entwicklung, die man wieder "rückbauen" kann bzw. sollte oder ist das mittlerweile eigentlich eh so "part of the game"?
Wolfgang Sobotka: Ich glaube, dass man das sehr wohl zurückbauen sollte. Denn trotz all dem gilt die Politik als Vorbild. Wenn wir uns die Aggressivität da und dort in der breiten Gesellschaft ansehen, dann hat das schon vor Covid und den vielfachen Krisen eingesetzt. Wir sollten alles daransetzen, wieder zu einer zahlenorientierten, faktenbasierten und nüchternen Diskussion zurückkommen. Man wird sich bemühen müssen. Im Wahlkampf habe ich aber nicht sehr große Hoffnung, dass dieser Appell auf fruchtbaren Boden fällt.
Was wünschen Sie sich diesbezüglich vom Wahlkampf?
Wolfgang Sobotka: Dass er nicht ausufert. Dass er nach Möglichkeit nicht permanente Grenzüberschreitungen liefert.
Fürchten Sie das?
Wolfgang Sobotka: Naja, es ist nicht auszuschließen.
Sobotka unter Beschuss
Sie selbst sind in den letzten Monaten sehr stark unter Beschuss gekommen, Stichwort U-Ausschuss, Pilnacek, Goldenes Klavier …
Wolfgang Sobotka: Die Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen. Das ist Dirty Campaigning: Man macht Politik mit Anzeigen statt mit politischen Argumenten. Mich hat immer irritiert, dass man den Fokus auf irgendwelche Äußerlichkeiten legt. Wenn man einer Person gegenüber schon persönliche Vorbehalte hat, dann soll man das doch bitte gesamtheitlich sehen. Ich habe mich im Parlament immer bemüht, Themen zu stärken, die keinen parteipolitisch konnotierten Bias haben. Wir haben uns in wichtigen Fragen wie Barrierefreiheit und Inklusion von Menschen mit Behinderung, Minderheitenthematik, Antisemitismus, Demokratiestärkung sehr klar positioniert. Ich tue das nicht aus einem Selbstzweck heraus, sondern bin überzeugt, dass gerade das Parlament sich um große Themen zu kümmern hat, wo sich öffentlich alle finden können.
Wie sind Sie persönlich mit den andauernden Vorwürfen umgegangen? Geht das nicht an die Substanz?
Wolfgang Sobotka: Als Politiker muss man damit umgehen können. Ich trage das auch nicht in mein privates Leben hinein. Wir reden zu Hause nicht über Politik.
Das geht?
Wolfgang Sobotka: Ja, absolut. Das ist eine Einstellung im Kopf: Ich habe einen Beruf. Ich bin mit einer Therapeutin und Pädagogin verheiratet, wir reden über andere Themen. Eine Metapher: Wenn ich heimkomme, ziehe ich mein Sakko aus. Mein Sakko ist meine Berufskleidung und zu Hause trage ich das nicht. Der Installateur ist ja auch nicht mit dem Blauzeug zu Hause.
Hofburg: Sobotkas Pläne für die Zukunft
Denken Sie auch schon an die Zeit nach der Politik?
Wolfgang Sobotka: Weder denke ich stark zurück, obwohl ich Historiker bin, noch bin ich ein zukunftsversessener Mensch. Ich lebe im Hier und Jetzt und konzentriere mich auf die Aufgaben, die vor mir liegen.
Eventuell die Hofburg?
Wolfgang Sobotka: Das ist das Einzige, was ich mit Sicherheit ausschließen kann. Diese Form des politischen Auftretens liegt mir nicht. Der Bundespräsident hat und braucht eine andere Zugänglichkeit zu Themensetzungen, zu Diskussionen und Auftreten in der Öffentlichkeit. Und ja, das würde mir nicht liegen. Das würde man spüren – und dann wird es unauthentisch.