Klima, Krieg, Krisen: Gibt es die heile Welt?
Inhalt
- Was wir wirklich verpassen
- So denkt die Jugend
- Risse in der heilen Welt
- Von der Angst, etwas zu verpassen
- Realitätscheck
- Die Sache mit dem Glück
- Hoffnung statt Ohnmacht
- 4 Fragen an Autorin Valerie Huber
- 3 Fragen an Psychotherapeutin Susanne Wagner
Valerie Huber ist 29 Jahre alt, eine anerkannte Schauspielerin („Klammer – Chasing the Line” oder „Kitz”) und sie liegt nachts oft wach. Kriege, der Klimawandel, soziale Ungerechtigkeiten – all diese Dinge rauben Valerie den Schlaf. Und dann verfällt die Schauspielerin ins sogenannte Doomscrolling, also dem exzessiven Konsum von negativen Medien. Die Folge sind Existenzängste, Misstrauen und Verzweiflung. Ein internationaler Forscherteam hat sich diesem Phänomen angenommen und festgestellt: Menschen neigen zum Doomscrolling aus Angst, schlechte Nachrichten zu verpassen.
Was wir wirklich verpassen
Auch Valerie Huber hat das bereits für sich erkannt: „Während wir Angst haben, andauernd etwas zu verpassen und online ins Doomscrollen hineinkippen, verpassen wir das Wertvollste, das wir haben: unser Hier und Jetzt.” Deswegen hat die Klima-Aktivistin und UNICEF-Beauftragte ein Buch geschrieben. „FOMO Sapiens” besteht aus 34 unabhängig lesbaren Essays, die sich mit den großen Krisen und Konflikten des 21. Jahrhunderts beschäftigen. Und über allem stellt Huber die Frage: Verpassen wir die heile Welt?
So denkt die Jugend
Dass Valerie mit dem Buch den Nerv der Zeit getroffen hat, zeigt auch die vor kurzem veröffentlichte Ö3-Jugendstudie mit fast 28.000 Teilnehmern, größtenteils zwischen 16 und 25 Jahren. Und sie alle einen dieselben Sorgen: Um die 60 Prozent fürchten sich vor den Auswirkungen des voranschreitenden Klimawandels, 82 Prozent haben Angst vor Krieg. Die immer weiter „aufgehende Schere zwischen Arm und Reich” beschäftigt die Hälfte der Befragten. Spannend ist demnach auch das Verhältnis zur Politik. 49 Prozent haben wenig Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger. 44 Prozent fühlen sich vom Bildungssystem nicht abgeholt.
An allen Ecken und Enden bröckelt die Fassade der heilen Welt, die unsere Eltern so mühselig für uns gemalt hatten. Das Leben macht nur noch an manchen Tagen Spaß und wir rutschen immer mehr in unsere Köpfe.
Risse in der heilen Welt
Wenn man es so sagen will, erlebt die Generation Z gerade ein böses Erwachen. Während ihre Eltern in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs erwachsen geworden sind, müssen sie sich um die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind, Sorgen machen. Wohlstand und Frieden sind angreifbar geworden, die heile Welt, die man als Kind kannte, bekommt immer mehr Risse. „An allen Ecken und Enden bröckelt die Fassade der heilen Welt, die unsere Eltern so mühselig für uns gemalt hatten. Das Leben macht nur noch an manchen Tagen Spaß und wir rutschen immer mehr in unsere Köpfe”, schreibt Huber in ihrem Buch. Das ist natürlich auch dem Prozedere des Erwachsenwerdens geschuldet, dennoch spielt das Smartphone eine extrem große Rolle. Haben die älteren Generationen Nachrichten kuratiert aus der Zeitung erfahren, bekommen die Jugendlichen Schreckensmeldungen aus aller Welt quasi im Sekundentakt mit. Womit wir wieder beim Doomscrolling wären. Doch die Crux mit Social Media ist, dass die Realität darin keinen Platz findet. Während man auf der einen Seite nur Negativ-Schlagzeilen liest, wird man auf der anderen Seite mit Urlaubsbildern und hübschen Videos überflutet. Jeder lebt die bessere Beziehung, reist an die schöneren Orte, trägt Luxus-Kleidung. Da kann das Gras auf der anderen Seite doch nur grüner wirken. Oder?
Von der Angst, etwas zu verpassen
„Fear of missing out” (kurz „FOMO” und auf Deutsch „Die Angst, etwas zu verpassen”) nennt sich dieses Phänomen, das wohl jeder Social-Media-Nutzer schon einmal erlebt hat. Denn plötzlich zählt nicht mehr der Moment, den man gerade erlebt, sondern all das, was man stattdessen verpasst. Diese Angst kann sich auf alle möglichen Dinge beziehen: einen Ort, den man noch nicht besucht hat, eine Party, auf der man nicht war oder ein Hobby, das man noch nicht ausprobiert hat. Kurzum: Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben steigt, während Soziale Medien wie Instagram oder TikTok davon profitieren. Schließlich lassen sich Produkte besser durch Sehnsucht verkaufen.

Realitätscheck
Das Handy wegzulegen und sich auf die Realität zu konzentrieren, ist das beste Mittel, um sich dem Sog des Internets zu entziehen. „Wichtig ist, weder in einer unveränderten Vergangenheit noch in einer unsicheren Zukunft zu leben”, mahnt die Psychotherapeutin Susanne Wagner. Valerie Huber appelliert daran, sich bewusst aus dem Strudel aus Neuigkeiten und geschönten Insta-Beiträgen rauszunehmen: „Man muss nicht jeden Tag die Nachrichten lesen – das ist oft zu viel auf einmal und tut nicht gut.” Zeit in der Natur oder mit Freunden, der Familie oder dem Partner erdet und sorgt dafür, dass man den Blick wieder auf die wichtigen Dinge lenkt. Experten raten außerdem dazu, das Smartphone nicht mit ins Bett zu nehmen und Social Media nicht gleich nach dem Aufwachen zu checken. Auch das Einschränken der Bildschirmzeit kann helfen.
Glück ist nicht erlernbar, es entsteht im Augenblick. Eine gewisse Zufriedenheit mit sich, seinem Leben, seinem Beruf und seinen Freundschaften ist ein erstrebenswerter Zustand, der leichter bewahrt werden kann.
Die Sache mit dem Glück
Bei all dem, was zurzeit in der Welt schief läuft, scheint es so, als würde das leichte Leben in die Ferne rücken. Wie bewahrt man sich also das eigene Glück? „Ich glaube, dass das Wort 'Glück' von vielen überbewertet wird. Glück ist nicht erlernbar, es entsteht im Augenblick. Eine gewisse Zufriedenheit mit sich, seinem Leben, seinem Beruf und seinen Freundschaften ist ein erstrebenswerter Zustand, der leichter bewahrt werden kann”, erklärt Wagner. Das scheinen die jungen Menschen in Österreich bereits verstanden zu haben. 86 Prozent der Teilnehmer der Ö3-Jugendstudie gaben an, mit ihrem Leben zufrieden zu sein.
Hoffnung statt Ohnmacht
Bleibt nur noch eine Frage: Dürfen wir auf eine gute Zukunft hoffen? „Ich bin der Überzeugung, dass wir das tun sollten. Optimismus bedeutet nicht, die Realität zu ignorieren, es geht darum, das Gute zu sehen und daran zu glauben. Nur so bleiben wir Menschen handlungsfähig”, stellt Psychotherapeutin Wagner klar. Valerie Huber schließt sich dem an: „Wir müssen positiv in die Zukunft blicken, sonst macht das ja alles keinen Sinn. Aber wir dürfen in Anbetracht der Krisen nicht in eine Schockstarre verfallen und ohnmächtig zusehen. Wir müssen uns aktiv einbringen und mitgestalten – sonst verpassen wir die heile Welt.”
4 Fragen an Autorin Valerie Huber
In „FOMO Sapiens“ schreiben Sie, dass es einen sofortigen Systemwandel braucht: Ist das nicht ein utopischer Gedanke?
Valerie Huber: Es ist kein utopischer Gedanke, es ist eine absolute Notwendigkeit, wenn wir die Natur und unsere Ökosysteme aufrechterhalten wollen. Unsere aktuelle Form zu leben und zu wirtschaften, ist ausbeutend und wird auf Dauer nicht funktionieren. Wir können auf einem endlichen Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht unendlich expandieren.
Schaut man sich aktuelle Wahlergebnisse an, scheint ein Wandel weit weg zu sein. Wieso gewinnen rechte Parteien und Klimaleugner an Zuspruch?
Valerie Huber: Viele Menschen sind unzufrieden und fühlen sich von der Politik im Stich gelassen – leider nutzen das rechte Parteien leicht aus. Es ist eine Kombination aus fehlender Bildung und Aufklärung, Hetze und Angstmache. Viele Menschen sind kurzsichtig, haben Angst vor Verzicht oder dem Fremden.
Wieso haben die Menschen so eine große Angst vor Veränderung, wenn sie doch unsere Zukunft sichern könnte?
Valerie Huber: Weil der Mensch bequem und Veränderung unangenehm ist. Viele fürchten Verbote, einschränkende Maßnahmen und Verzicht. Warum sollte jemand das freiwillig tun? Dabei verlieren wir das große Ganze aus den Augen – dass es um die Zukunft unseres Planeten geht.
Was möchten Sie mit Ihrem Buch erreichen?
Valerie Huber: Ich möchte die Menschen wachrütteln, sie wieder mehr für Politik begeistern und zeigen, wie wir achtsam mit der Welt, aber auch solidarisch miteinander umgehen können. Wir alle können unseren Beitrag leisten.
3 Fragen an Psychotherapeutin Susanne Wagner
Die Welt ist seit 2020 quasi dauerhaft im Krisenmodus. Wie lernt man einen gesunden Umgang mit Krisen?
Susanne Wagner: Am Anfang steht die Akzeptanz. Eine Krise ist eine Krise. Gut geht es denjenigen, die es schaffen, die Situation so objektiv wie möglich zu betrachten. Sich darauf zu fokussieren, was einem gut tut, und ins Tun kommen, sind weitere Möglichkeiten, quasi Soforthilfe zu leisten.
Viele fühlen sich von der Angst gelähmt: Was kann dagegen helfen?
Susanne Wagner: Viele Menschen haben Ängste, sich darüber auszutauschen, und zu merken, dass man damit nicht alleine ist, hilft. Ich empfehle auch, den Nachrichtenkonsum bewusst einzuschränken. News im Sekundentakt halten den Stress aufrecht. Das wiederum verstärkt die Angst.
Wie verbessert man den eigenen Umgang mit Social Media?
Susanne Wagner: Morgens nicht mit Sozialen Medien in den Tag zu starten, erhöht die Zufriedenheit. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist, sich auf das echte Leben zu konzentrieren und die Zeit je nach Interessen zu gestalten.