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Eine verzweifelte Frau sitzt vor dem Fenster
Überforderung: Betroffene fühlen sich hilflos sowie energielos und leiden unter ständigen Selbstvorwürfen.
Überforderung: Betroffene fühlen sich hilflos sowie energielos und leiden unter ständigen Selbstvorwürfen.
iStock.com/Liudmila Chernetska

Compassion Fatigue: Wenn Mitgefühl krank macht

25.03.2025 um 09:55, Nina Dam
6 min read
Empathie empfinden zu können macht uns menschlich, doch wer zu viel fühlt, kann darunter leiden. Warum starkes Mitgefühl krank macht und wie man damit umgeht.

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Die beste Freundin macht eine Trennung durch, ein alter Mann sitzt alleine auf einer Bank oder ein Kind fällt hin und beginnt zu weinen – in jeder Situation rührt sich etwas in uns und wir spüren es ganz deutlich: Mitgefühl. Für manche Menschen mal ein bisschen mehr, für manche ein bisschen weniger. Doch im Grunde lässt uns unser Gegenüber niemals kalt. Ganz im Gegenteil: Empathie ist eine neuronal verankerte Fähigkeit, die uns Menschen erst zu sozialen Lebewesen macht. Denn ohne Einfühlungsvermögen für andere fehlt die grundlegende Basis eines gesunden gesellschaftlichen Miteinanders. Doch manchmal kann gerade das unserer Gesundheit schaden.

Wenn's zu sehr weh tut

Wer den Schmerz anderer Personen nämlich zu nah an sich heranlässt, sich pausenlos Selbstvorwürfe macht und ständige Hilf- sowie Energielosigkeit verspürt, könnte unter der sogenannten „Compassion Fatigue“ leiden. „Der Begriff kommt aus der Traumaforschung und bedeutet übersetzt so viel wie ‚Mitgefühlsmüdigkeit‘. Dies zeigt sich vor allem bei Menschen in helfenden Berufen“, erklärt die Grazer Psychotherapeutin und klinische Psychologin, Barbara Bischoff. Ist man also ständig mit schweren Schicksalsschlägen anderer Personen konfrontiert, kann es zu einer körperlichen und emotionalen Überlastung – sowie manchmal auch Abstumpfung kommen. In weiterer Folge sind Betroffene nicht mehr in der Lage, emotional auf das Leid reagieren zu können. Es fällt ihnen immer schwerer, das, was andere gerade erleben oder erlebt haben, zu ertragen. Gleichzeitig verspürt man aber den starken Wunsch, der oftmals fremden Person zu helfen und ihr Leiden zu verringern. Bischoff ergänzt: „Dabei entstehen Gefühle wie Langeweile, Ungeduld sowie Stress und Überforderung.“ Dieser Zustand ist dem eines Burnouts sehr ähnlich, was es Betroffenen oft schwer macht, in ihrem Beruf normal weiterarbeiten zu können.

Die Unterschiede

Doch wie unterscheidet sich dieses Phänomen nun von einem klassischen Burnout? Die Expertin betont, dass „Compassion Fatigue“ immer mit empathischer Belastung verbunden sei und es ziemlich schnell auftreten könne. „Beim Burnout hingegen ist es ein schleichender Prozess von zunehmender psychischer und körperlicher Ermüdung.“ Hierbei geht es auch besonders um langfristigen beruflichen Stress, Unzufriedenheit im Job oder unrealistische Erwartungen in Bezug auf die Arbeit.

Sich emotional von den Geschichten anderer Menschen abzugrenzen, ist wichtig, um zwar mitfühlen zu können, aber dabei nicht mitzuleiden.

Barbara Bischoff, Psychotherapeutin & Klinische Psychologin

Vielfältige Symptome

Diese emotionale Überlastung kann zu einer Bandbreite an unterschiedlichsten Symptomen führen, die alle eines gemeinsam haben: Sie fühlen sich nicht gut an und stören das Wohlbefinden – adieu, Lebensfreude! „Man verspürt meist Wut, Trauer und Ängstlichkeit. Zudem kann sich der Glaube über die Bedeutung des Lebens verändern und es kann zu Konzentrations- und Entscheidungsschwierigkeiten kommen“, erläutert Bischoff. Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel sowie Schlafprobleme oder Nervosität könnten weitere Anzeichen sein. Betroffene ziehen sich auch immer häufiger aus ihrem Umfeld zurück, haben weniger Spaß an Aktivitäten, die früher gerne gemacht wurden und auch die Produktivität in der Arbeit sinkt.

Erhöhtes Risiko

Wir alle kennen das Gefühl, es jedem Recht machen zu wollen und sich selbst immer an die letzte Stelle zu setzen. Genau dieses Verhalten macht Menschen noch anfälliger, sich zu überlasten, sich zu überfordern und im schlimmsten Fall unter der „Compassion Fatigue“ oder einer sonstigen Erschöpfung zu leiden. Doch so weit muss es gar nicht erst kommen. Wer sich selbst gut kennt und dazu neigt, es allen Menschen immer recht machen zu wollen, sollte eines lernen: Grenzen setzen. Egal ob im beruflichen oder im privaten Umfeld – wenn es einem zu viel wird, gilt es, den Pausenknopf zu drücken. Denn es sei besonders wichtig, den eigenen Bedürfnissen den nötigen Raum zu geben und nicht den Fokus auf sich selbst zu verlieren, betont die Expertin. „Die Fähigkeit, sich emotional von Geschichten anderer Menschen abzugrenzen, ist wichtig, um in einer helfenden Position bleiben zu können.“

Das passiert in uns

Doch warum können wir uns überhaupt so gut in andere Menschen hineinversetzen? Weshalb tut es uns fast genauso weh, wenn sich jemand in den Finger schneidet, und wieso berühren uns andere Schicksalsschläge so tief? Ein kurzer Exkurs in die Neurologie hält die Antwort parat: Verantwortlich für unser Mitgefühl sind die sogenannten Spiegelneuronen in unserem Gehirn. Bei bestimmten Handlungsbeobachtungen senden diese besonderen Nervenzellen spezifische Signale aus, die in uns wiederum ähnliche Emotionen auslösen. Verletzt sich unser Gegenüber, sorgen Spiegelneuronen dafür, Mitleid und auch den Schmerz nachempfinden zu können. Deshalb gelten sie als der Sitz des menschlichen Einfühlungsvermögens und unserer Intuition. Neurologen erklären diesen Vorgang gerne mit einem Vergleich aus der Musik: Wenn eine Gitarrensaite gezupft wird, werden dadurch die anderen Saiten des Instruments auch zum Schwingen gebracht – es wird eine sogenannte Resonanz erzeugt. In etwa so funktioniert auch der Ablauf im menschlichen Gehirn. Sämtliche Emotionen wie Freude, Schmerz und Trauer empfinden zu können, wird auf diese Weise erst möglich gemacht. Dank der Spiegelneuronen können wir also mit unserer Umwelt in Resonanz treten.

Ärzte helfen sich untereinander
Menschen in helfenden Berufen sind besonders oft von der Mitgefühlsmüdigkeit betroffen.

Nicht zu verwechseln

Gerade bei dieser komplexen Thematik werden die beiden Begriffe „Empathie“ und „Mitgefühl“ gerne als Synonym verwendet, was genau genommen aber nicht ganz richtig ist. Sie sind zwar eng miteinander verknüpft, bedeuten jedoch etwas anderes. Empathie ist nämlich die Fähigkeit, sich in Gedanken und Gefühle anderer Mitmenschen hineinversetzen zu können. Aber gleichzeitig auch angemessen auf emotionale Situationen reagieren zu können, wie beispielsweise der leidenden Person Hilfe anzubieten oder sie zu trösten. Empathie ist somit eine Grundvoraussetzung für unsere Sozialkompetenz. Mitgefühl hingegen ist die Fähigkeit, das Innere eines anderen Menschen nicht nur gut wahrzunehmen, sondern auch mit den eigenen Gefühlen anteilnehmend zu begleiten. Dank der vorher erwähnten Spiegelneuronen können wir also von den Gefühlen unseres Gegenübers „angesteckt“ werden und diese Emotionen wortwörtlich mitfühlen.

Hilfe annehmen

Auch wenn das Phänomen „Compassion Fatigue“ größtenteils Menschen in helfenden und emotional aufwühlenden Berufen betrifft, sitzen wir alle im selben Boot. Jeder Mensch kennt es, sich überfordert und hilflos inmitten eines Gefühlschaos zu fühlen. Die Frage ist: Könnte man sich mit Strategien vor einer emotionalen Erschöpfung schützen? „Grundsätzlich sind eine gute Selbstfürsorge und Möglichkeiten, sich Auszeiten zu nehmen, sehr wichtig“, erklärt Bischoff. Gesunde Ernährung, ausreichender Schlaf und ein organisierter Tagesplan können ebenso helfen. Experten raten, sich bei einem Anflug von Überforderung auf das zu konzentrieren, was man beeinflussen kann. Gerade nach auslaugenden Situationen sollte man seinen emotionalen Haushalt wieder auffüllen. Und das funktioniert am besten mit Dingen, die der Seele guttun: Ein Spaziergang in der Natur, ein Coffee Date mit Freunden oder eine 10-minütige Meditationseinheit helfen dabei, das Erlebte besser zu verarbeiten und sorgen für den nötigen Abstand. Belastbarkeitstrainings und Stressbewältigungsprogramme können ebenso positive Auswirkungen bei „Compassion Fatigue“ und emotionalem Stress haben. Und wenn gar nichts mehr geht: „Es ist okay, Hilfe anzunehmen und vor allem bei herausfordernden beruflichen Tätigkeitsfeldern, begleitende Supervision in Anspruch zu nehmen“, so Bischoff.

Fühlende Lebewesen

Es gibt also keine Zweifel: Wir Menschen sind in der Lage dazu, sehr viel zu fühlen. Und das jederzeit und ununterbrochen. Fluch oder Segen? Eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss. Fakt ist, dass man sich für viel Mitgefühl und für ein Herz voller Empathie nicht schämen muss. Denn der Versuch, solche Gefühle zu unterdrücken, kostet viel Energie und verlangt unserem Gehirn einiges ab – was auf Dauer noch schädlicher für unsere mentale Gesundheit sein kann. Wer seine persönlichen Grenzen kennt und auch einhält, lässt es gar nicht erst so weit kommen. Bischoff weiß: „Denn nur wer sich Zeit nimmt, um Kräfte zu sammeln, kann auch Kraft geben.“ Letztlich ist Mitgefühl keine Schwäche, sondern eine starke menschliche Eigenschaft, die es wert ist, bewahrt und gepflegt zu werden.

Eine lächelnde Frau
Barbara Bischoff ist eine Psychotherapeutin und klinische Psychologin in Graz.

Kurzinterview mit Psychotherapeutin Barbara Bischoff

Wie würden Sie den Begriff „Compassion Fatigue“ erklären?
Bischoff: „Compassion Fatigue“ kommt aus der Traumaforschung, übersetzen kann man ihn mit Mitgefühlsmüdigkeit. Der Begriff umschreibt ein Erleben innerer Abgestumpftheit und der Unfähigkeit, emotional auf Leid zu reagieren. Das Phänomen zeigt sich vor allem bei Menschen in helfenden Berufen, bei welchen Empathie eigentlich zu einer großen Fähigkeit gehört.

Wie unterscheidet sich „Compassion Fatigue“ von einem klassischen Burnout oder allgemeiner Erschöpfung?
Bischoff: Eine allgemeine Erschöpfung ist eine durch übermäßige körperliche oder mentale Anstrengung hervorgerufene Ermüdung (z. B. Schlafmangel, stressige Lebensereignisse). Burnout hingegen ist ein schleichender Prozess von zunehmender psychischer und körperlicher Ermüdung, der sich über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelt und häufig einen Zusammenbruch beinhaltet. Es ist beispielsweise mit langfristigem beruflichem Stress oder unrealistischen Erwartungen in Bezug auf die Arbeit verbunden. „Compassion Fatigue“ ist hingegen mit empathischer Belastung verbunden. Dies kann auch sehr schnell auftreten.

Welche Symptome treten bei Betroffenen am häufigsten auf?
Bischoff: Die Symptome sind vielfältig und können auf unterschiedlichen Ebenen auftreten. Man kann sich überfordert, hilflos und energielos fühlen. Zudem kann es zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel sowie auch zu innerer Unruhe kommen. Betroffene machen sich oft Selbstvorwürfe und denken ständig an die traumatisierte Person.

Erhöhtes Risiko für „Compassion Fatigue“: Spielt der Charakter einer Person eine Rolle dabei?
Bischoff: Menschen, die sich schwertun, ihren eigenen Bedürfnissen Raum zu geben und dadurch eventuell den Fokus auf Berufliches legen, sind eher anfällig, in Überforderungen zu kommen. Fehlt es Menschen an einer stabilen Selbstbeziehung, kann es passieren, dass sie eintretende Belastungen auch nicht rechtzeitig bemerken.

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