Sorry, not sorry
Inhalt
Am 11. Mai 2018 um 07.11 Uhr und 35 Sekunden verließ einer der weltberühmten Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszüge die Notogawa-Station Richtung Süden. Das Unglück war jedoch bereits geschehen, denn eigentlich hätte der Zug noch 25 Sekunden warten müssen. Wenige Monate zuvor war ein ähnliches Malheur passiert, als der Tsukuba-Express 20 Sekunden zu früh die Station verließ. Das Management rückte zur Krisenbekämpfung aus und Japan Railways veröffentlichten folgendes Statement in Japanisch: „Die großen Unannehmlichkeiten, die wir unseren Kunden bereitet haben, waren wirklich unentschuldbar.“ Auch in Österreich müssen Operateure im Personenverkehr darauf achten, nicht zu früh abzufahren. Dennoch muss man bei uns über diese japanische Akkuratesse schon schmunzeln. Ein Schuldeingeständnis in dieser Heftigkeit vernimmt man bei uns höchstens, wenn man nahe des Beichtstuhls in der Kirche lauscht. Bei Politikern und Unternehmern sind solche Schuldbekenntnisse eher die Ausnahme als die Regel.
Mea maxima culpa
Wer sich richtig entschuldigen will, findet online zahlreiche Anleitungen. Viele Tipps stehen dort und „wichtige Sätze“, die besonders gut ankommen sollen. Kommunikation in Ausnahmesituationen ist fordernd und wer wirklich die richtigen Worte finden will, sollte vorbereitet sein. Deshalb bietet Gerald Groß, ehemaliger Moderator und Journalist, unter anderem Krisenkommunikationskurse an. Er weiß, worauf es beim Entschuldigen ankommt: „Die Kunst liegt darin, Fehler ehrlich einzugestehen, ohne defensiv zu wirken.“ Laut dem Experten basiert eine professionelle Entschuldigung auf drei Schlüsselelementen: „Volle Verantwortungsübernahme, aufrichtiges Bedauern und konkrete Lösungsvorschläge. Wenn Sie so wollen, die Heilige Dreifaltigkeit der Krisenkommunikation.“ Der Tipp des Experten ist, sein Ego auszuschalten, Empathie zu zeigen, keine Ausreden zu suchen und Relativierungen, die gerne mit dem Wort „aber“ beginnen, zu vermeiden. „Eine gute Entschuldigung ist wie ein Pflaster: kurz, schmerzlos und zielgenau.“

Die „Nonpology“
Manche gehen jedoch einen anderen Weg. Statt Verantwortung zu übernehmen, lenken sie von ihrer eigenen Schuld ab. Berüchtigt ist der Satz: „Es wurden Fehler gemacht.“ Der eine oder andere wechselt vielleicht sogar in die Offensive: „Es tut mir leid, dass Sie sich angegriffen fühlen.“ Hier spricht man von einer „Nicht-Entschuldigung“ oder „Nonpology“, einem Anglizismus-Kofferwort. Aber Obacht: Eine unechte oder unvollständige Entschuldigung kann das Vertrauen stark beschädigen, so Groß. Und auch von einer Entschuldigung als bequemem Ausweg, um Konflikte zu vermeiden, rät der Experte ab. „Häufige Entschuldigungen können ihre Wirkung verlieren, weil sie inflationär werden.“
Das große Ego
Doch warum warten nun viele Politiker und Unternehmer, bis Gras über die Sache gewachsen ist und vermeiden es, sich öffentlichkeitswirksam zu entschuldigen? Manche wittern sicherlich rechtliche Konsequenzen, wenn sie eine Schuld eingestehen, aber Groß glaubt, dass es meistens psychologische Gründe hat: „Ego-Schutz-Modus, Angst vor Kontrollverlust und Image-Paranoia sind die häufigsten.“ Bei vielen schwingt der Gedanke mit, dass eine Entschuldigung als Zeichen von Schwäche interpretiert wird. Hart zu bleiben, soll stattdessen souverän wirken. Für Groß führt eine solche Haltung jedoch genau zum Gegenteil. „Eine ehrliche Entschuldigung ist keine Niederlage, sondern Stärke. Sie zeigt Größe, Menschlichkeit und Führungsqualität.“ Laut ihm war es Angela Merkel, die im März 2021 ein bemerkenswertes Beispiel für eine gelungene Entschuldigung lieferte. Sie adressierte damals öffentlich den geplanten Oster-Lockdown, der im Endeffekt nicht umgesetzt wurde. Damals bezeichnete sie diese Entscheidung als „einzig und allein mein Fehler“ und bat ausdrücklich um Verzeihung. „Diese Art der Entschuldigung ist in der Politik selten, aber sehr effektiv“, meint Groß. Ein Negativbeispiel lieferte für ihn der ehemalige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer, der noch 2022 seine umstrittene freundliche Haltung gegenüber Russland während seiner Amtszeit verteidigte. Und auch Schuldzuweisungen zwischen Politikern, wie wir sie nach zwei geplatzten Koalitionsverhandlungen gesehen haben, sieht Groß kritisch: „Das altbekannte Schuld-Pingpong nach Koalitionsverhandlungen ist eine Art Reflex, dem man besser widerstehen sollte.“ Denn Wähler durchschauen die ewige Sündenbock-Leier und die Politikverdrossenheit wächst weiter. Vielleicht sollten es heimische Politiker einmal mit einer anderen Strategie versuchen und Verantwortung für Fehler übernehmen. Zumindest würden sie dadurch aus der Menge der heimischen Entscheidungsträger herausstechen.