Wer will heute noch Chef werden?
Chefsein ist ein 24/7-Job. Erreichbar rund um die Uhr, immer eine Antwort auf alle Fragen parat – ganz egal, ob es neun Uhr morgens oder ein Uhr in der Nacht ist. Ehrgeizig, extrovertiert, souverän, über alle Maßen selbstbewusst und schon auch autoritär, eine Respektsperson mit Durchsetzungsvermögen, strategischem Denken und Charisma. Dieses Bild von Führungskräften und Bossen herrscht in der Gesellschaft vor. Ein immer laufendes und dauerlächelndes Duracell-Häschen zu sein, mit einem Mega-Gehalt, aber keine Zeit, um es auszugeben. Darauf haben immer weniger Bock – vor allem die Nachwuchsgeneration nicht. In Zeiten der leer gefischten Personalteiche, in denen um jede Arbeitskraft, um jedes Talent gekämpft wird, wird auch die Suche nach den Alphamännern und -frauen immer schwieriger bis unmöglich. Gleichzeitig gehen ausgerechnet die „Duracell-Bosse“ der Babyboomer-Generation in Rente. Doch die Karriereträume jener, die nachrücken sollen, beinhalten eher Kreativität und Gestaltungsfreiraum statt Hamsterrad, Selbstverwirklichung statt Mega-Gehalt und Zeit für die Familie statt Schufterei.
Große Transformation der Arbeitseinstellung
„Es hat eine große Transformation der Arbeitseinstellung stattgefunden“, stellt Erich Lehner, Partner und Geschäftsführer von Ernst & Young Österreich sowie Managing Partner von EY Linz, fest. „Die Jungen ticken einfach anders.“ Dass sie keinen Führungswillen zeigen, würde er so nicht unterschreiben, „aber die Tendenz, in der ersten Reihe zu stehen, nimmt ab“. Das beobachtet auch Bertram Klinger, Geschäftsführer der Linzer Recruiting-Agentur Trescon: „Führung versus Verantwortung – das ist nicht dasselbe. Die Jungen wollen sehr wohl Verantwortung übernehmen, aber nicht zwingend eine Führungsrolle.“ Gründe dafür gibt es laut Lehner und Klinger mehrere: An erster Stelle steht das geflügelte Wort „Work-Life-Balance“, das viele Unternehmer nicht mehr hören können, aber hören müssen, wenn sie nicht bald ohne Führungskräfte dastehen wollen.
Führung versus Verantwortung – das ist nicht dasselbe. Die Jungen wollen sehr wohl Verantwortung übernehmen, aber nicht zwingend eine Führungsrolle.
Führungskräfte wollen keine 60-Stunden-Woche
Mit Geld allein lassen sich viele nicht mehr in die Chefetage locken. Headhunter Klinger: „Ich habe nicht selten Kandidaten, die 100.000 Euro plus verdienen und sagen: Ich will zwei Tage Homeoffice pro Woche und möchte nur 40 und nicht 60 Stunden pro Woche arbeiten. Auch bei diesem Gehaltslevel kommen diese Work-Life-Balance-Anforderungen immer häufiger. Auch Führungskräfte sagen heute ganz klar: Ich mache nicht mehr alles nur der Karriere wegen.“ Doch damit würden viele Eigentümer oder Entscheidungsträger in Konzernen noch nicht umgehen können. Klinger: „Bei den Mitarbeitern hat man das mittlerweile akzeptiert, bei Führungskräften verlangt man jedoch noch immer einen Übereinsatz.“ Rund 418.000 Führungskräfte gibt es in Österreich laut Sora Institut. Für ein Drittel der Manager sind Überstunden keine Ausnahme, so das Ergebnis des Führungskräfte Monitors: 33 Prozent machen laut eigenen Angaben häufig Überstunden. Der Anteil steigt mit der Anzahl der Mitarbeiter. Damit nicht genug: Ein Drittel berichtet zudem von Zeitdruck, wechselnden Arbeitsabläufen, technischen und organisatorischen Veränderungen, seelisch belastender Arbeit und Unterbrechungen der Freizeit.
Teilzeitmanager vor allem für Frauen interessant
In den Unternehmen sei laut Erich Lehner ein Umdenken zwingend notwendig, sonst könne man die Jungen nicht halten. „Das hat umwälzende Auswirkungen auf die gesamte Arbeitswelt, Abläufe, Strukturen und Unternehmenskulturen.“ Auch bei EY habe man die Arbeitszeitmodelle angepasst, Workation und Sabbatical sowie Dienstfahrräder eingeführt. Die 4-Tage-Woche werde gerade diskutiert – und auch das Konzept „Teilzeitmanager“: „Wir müssen weg davon, dass eine Führungsposition nur Vollzeit möglich ist.“ Damit würden diese natürlich auch für Frauen mit Kindern interessant – ein Potenzial, das bisher nicht ausgeschöpft wird. In den vergangenen fünf Jahren waren laut Gender Leadership Gap 48 Prozent aller Beschäftigten in Österreich Frauen, aber nur 35 Prozent der Führungskräfte. Dieser Wert hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verändert. Und dieses Ungleichgewicht zieht sich – abgesehen vom Unterrichtswesen – durch alle Branchen. Die typischen Führungskräfte und Manager sind nach wie vor männlich, über 50, haben mindestens Matura und keinen Migrationshintergrund. Diese Gruppe ist zwar nur mit einem Anteil von fünf Prozent in der Erwerbsbevölkerung vertreten, stellt aber 16 Prozent aller Führungskräfte. Dabei ist der Nutzen von Diversität längst bewiesen: Gibt es in den Führungsetagen mehr gemischte Teams, steigt die Wahrscheinlichkeit für überdurchschnittlich hohe Erträge. Dasselbe gilt übrigens für Migranten: Unternehmen mit diversen Belegschaften erzielen bis zu einem Drittel mehr Gewinn als solche, die völlig homogen sind.
Manager mögen keine Kontrollfreak-Eigentümer
Trotz Mehrarbeit und Übereinsatz sind die Führungskräfte laut dem Arbeitsklima Index zufriedener als Beschäftigte ohne Führungsaufgaben – und zwar nicht nur mit ihrer Bezahlung, sondern vor allem mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten, ihrer sozialen Position, ihren Rechten, ihren Weiterbildungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Vor allem Gestaltungsfreiheit und Entwicklungsmöglichkeiten sind zwei Argumente, mit denen Headhunter Klinger Kandidaten zum Wechseln animieren kann: „Natürlich muss das Gehalt passen, aber Geld, Position und Aufstiegsmöglichkeiten sind nicht mehr das allein Entscheidende, sondern mindestens genauso die Soft Facts: Wie frei kann ich agieren? Welche Entwicklungsmöglichkeiten habe ich? Kann ich gestalten? Gibt es eine Vision des Eigentümers und klare Ziele?“ Manager könnten Kontrollfreaks als Eigentümer oder Aufsichtsrat gar nicht mehr leiden. „Vergessen wird oft, dass für Führungskräfte wie für alle Mitarbeiter Wertschätzung sehr wichtig ist.“
Derzeit wird Polen nach MINT-Kräften abgegrast
Das beginne schon beim Erstkontakt: Auf eine Nachricht via LinkedIn reagieren gefragte Kandidaten längst oft nicht mehr – sie bekommen zu viele davon. Deswegen setzt Trescon im Recruiting auf Direktansprache und das Kontaktieren per Telefon. Das Unternehmen mit Sitz in Linz und Standorten in Wien, St. Pölten und Salzburg besetzt jährlich rund 200 Stellen. Außerdem ist die Personalberatung Teil eines weltweiten Headhunter-Netzwerks. Im gezielten Headhunting geht es um eine sehr viel gezieltere Vorgehensweise als beim Active Sourcing, bei dem hauptsächlich Recherche im Internet, vor allem auf Business- und Jobplattformen betrieben werde. „Wir recherchieren interessante Zielfirmen und suchen dort gezielt nach den Führungskräften und Schlüsselpositionen. So finde ich auch Personen, die kein Online-Profil haben. Wir sehen uns den kompletten Markt an.“ Das klassische Headhunting werde wieder mehr, um die geeigneten Kandidaten auch abseits von Social Media zu finden. Trescon sucht zu 50 Prozent Führungskräfte, die andere Hälfte sind Schlüsselpositionen, also Fachkräfte mit besonderen Kompetenzen. Während die Nachfrage der Unternehmen im Führungskräftebereich seit Jahren konstant hoch sei, sei die nach Schlüsselkräften enorm gestiegen. Hauptsächlich „fische“ man im deutschsprachigen Raum, weil oft die Sprache das limitierende sei. „Wir hatten aber auch schon Besetzungen aus Brasilien oder Indonesien“, so Klinger. Derzeit sucht Trescon in Polen gezielt nach MINT-Kräften und will sie dafür interessieren, nach Österreich zu kommen.
Zeit des autoritären Führungsstils ist vorbei
Ein weiterer Punkt, warum auch immer mehr Respekt und teils auch Angst vor dem Sprung auf den Chefsessel herrscht: „Führen wird immer schwieriger. Man hat so viele unterschiedliche Themen und Ansprüche der Mitarbeiter“, weiß auch Klinger. „Das individuelle Führen braucht viel Zeit und Energie.“ In flachen Hierarchien ist die Zeit von autoritären Führungsstilen vorbei. Chefs schaffen also nicht mehr nur an, sondern sollen dafür sorgen, dass die Mitarbeiter die Ziele des Unternehmens verstehen, möglichst motiviert sind und effektiv zusammenarbeiten. Soziale Fähigkeiten sind da ein Muss bis hin zu psychologischen Führungsqualitäten. Wissenschaftler des Imperial College London, der Cornell University und der Harvard University haben für eine Forschungsarbeit Stellenausschreibungen analysiert: In den vergangenen zwei Jahrzehnten wird demnach immer mehr Gewicht auf soziale Fähigkeiten gelegt. Doch so ganz scheint das in österreichischen Unternehmen noch nicht angekommen zu sein. Laut einer Umfrage von Deloitte unter 150 Führungskräften halten zwei Drittel der Befragten beim Recruiting für Spitzenpositionen Führungswillen, breiten Blickwinkel und Entschlossenheit am relevantesten. „Es überrascht nicht, dass die Persönlichkeit der Bewerber eine so große Rolle spielt. Für Spitzenpositionen müssen klare Führungsqualitäten mitgebracht werden“, erklärte Gudrun Heidenreich-Pérez, Director bei Deloitte Österreich, zur Studie. „In einer sich wandelnden Wirtschaft sind Mut zu Innovation und eine gewisse Risikobereitschaft entscheidend für einen langfristigen Erfolg. Doch die heimischen Chefetagen setzen überwiegend auf Sicherheit und klassische Führung.“
Junge wünschen sich einen einfühlsamen Chef
Einfühlsamkeit, kommunikative Kompetenz und überlegtes Handeln – das ist das, was sich die 16- bis 29-Jährigen laut einer Umfrage des Instituts für Jugendkulturforschung Wien von ihren Chefs wünschen. Die Zeiten von cholerischen Narzissten, die autoritär bis totalitär eine Abteilung oder Unternehmen führen, ganz egal, wie es den Mitarbeitern geht, sind definitiv vorbei – auch wenn es noch genug solche Exemplare gibt. Kognitive Fähigkeiten, operatives Geschick, Finanz- und Fachwissen – so weit, so gut. Doch beim Thema „Mitarbeiterführung“ fühlen sich viele nicht ausreichend ausgebildet. „Viele Unternehmen haben tolle Akademien und bereiten ihre Führungskräfte gut vor – viele machen es aber auch gar nicht“, bemängelt Klinger. Nicht selten würden Kandidaten sagen: Ich will diese Führungsposition, brauche aber eine entsprechende Zusatzausbildung.
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