Von Bullen, Elefanten & Eseln
Der „Charging Bull“, die Skulptur in der Wall Street, ist ein Symbol für den Unternehmergeist der USA. Schon bald wird man sehen, mit wem der Bulle die nächsten vier Jahre leben muss – mit einem Esel (dem Wappentier der Demokraten) oder einem Elefanten (dem Wappentier der Republikaner). Aktuell hat er Zeit, sich über ein stärkeres BIP-Wachstum als erwartet, niedrige Arbeitslosenzahlen, positive Aussichten und Börsen auf zwischenzeitlicher Rekordfahrt zu freuen. Die USA haben Grund zum Jubeln. Die ganzen USA? Donald Trumps Freude hält sich in Grenzen. Traditionell wählen die US-Amerikaner in wirtschaftlich guten Zeiten die Partei des Amtsinhabers. Trump spricht daher die noch immer hohen Preise in den Supermärkten und an den Zapfsäulen an. Die Vereinigten Staaten hatten, ähnlich wie Europa, mit hoher Inflation zu kämpfen. Joe Bidens IRA (Inflation Reduction Act) steuerte der Entwicklung entgegen. Von einem Höchstwert von 9,3 Prozent sank die Inflation auf aktuell 2,5 Prozent. Angekommen ist das vor allem bei niedrigen Einkommensschichten noch nicht. Auch die kürzliche Zinssenkung durch die FED, die Trumps Team unbedingt nach der Wahl sehen wollte, spricht für Kamala Harris. Die FED hat den Leitzins um 0,5 Prozent auf 4,75 Prozent gesenkt. Bis 2025 soll er auf 3 Prozent fallen. Ein Effekt, der sofort an den Börsen spürbar war. Aktien werden durch diesen Schritt wieder attraktiver im Vergleich zu Anleihen, Unternehmensfinanzierungen und Investitionen ebenso günstiger, genauso wie der -private Hausbau.
Kuriose Börsenphänomene
Doch wirkt sich auch der Wahlkampf auf die Börsen aus? Auf den US-Aktienmärkten gibt es immer wieder -kuriose Entwicklungen, wie etwa den Super-Bowl-Indikator. Kurz gesagt: Gewann ein Team der National Football Conference (NFC), schloss der Dow Jones signifikant öfter positiver ab, als wenn der Sieger aus der American Football Conference (AFC) kam. Die Durchschnittsperformance des Dow Jones lag bei einem NFC-Gewinner fast dreimal so hoch wie bei einem AFC-Sieger. Erklärbar ist dieses Phänomen nicht. Börsen haben eben auch ein irrationales Element. Aktuell spannender als NFC oder AFC ist der sogenannte „Präsidentschaftszyklus“. Tatsächlich gibt es signifikante Muster, wie sich der Dow Jones in Wahlzeiten entwickelt.
Präsidentschaftszyklus
Kurz gesagt: In Vorwahljahren steigt der Dow Jones am stärksten an (Gewinnwahrscheinlichkeit durchschnittlich 83 Prozent). In Wahljahren liegt die Gewinnwahrscheinlichkeit bei rund 66 Prozent. Nach der Wahl geht es wieder bergab, die Performance sinkt (Gewinnwahrscheinlichkeit: 52 Prozent), in den Zwischenwahljahren liegt sie bei 59 Prozent. Kann sich Kamala Harris bis zur Wahl am 5. November auf die noch guten Börsendaten verlassen? Bedingt: Für sie spricht, dass November und Dezember statistisch fast immer die besten Monate der US-Börsen sind sowie die nach wie vor stabil guten Wirtschaftsdaten. Unsicher hingegen sind die geopolitischen Faktoren, speziell im Nahen Osten. Hier crashen zwei Konzepte aufeinander: Während der amtierende Präsident Joe Biden einen Angriff auf Nuklearanlagen des Mullah-Regimes kategorisch ausschließt, verspricht Donald Trump, „dieses Land in Stücke zu bomben“.
Absturz der Mag-7?
Abgesehen vom Wahlkampf macht sich an den Börsen ein Ende der KI-Euphorie bemerkbar. Manch ein Analyst spricht von einer ähnlichen Entwicklung wie einst beim Platzen der „Dotcom-Blase“. Das betrifft auch die „Magnificent Seven“. Die sieben stärksten Aktien im S&P500 (Apple, Amazon, Alphabet, Nvidia, Meta, Microsoft und Tesla) spüren Gegenwind. Im Sommer verloren die Papiere 10,2 Prozent an Wert, während die oft im Schatten stehenden restlichen Werte des S&P500 um 4,3 Prozent zulegten. Kevin Gordon, Stratege bei Charles Schwab, sprach von der größten Underperformance der Magnificent Seven, räumte aber ein: „Auch wenn die Mega-konzerne nicht so viel beitragen, so lange es dem Rest des Marktes gut geht“, sei das eine gesunde Entwicklung, wie Reuters berichtet.
Wall Street bekennt Farbe
Die Wall Street bringt sich vor der US-Wahl jedenfalls schon in Stellung. In den USA deklarieren sich – nicht zuletzt aufgrund des spendengetriebenen Wahlkampfes – Unternehmen oft sehr eindeutig für eine der beiden Parteien. Die alten, eingefahrenen Fronten zwischen der klassischen „Old Economy“, der Industrie bzw. der Energiewirtschaft auf der republikanischen Seite, und der traditionell eher demokratischen Tech-Konzerne weicht dabei immer mehr auf. Die Grenzen werden durchlässiger. Kamala Harris bekommt Rückenwind – und finanzielle Mittel – von Wall-Street-Granden wie George Soros, LinkedIn-Co-Gründer Reid Hoffman, Brad Karp oder Evercore-Gründer Roger Altman. Zuletzt machte sich Milliardär und Serial--Entrepreneur Marc Cuban für -Harris stark. Cuban ging kürzlich viral, als er auf Trumps „Haussender“ FOX News Trumps Zollpolitik zerriss und sie als „Definition von Schwachsinn“ bezeichnete.
Trumps „Broligarchs“
Trump hingegen kann auf seine – „Broligarchs“ genannten – Unterstützer wie Elon Musk, Peter Thiel, Blackstone-Chef Stephen Schwarzman bzw. Öl-Tycoon Harold Hamm setzen. Hamms Loyalität zu Trump ist sogar so groß, dass er ihm bei der Stellung von Kautionen diverser aktueller und kommender Prozesse unter die Arme griff. Der Einfluss dieser Granden ist durchaus sichtbar. Trumps „Running Mate“, also sein Vizepräsidentschaftskandidat, J. D. Vance wurde von seinem Ex-Arbeitgeber Peter Thiel (der auch Sebastian Kurz auf seiner Gehaltsliste hatte) vorgeschlagen. Das Match um die Unterstützer der eher konservativ und republikanisch orientierten Wall Street scheint also unentschieden.
Keynes vs. Hayek
Unentschieden scheint auch noch der Wahlausgang zu sein. Das US-Wahlsystem des „Electoral College“, sprich das „Wahlmännersystem“ das aus den Bürgerkriegszeiten stammt, um einen Ausgleich aus Nord- und Südstaaten zu gewährleisten, lässt noch keine deutlichen Aufschlüsse zu. In wirtschaftspolitischen Themen prallen jedenfalls zwei Welten aufeinander. Trump lässt dabei keine Gelegenheit aus, um die ökonomischen Pläne seiner Konkurrentin als marxistisch und linksradikal zu brandmarken. Tatsächlich ist der ökonomische Plan von Harris – angelehnt an die Wirtschaftspolitik von Joe Biden – protektionistisch. Sie will mit dem „Price Gouching“, also der Preistreiberei, aufräumen und große Lebensmittelkonzerne, welche die Preise künstlich hoch halten, bestrafen. Für Republikaner ist das ein Eingriff in den freien Markt, weshalb sie diesen Vorschlag als „nordkoreanisch“ bezeichnen. Weiters will Harris in den Wohnbau investieren und kleinen Startups mit Steuerabzügen von bis zu 50.000 US-Dollar unter die Arme greifen.
Zölle als Heilsversprechen
Trumps wirtschaftliches Kernthema ist eine Einführung von hohen Zöllen, um chinesische und europäische Waren vom Markt fernzuhalten. Ein Plan, den selbst Trump-Supporter für gefährlich halten. Und noch etwas steht auf Trumps Wirtschaftsagenda. Er will Steuern für Superreiche deutlich senken – ganz im Gegenteil zu Harris. Ein Versprechen, das Trump schon bei seiner ersten Präsidentschaft eingelöst hat. Er senkte die Körperschaftssteuern von 35 auf 21 Prozent. Trump -senkte auch die Einkommensteuern, indem er den Freibetrag verdoppelte. Wie sich -diese Steuerpläne ohne Pandemie ausgewirkt hätten, darüber kann man nur spekulieren. Das ersehnte Jobwunder gab es Covid-bedingt nicht, dafür explodierte das Defizit – wie auch unter Joe Biden. Viele große US-Unternehmen nutzten Trumps Steuersenkungen, um Aktien zurückzukaufen. Das stärkte nicht nur die Kernaktionärsstruktur, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der USA gesamt. Die Vereinigten Staaten sind heute deutlich die wirtschaftlich stärkste Nation der Welt und werden das wohl auch die nächsten vier -Jahre bleiben – egal ob sich die US-Bürger für protektionistische oder neoliberale Wirtschaftspolitik entscheiden.