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Programmiersprachen
James S. Davis, Public domain, via Wikimedia Commons, Jeff Kubina from Columbia, Maryland, CC BY-SA 2.0, enot-poloskun / E+ / Getty Images

Jurassic (Software) Park

25.11.2024 um 08:58, Jürgen Philipp
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Warum verdienen Experten, die jahrzehntelange Programmiersprachen beherrschen, mehr als ihre Kollegen? Weil Uraltsprachen die Basis unserer IT-Landschaft sind.

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Welche Rolle könnte eine 1959 entwickelte Programmiersprache heute noch spielen? Ist das nicht wie Latein oder Altgriechisch eine „tote Sprache“? Von wegen. Schätzungen zufolge wickelt jene COBOL (Common Business Oriented Language) genannte Sprache, heute noch immer mehr als 70 Prozent aller Geschäftstransaktionen ab. Die führende Entwicklerin, Grace Hopper, wird als „Grandma Cobol“ bezeichnet und erfand sie im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums. Cobol gilt als unsterbliche Sprache. Wie unsterblich, zeigte sich zur Pandemie: Kreditkartenfirmen, Börsen, Banken und sogar US-Ministerien suchten wie verrückt nach Cobol-Spezialisten. Der Boom des Onlinehandels und die Abwicklung von Kurzarbeit bzw. anderer arbeitsmarkttechnischer Maßnahmen brachten die Systeme zum Erliegen. Cobol-Experten wurden massenweise aus dem Ruhestand geholt, um das System für den Ansturm zu rüsten. Die textbasierte Sprache ist heute in cloudbasierten Services ebenso zu Hause, wie beim modernen Onlinebanking. Cobol durch neuere Sprachen zu ersetzen, war oft mit teuren Maßnahmen verbunden oder gar zum Scheitern verurteilt.

Von nun an geht’s Fortran

Doch es geht noch älter. Zwar war die erste Programmiersprache der Welt der von Konrad Zuse entwickelte Plankalkül, allerdings noch auf Papier. Als erste „höhere“ Sprache geht aber Fortran (Formula Translation) in die Geschichte ein. John Backus begann damit 1954. Drei Jahre später erschien sie auf einer Magnetkassette. Kurioserweise ist Fortran – nach diversen Evolutionsstufen – dort im Einsatz, wo moderne Codes anstehen, etwa bei besonders komplexen numerischen Anwendungen. Ein Comeback feierte Fortran bei komplexen Klimamodellierungsprogrammen. Funktionen von Fortran flossen bei der Entwicklung eines weiteren Klassikers ein: „C“ bzw. später „C++“. Auch Java und Python nutzen teilweise die Logik von John Backus Errungenschaft. 

Die „lisp“elnde Python

Ein weiterer Dinosaurier der Programmiersprachen ist LISP (auch LISt Processor genannt). Was die 1958 von John McCarthy entwickelte Sprache mit KI zu tun hat? McCarthy gilt als Pionier der KI und führte mit Lisp erstmals Listenstrukturen ein. Dazu kam die Rekursion. Beides benötigt man für die funktionale Programmierung, die Basis für moderne Sprachen. Lisp ist dabei äußerst flexibel. Verändernde Datenstrukturen lassen sich damit effizient bearbeiten. McCarthys Entwicklung hat Pyhton, Clojure und Scheme beeinflusst und war die erste Sprache der frühen KI-Forschung. Ohne Lisp, so sind sich Experten einig, wäre KI heute nicht auf dem Stand, auf dem sie ist.

Gesuchte Sprachgenies

Entwickler, die eine oder all diese Sprachen beherrschen, sind dabei keineswegs aus der Zeit gefallen, sondern gefragte Spezialisten. Auch Kenner von Uralt-Systemen wie RPG oder IBM i benötigt der Markt. Sie halten bestehende, bewährte -Sys-teme am Laufen und helfen, die Dinos in eine moderne technologische Infrastruktur zu integrieren. Doch warum ersetzt man sie nicht einfach? Der IT-Experte Pierre Grunau schildert das im Rahmen eines Interviews mit dem Rathbacher Blog. „Das hat mehrere Gründe. Zum einen handelt es sich um Code, der über Jahrzehnte entstanden ist und dementsprechend teuer war. Zum anderen werden die Programme aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen permanent weiterentwickelt. Ändert sich zum Beispiel das Sozialgesetzbuch, ist der Code anzupassen.“ Wenn Behörden oder Firmen Cobol, Fortran und Co ersetzen wollen, müssen sie zuerst das zugrunde liegende Datenmodell verstehen. Grunau schildert, dass solche Projekte bis zu zehn Jahre dauern können. „Hierbei kommt es gerne vor, dass den Unternehmen bei den Ressourcen die Luft ausgeht.“ Als Beispiel bringt er das deutsche Steuerrecht, eines der umfangreichsten der Welt, das sich ständig im Wandel befindet. Würde man Cobol und Fortran ersetzen, würde man ein enormes Risiko eingehen. Die Großmütter und Großväter der Programmiersprachen bleiben also echte Evergreens.

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