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Im Zuge der Signa-Pleite kamen 6.404 Exponate in 23 Auktionen unter den Hammer, von Zigarren bis zu Schnee-kugeln und Klobürsten.
Im Zuge der Signa-Pleite kamen 6.404 Exponate in 23 Auktionen unter den Hammer, von Zigarren bis zu Schnee-kugeln und Klobürsten.
Im Zuge der Signa-Pleite kamen 6.404 Exponate in 23 Auktionen unter den Hammer, von Zigarren bis zu Schnee-kugeln und Klobürsten.
AURENA.AT / APA / picturedesk.com

Quotenregelung: Insolvenzbewertungen

25.09.2024 um 13:38, Jürgen Philipp
min read
Die Insolvenzwelle rollt. Um den Wert der Masse festzustellen, braucht es Spezialisten wie Robert Golda. Der Experte gewährt einen Blick hinter die Kulissen.

Es ist Jänner 2024: Aus dem Wiener Palais Harrach sieht man Menschen mit Signa-Fußmatten, -Klobürsten und -Schreibtischsesseln herausspazieren. Es kam unter dem Hammer, was unter den Hammer musste. Die bewegliche Masse des in die Pleite gerutschten Immobilienkonzerns stand zur Verwertung an. Ein Procedere, welches das Insolvenzgesetz vorschreibt. Signa-Schneekugeln um 991 Euro, ein Abhörschutz für Smartphones um 7.646 Euro und sogar vier Ausgaben des „profil“ mit der Titelstory namens „Buhmann Benko“ um 70 Euro waren nur einige der insgesamt 6.404 Exponate, die in 23 Auktionen unter den Hammer kamen. 107.802 Gebote wurden dafür abgegeben. Abgewickelt wurde die Masseverwertung vom Auktionshaus Aurena Group. Aurena war es auch, welche die Masse der kürzlich in die Pleite gerutschten traditionsreichen Pflugfabrik Regent verwertet hat. Doch nicht nur das, das Auktionshaus versteigerte auch Expo­nate für den guten Zweck: ein Dirndl von Schlagerstar Melissa Naschenweng, eine Gitarre von Opus oder ein Wohnzimmerkonzert von Pizzera und Jaus etwa. Die „Spezialität“ des Hauses bleibt aber die Insolvenzverwertung.

Alles muss raus

Die aktuelle Insolvenzwelle bedeutet Hochkonjunktur für die Verwerter und Verwertungsplattformen. Im ersten Halbjahr 2024 stieg die Zahl der Firmenpleiten um 26 Prozent. 3.298 Unternehmen waren betroffen, vom EPU bis zum Immobiliengiganten. Besonders hart trifft es die Baubranche und das Baunebengewerbe. Eine Branche, die Robert Golda wie ­seine Westentasche kennt. Golda hat derzeit alle Hände voll zu tun. Der Sachverständige ist einer der wenigen Massebewerter in Österreich. Bevor Exponate unter den Hammer kommen, ist er im Einsatz, um diesen im Auftrag des Masseverwalters ein „Preisschild“ zu verpassen. „Ich ­komme aus dem Baumaschinenhandel und war später bei einem Gebrauchtmaschinenhändler tätig. Ein Bankdirektor hat mich schließlich gefragt, ob ich nicht eine Maschine – einen Leasingrückläufer – schätzen kann.“ Das war die Initialzündung für seinen neuen Karriereweg. Heute ist der in Mondsee beheimatete Sachverständige zu 90 Prozent für Masseverwalter im Einsatz. Ein kleiner Teil seiner Gutachten geht an Banken oder auch Privatpersonen. Waren es anfänglich vor allem Baumaschinen, schätzt der 59-Jährige mittlerweile Exponate aus allen erdenklichen Branchen. „Es gibt natürlich Spezialbereiche, wo man ­externe Gutachter und Fachexperten hinzuziehen muss, doch die kosten Geld und der Masseverwalter muss auf die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens achten.“

Als ich vor Jahren begann, vorsichtig bei Masseverwaltern nachzufragen, ob sie mein Know-how benötigen würden, meinte der Erste: Sie schickt der Himmel.

Robert Golda, Insolvenzbewerter
Robert Golda, Insolvenzbewerter
Robert Golda, Insolvenzbewerter

Was kostet ein Gebrauchtjet?

So schätzte Robert Golda schon einmal einen Privatjet, der bei der Insolvenz eines Bauunternehmens in der Gerätehalle zwischen Baufahrzeugen und Lkw stand. „Dafür gibt es eine eigene blue list, mit der man den Wert des Fliegers ziemlich exakt bestimmen kann.“ Diese Listen gibt es aber nicht für alle Gerätschaften. „Bei Baumaschinen gab es einmal den Versuch, Bewertungslisten zu erstellen. Doch es kommt sehr stark auf den Einsatz an. Ein Radlader in der Papierindustrie, der Hackschnitzel bewegt, ist anders zu bewerten als einer im harten Umfeld des Tunnelbaus. Da geht es viel um den Verschleiß.“ Bei Mobilien wie Lkw oder Pkw tut sich Golda leichter, wenngleich es auch hier zu Abwertungen kommen kann. Abgesehen vom tatsächlichen Zustand muss Golda dabei stets die Marktlage im Auge behalten. „Man versucht meistens von historischen Werten auszugehen, doch das klappt nicht immer. 2008, während der Wirtschaftskrise, lag die Transportbranche darnieder. Es kamen extrem viele Lkw und Sattelzugmaschinen auf den Markt. Der Preis war dadurch im Keller. Man braucht daher immer ein Gespür für die Gesamtsituation.“ Dennoch bleiben die Verwerter nur ganz selten auf den Exponaten „sitzen“. Die Verwertung betrifft Golda nicht mehr: „Mein Job ist zu 99 Prozent nach Abgabe meines Gutachtens erledigt“. Die aktuelle Insolvenzwelle zeigt aber Wirkung für die späteren Verwerter: „2024 ist extrem. Verwerter bekommen im Schnitt 25 Prozent weniger für vergleichbare Exponate als im Vorjahr.“

Robert Golda muss nicht  nur den Wert der Exponate,  sondern auch die aktuelle Marktlage richtig einschätzen.
Robert Golda muss nicht nur den Wert der Exponate, sondern auch die aktuelle Marktlage richtig einschätzen.

„Insolvenzcluster“ 

Im Laufe der Jahre stieß der Sachverständige immer wieder auf gewisse „Insolvenz­cluster“. „Als es der Holzindustrie, speziell den Sägewerken, schlecht ging, waren die Maschinen kaum verwertbar.“ Dazu kam vorher das „Bäckersterben“ und aktuell „zwickt“ es auch spürbar beim Handel. „Viele große Supermarktketten kaufen nun direkt beim Hersteller ein, der Zwischenhandel fällt weg und das spürt man.“ Generell stellt er fest: „Für Unternehmer ist es derzeit schwerer zu planen.“ Besonders hart ist die Baubranche betroffen. „Man darf nicht vergessen, was da alles dranhängt, vom Zimmerer bis zum Ziegelhersteller, dem Erdbau oder der Markisenfirma.“ Golda bekommt dabei oft einzigartige Einblicke in die verschiedensten Geschäftsmodelle: „Ich lerne Branchen kennen, die ich vorher nicht am Schirm hatte.“ So etwa bei einem großen Apfelbetrieb, der von fast 3.000 Bauern beliefert wurde. „Da lernte ich, dass jeder Apfel durchleuchtet wird, um die außen nicht sichtbare Braunfäule zu vermeiden.“ Selbst Prototypen, für die es keinen offiziellen Marktwert gibt, muss Golda unter die Lupe nehmen. Etwa eine Geldzählmaschine, die der Erfinder an eine Bank vermietet hat, um sie dann wieder zurückzukaufen. Goldas Expertise ist gefragt, denn es handelt sich um einen absoluten Mangelberuf. „Als ich vor Jahren begann, vorsichtig bei Masseverwaltern nachzufragen, ob sie mein Know-how benötigen würden, meinte der Erste: ,Sie schickt der Himmel!‘“ Schließlich geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Zeit. Die Masse muss schnell geschätzt werden, denn ihr Wert ist ausschlaggebend für die angebotene Quote. „Ich mache die Fortführungsbewertung und die Bewertung im Zerschlagungsfall. Wenn mehr herauskommt, muss der Gläubiger die Quote erhöhen.“

Mein Terminkalender ist 14 Tage im Voraus leer, weil ich eine gewisse Flexibilität haben muss. Bei Großinsolvenzen ist man schon einmal ein bis zwei Wochen beschäftigt.

Robert Golda, Insolvenzbewerter

Sachverstand ist Trumpf 

Doch wie wird man eigentlich Insolvenzbewerter? Es gibt keine formale Ausbildung. Im Fokus steht die Fachkenntnis, die man auch zu belegen hat. „Eigentlich gibt es keine hohen formellen Hürden. Man muss einen SV-Kurs absolvieren und eine kommissionelle Prüfung im jeweiligen Fachgebiet – in der die Fachkenntnisse abgefragt werden – ablegen. Dann kann ich mich in die SV-Liste eintragen lassen.“ Alle fünf Jahre muss man zu einem Rezertifizierungsverfahren, in dem man seine Tätigkeit und einen einwandfreien Leumund nachweisen muss. „Vieles in unserem Job ist learning by doing. Ich habe anfangs immer versucht, Aufträge anzunehmen, die mir eine Schuhnummer zu groß erschienen, um dazuzulernen, sonst entwickelt man sich nicht weiter.“ Und man muss stets in Bewegung bleiben – Golda ist österreichweit im Einsatz. „Mein Terminkalender ist 14 Tage im Voraus leer, weil ich eine gewisse Flexibilität haben muss. Bei Großinsolvenzen ist man schon einmal ein bis zwei Wochen beschäftigt.“

25 Prozent geringere Endpreise erzielen Masseverwerter derzeit im Vergleich zum Vorjahr.
25 Prozent geringere Endpreise erzielen Masseverwerter derzeit im Vergleich zum Vorjahr.

Sachlich und doch emotional 

Bei aller Nüchternheit und „Sach“lichkeit – nomen est omen –, die Insolvenz-„Sach“verständige an den Tag legen müssen, manchmal geht auch dem Routiniertesten seines Faches ein Fall an die Nieren. „Vor allem bei Startups. Sie haben oft ein so hohes Innovationspotenzial, doch viele schaffen den Markteintritt nicht.“ Golda berichtet von einem jungen Unternehmen, das eine spezielle Alufolie auf den Markt brachte, welche die Sicherheit von Autotanks oder Propangasflaschen deutlich erhöhen ­könnte. „Man erinnert sich vielleicht noch an die riesigen Tanks der Raffinerien, die während des Golfkriegs in Flammen standen. Die konnte man nicht mehr löschen. Das innovative Material hätte das komplette Ausbrennen verhindern können. Das tut dann schon weh, wenn man das Potenzial sieht, aber die Innovation am Markt scheinbar nicht gefragt ist.“ Das Potenzial von potenziell günstigen Exponaten, die in Versteigerungen und Auktionen verwertet werden, ist derzeit hoch. Sobald die Gutachten von Robert ­Golda und seinen Kollegen abgegeben wurden, sind die Verwerter an Zug. Aber nicht immer sind solche Exponate günstig. Eine Signa-­Fußmatte um 2.265 Euro ist schließlich kein Schnäppchen.

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