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Hauptplatz in Linz.
Hauptplatz in Linz.
Hauptplatz in Linz.
Narvikk / iStock / Getty Images Plus

Linz-Attraktivierung: Konsum findet Stadt

23.09.2024 um 14:33, Jürgen Philipp
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Die Stadt Linz arbeitet an einem ambitionierten Konzept zur Attraktivierung der Innenstadt. Ein Bündel von Maßnahmen soll mehr Menschen in die Stadt locken.

Ältere Linzer kennen das: Die Rutsche in der Schuhhandlung Gerlinger, die Spielautomaten im Passage, das Karussell bei Eiler Schuhe, die Rolltreppe im Donaukaufhaus am Hauptplatz – die erste ihrer Art in Oberösterreich überhaupt. Statt in ein Modehaus ging man zum ­„Landa“, benötigte man Sportartikel zum „Eybl“. Namen, die für Branchen standen. So wie die Spielzeughandlung Bayerl oder der Hobby Sommer. Zwei der wenigen letzten Geschäfte dieser Art, die noch heuer bzw. Anfang 2025 die Pforten schließen. Die Gründe sind verschieden: mangelnde Nachfrage, Preiskampf, hohe Mieten, Pensionierungen oder fehlende Nachfolger. Handel ist eben Wandel. „Die Landstraße ist nach wie vor eine der Top-Einkaufsstraßen in Österreich. Die ­Leerstandsquote ist mit 4,1 Prozent noch immer viel niedriger als in anderen Städten, aber wir kennen die Herausforderungen“, erzählt Vizebürgermeister Martin Hajart, zuständig für Mobilität und Verkehr. Herausforderungen, die in Zahlen gegossen sind: „Wir sehen im Zehnjahresvergleich, dass die Wochenfrequenz abnimmt. 2003 wurden in denselben Zeiträumen 215.500 Passanten gezählt, 2013 waren es 199.400 und 2023 nur noch 164.200.“ 

Wir wollen die Aufenthaltsqualität derart gestalten, dass die Menschen gerne in die Innenstadt kommen und sich auch gerne dort aufhalten.

Dietmar Prammer, Linzer Stadtrat
Dietmar Prammer, Linzer Stadtrat
Dietmar Prammer, Linzer Stadtrat

„Broken Window Theory“

Die Stadt hat die Zeichen erkannt und schnürt nun ein Bündel von Maßnahmen, das in einem Innenstadtkonzept zusammengefasst wird. „Wir wollen die Aufenthaltsqualität derart gestalten, dass die Menschen gerne in die Innenstadt kommen und sich auch gerne dort aufhalten“, verrät Planungsstadtrat Dietmar Prammer. Im Fokus steht der südlich ab der Mozartkreuzung liegende Bereich der Landstraße. Martin Hajart zitiert die „Broken Window Theory“ der US-Sozialforscher James Wilson und George Kelling. Diese besagt, dass zerbrochene Fensterscheiben sofort repariert werden müssten, weil sie sonst eine Negativspirale von Zerstörung und Abwertung in Gang setzt. „Im südlichen Teil der ­Landstraße haben wir Probleme mit Randgruppen wie Obdachlose, Suchtkranke bzw. ­Sinti und Roma, vor allem im Volkspark, im Bahnhofspark oder am Schillerpark. Dieser Probleme müssen wir uns professionell annehmen. Wien hat das gut gemanagt, in Linz bleiben diese Menschen oft sich selbst überlassen.“ Ein Obdachlosenheim mit Einzelzimmern, statt bisher mit Mehrfachbelegungen, könnte diese Randgruppen von der Straße fernhalten. Damit sollen auch wieder die Qualität der Geschäfte erhöht und der Branchenmix diversifiziert werden. Begegnungszonen, Begrünungen, Sauberkeit und mehr Sitzgelegenheiten sollen neue Klientel anziehen. „Etwa mehr Familien mit Kindern. Die Landstraße soll zur Kinderlandstraße werden.“ Stundenweise Kinderbetreuung, wie man sie aus den großen Einkaufszentren kennt, und mehr Bewegungsräume für Kinder sollen dazu beitragen.

5 Millionen Besucher verzeichnet das Passage City Center pro Jahr.
5 Millionen Besucher verzeichnet das Passage City Center pro Jahr.

Städtisches Leerstandsmanagement

Um neue Geschäfte in die Innenstadt zu locken, soll ein von Experten vorgeschlagenes Leerstandsmanagement implementiert werden. „Das ist als City Management schon einmal versucht worden, hat aber nicht so gut funktioniert und wurde wieder eingestellt. Wir sind auch im Gespräch mit dem City-Ring, hier eine Stelle zu schaffen, die sich um Leerstände proaktiv kümmert und Kontakte knüpft, um Vermieter und Verpächter anzusprechen“, so Prammer. Das soll auch Auswirkungen auf den Branchenmix haben. Prammer wünscht sich mehr Lebensmittelange­bote jenseits der großen Ketten und einen hochqualitativen Herrenausstatter: „Linz war in den 1950er-Jahren Hochburg der Herrenschneiderei. Auch die eine oder ­andere internationale Modemarke täte der Innenstadt gut.“ Die Qualität der Gastronomie sei gestiegen, so Prammer, wenngleich Hajart sich optisch ansehnlichere Schanigärten wünscht. „Hier könnten wir als Stadt Investitionszuschüsse gewähren, um das Gesamtbild zu verbessern. Wir wollen aber nicht überall eingreifen, doch die Gestaltung des öffentlichen Raums ist unsere Kernaufgabe.“ Dazu zählen auch die Verkehrsströme. Sichtbar wird das bereits im Oktober sein, wenn der Hauptplatz autofrei werden wird. „Eine Einkaufsmeile darf keine Durchzugsstraße sein. Ziel ist es, die Zahl der Fußgänger und damit der Konsumenten zu erhöhen.“

Die Leerstandsquote ist mit 4,1 Prozent noch immer viel niedriger als in anderen Städten, aber wir kennen die Herausforderungen.

Martin Hajart, Linzer Vizebürgermeister
Martin Hajart, Linzer Vizebürgermeister
Martin Hajart, Linzer Vizebürgermeister

Mietpreisbremse für Geschäfte? 

Alexander Stelzer, Inhaber der Buchhandlung Alex am Hauptplatz, die er seit 1987 betreibt, bleibt ein wenig skeptisch: „Der Durchzugsverkehr am Hauptplatz hält sich in Grenzen und die Straßenbahn fährt ja sowieso. Es ginge wahrscheinlich auch in Form einer Begegnungszone. Für das Geschäft spielt es wahrscheinlich keine Rolle. Ich habe hauptsächlich Stammkunden.“ Stelzer gibt aber zu bedenken, dass der Platz dann auch „bespielt“ werden müsse. „Wird der Hauptplatz dann ein Eventplatz? Es gibt bereits viele große Events, die uns aber nicht viel bringen.“ Für Stelzer liegen die Ursachen sinkender Frequenz in oft zu hohen Geschäftsmieten. „Der ehemalige Nespresso Shop im Schmidttor steht schon drei Jahre leer, dabei wäre das ein großartiges Lokal. Vielleicht bräuchte es so etwas wie eine Art Mietpreisbremse.“ Das ­hätte auch Auswirkungen auf den Branchenmix. „Meine Theorie ist: Mit jedem Geschäft, das zusperrt, gehen die ­Kunden nicht woanders hin, sondern verschwinden mit ihnen. In den letzten Jahren haben einige Buchhandlungen in Linz geschlossen, es kamen ­keine ­neuen nach. Die ehemaligen Kunden finden neue Kanäle.“

Meine Theorie ist: Mit jedem Geschäft, das zusperrt, gehen die Kunden nicht woanders hin, sondern verschwinden mit ihnen.

Alex Stelzer, Buchhandlung Alex
Der Standort von Alex Stelzers Buchhandlung am Hauptplatz wird ab Oktober autofrei sein: Auswirkungen auf sein Geschäft sieht er nicht.
Der Standort von Alex Stelzers Buchhandlung am Hauptplatz wird ab Oktober autofrei sein: Auswirkungen auf sein Geschäft sieht er nicht.

Fünf Millionen Kunden

Kein Problem, Leerstände zu befüllen, hat das Linzer Passage City Center. 1963 am heutigen Standort eröffnet, zieht es rund fünf Millionen Kunden pro Jahr an. Gleich nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Pleite der Modekette Esprit, die auch im Passage untergebracht war, meldeten sich die ersten Interessenten bei Centermanagerin Julia Kretz. Der Branchenmix, die Lage und die Parkmöglichkeiten sind für sie die wichtigsten Assets. Doch auch für das erfolgsverwöhnte Haus gilt: „Handel ist Wandel.“ Deshalb erfindet sich das im Besitz der deutschen Hotelgruppe HR Group befindliche Einkaufszentrum gerade neu. „Für das Jahr 2025 ist eine umfassende Modernisierung der Passage geplant, die bei laufendem Betrieb stattfinden wird. Derzeit befinden wir uns in der intensiven Planungsphase für diesen Relaunch, der sowohl architektonische als auch gestalterische Neuerungen sowie eine Neuausrichtung der Mieterstruktur beinhaltet“, erklärt Barbara Harrer von BH Consulting Solution, die als ­externe Projektleiterin den Relaunch durchführt. „Es ist erfreulich, dass bereits viele Anfragen vorliegen. Wir sehen uns als Zugpferd in der Linzer Innenstadt. Fast jeder verbindet eine Geschichte mit der Passage. Der Relaunch wird die gesamte Innenstadt beleben“, ist Kretz überzeugt. Für sie rückt die Stadt als sozialer Treffpunkt wieder verstärkt in den Mittelpunkt. „Es gibt viele Menschen, die das ‚Echte‘ wollen, denen es in der Innenstadt besser gefällt.“ Um diesen Trend fortzusetzen, ist für sie daher die Belebung der Innenstadt durch größere Veranstaltungen sowie kleinere Events von großer Bedeutung. „Mittelfristig soll Linz als attraktiver Standort bekannter werden, um internationale Mieter und große Einzelhandelsketten anzuziehen, die die Stadt bisher noch nicht im Fokus haben.“ 

Wenn jemand vorbeifährt und keinen Parkplatz findet, fährt er zum nächsten Geschäft.

Rudolf Stark, Blumen Stark
Quasi "über Nacht" fielen 55 Parkplätze in der Lederergasse einem Radweg "zum Opfer". Rudolf Stark von Blumen Stark ist dementsprechend wenig erfreut.
Quasi "über Nacht" fielen 55 Parkplätze in der Lederergasse einem Radweg "zum Opfer". Rudolf Stark von Blumen Stark ist dementsprechend wenig erfreut.

Bangen um Laufkundschaft

Als weniger im Fokus stehend, sieht sich Anneliese Stark. Sie gilt als Urgestein der Linzer Unternehmerszene. „Ich bin noch eine vom alten Schlag“, meint die gelernte Floristin, die seit 1981 selbstständig ist. Die Familie betrieb in dieser Zeit eine Trafik, mehrere Blumengeschäfte, einen Baggerverleih und den – bei Linzer Teenagern der 80er- und 90er-Jahre in legendärer Erinnerung bleibenden – Spielsalon „Come In“. Heute führt sie mit ihrem Sohn Rudolf in der Lederergasse – abseits der hochfrequenten ­Landstraße – „Blumen Stark“. Sie kennt die alteingesessenen Unternehmerfamilien in der Innenstadt und es ist ihr leid um jedes einzelne Traditionsgeschäft, das seine Pforten schließt. „Es geht vielen Fachgeschäften wie uns. Kunden kommen, lassen sich beraten und bestellen dann im Internet.“ Und dann gäbe es noch unvorhersehbare Faktoren, die Geschäften das Leben schwer machen, wie die Starks kürzlich feststellen mussten. Ein Fahrradweg entstand „faktisch über Nacht“ vor ihrer Geschäftstüre. „Wir bekamen vorher nur ein Informationsschreiben der WKO, dass etwas geplant sei. Niemand war eingebunden, auch nicht die Bewohner rundherum“, erzählt Rudolf Stark. Der Effekt: 55 Parkplätze mussten weichen. Nur noch zwei Halteplätze gibt es vor dem Haus, nur zehn Minuten dürfen die Kunden ­halten. Diese teilt man sich mit der Pizzeria Adria, dem angrenzenden ­Billa sowie einem Ärztezentrum. Das kostet Laufkundschaft. „Wenn jemand vorbeifährt und keinen Parkplatz findet, fährt er zum nächsten Geschäft.“ 

Fast jeder verbindet eine Geschichte mit der Passage. Der Relaunch wird die gesamte Innenstadt beleben.

Julia Kretz, Centermanagerin Passage City Center
Julia Kretz, Centermanagerin Passage City Center
Julia Kretz, Centermanagerin Passage City Center

Aus 55 Parkplätzen … 

Blumen Stark lebt von treuen Stammkundschaften. Stammkundschaften, die öfters auch große Kränze, Gestecke und schwere Blumenarrangements ordern. „Die kann man nicht durch die halbe Stadt tragen.“ Und ein weiteres praktisches Problem kommt dazu. „Wir werden täglich frisch von einem Linzer Großhändler mit Schnittblumen beliefert. Einmal pro Woche mit Topfpflanzen.“ Sind die Halteplätze voll, heißt es warten. Findet der Lieferant eine Lücke, ist man mit dem Ausladen nicht einfach in zehn Minuten fertig. „Man hat uns zwar versichert, dass man ein Auge zudrücken würde, aber das wird man erst sehen.“ 

… werden zwei Halteplätze

Ursprünglich war in der Lederergasse eine Begegnungszone geplant. „Damit hätten wir gut leben können. Es sind Schulen und Kindergärten rundherum, da kann man ohnehin nicht schnell fahren.“ Rudolf Stark ärgert zudem, „dass den neuen großzügigen Radweg kaum ein Radfahrer zu nutzen scheint. Die allermeisten fahren weiterhin auf der Straße.“ Und noch etwas stößt ihm sauer auf: „Es kam die Aussage, dass wir uns halt umorientieren müssten.“ Um­orientieren auf einem Standort, den die Familie seit 46 Jahren betreibt. Trotz des verständlichen Frusts zieht Anneliese Stark ein versöhnliches Fazit: „Die Innenstadt hat sich durchaus positiv entwickelt.“ Mit dem neuen Innenstadtkonzept soll diese Entwicklung ihre Fortsetzung finden. 

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