Lindstaedt: „Wir befinden uns im Startup-Modus“
Was hat Sie an der Aufgabe gereizt bzw. was war Ihre Motivation, sich in Linz zu bewerben?
Stefanie Lindstaedt: Für diese Position sind Kompetenzen notwendig, die ich im Laufe meines Lebens gesammelt habe. Es war wie eine Subsumierung von dem, in dem ich gut bin und was mir Spaß macht. Forschung und technologiegestütztes Lernen ist der wichtigste Aspekt der neuen Universität. Wir beschäftigen uns mit digitaler Transformation in engem Kontakt zu Unternehmen und unterstützen Firmen bei der digitalen Transformation.
Das IDSA bekommt einen neuen Namen. Wie wird es künftig heißen?
Lindstaedt: Aktuell sind wir mitten in einem Branding- bzw. Namensfindungsprozess. Das Ergebnis werden wir am 27.11. verkünden.
Sie sind nun von Graz nach Linz übersiedelt. Wie haben Sie sich eingelebt?
Lindstaedt: Ich wohne schon seit etwa vier Monaten in Linz. Die erste Zeit in einer WG mit drei Studentinnen. Das war sehr beflügelnd, weil ich hautnah erlebt habe, wer unsere Zielgruppe ist. Da gab es zahlreiche hochinteressante Gespräche. Mittlerweile habe ich meine eigene Wohnung bezogen.
In Ihrer Zeit als Institutsvorständin am Institute of Interactive Systems and Data Science an der TU Graz haben Sie sich mit der Art der Wissensvermittlung auseinandergesetzt. In nur wenigen Monaten veränderte KI den Zugang zu Wissen. Wird sich das auf die Art des Lernens am IDSA auswirken bzw. wird das IDSA neue Wege der Didaktik beschreiten?
Lindstaedt: Ja, wir haben vor, möglichst ganz vom Frontalunterricht wegzukommen. Unsere „Method of Choice“ ist projektorientiertes Lernen. Unsere Studierenden sollen alles in Projekten lernen, Wissen, das sofort angewendet wird. Sie sollen sich anhand eines Ziels in die Technologie und Thematik einarbeiten. Es gibt genug Forschung zu dieser Art des Lernens. Auf diese Weise, der praktischen Beschäftigung mit der Thematik, bleibt das Wissen auch im Kopf und macht Spaß. Gewisse Dinge werden online entweder vor- oder nachbereitet, das schafft viel Zeit. Wenn ich Vorlesungen halte, ist das die wertvollste Zeit, die ich mit den Studierenden verbringe. Ich stehe vorne und die Studierenden sitzen in den Reihen. Wir wollen hinkünftig Projekte in kleinen Räumen in Teams stattfinden lassen. Die Projekte selbst werden technisch unterstützt. Wir bauen dazu verschiedene Labs auf. Wenn wir beispielsweise Programmierung unterrichten, dann soll das gleich z. B. an Robotern stattfinden. Wissen zum Anfassen. Auch Themen wie Augmented Reality soll man sofort selbst ausprobieren können. Durch die Anwendung bringen wir den Studierenden etwas bei und sie können die Technologie gleich einsetzen, für welches Projektziel auch immer.
Sie haben selbst in einem Startup (Global Sight) in den USA gearbeitet, kennen diesen Geist. Die heimische Startup-Szene ist durchaus stark. Welchen Impact könnte das IDSA auf die Gründerszene haben und welchen Stellenwert nehmen dabei Spin-offs ein? Österreich hinkt da doch noch hinterher.
Lindstaedt: Wir wollen eine Umgebung schaffen, wo Lehrende und Studierende die Gelegenheit zur direkten wirtschaftlichen Umsetzung bekommen, und sie dabei unterstützen. Das IDSA soll eine Plattform frei vom üblichen universitären Umfeld sein, denn das ist für Investoren oft sehr abschreckend. Auf diese Art und Weise werden wir stärker für Partner und Investoren zugänglich. Jedes Startup ist anders. Man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Wir müssen uns daher fragen: Was braucht diese Idee jetzt, welche Art der Unterstützung? Da gibt es schon viel Erfahrung. Die Förderung von Startups ist uns ein großes Anliegen. Auch die Gründung von Spin-offs ist ein Ziel. Das IDSA will auch hier eine Plattform von neuen Möglichkeiten sein, die wir zugänglich machen. Wir müssen den Weg für Partner und Investoren öffnen und Hemmnisse beseitigen, sodass ein Team die Möglichkeit hat, seinem Traum zu folgen und Firmen bzw. Investoren einsteigen können.
Wie wollen Sie spannende Leute als Lehrpersonal für das IDSA gewinnen und wie viele Lehrende werden benötigt?
Lindstaedt: Wir suchen eine ganz spezielle Art von Forschenden. Forschende, die interdisziplinär tätig sind, sich mit AI oder Computer Science beschäftigen, aber auch in einer zweiten Disziplin fest verankert sind. Davon gibt es viele, die – typischerweise im deutschsprachigen Raum – Schwierigkeiten haben, Professuren zu finden, weil die Wissenschaft noch immer sehr disziplinorientiert ist. Wenn sich jemand mit KI und Psychologie beschäftigt und Professor für Psychologie werden will, sagen die Psychologen, du bist kein richtiger Psychologe, und umgekehrt. Genau diese Leute wollen wir ansprechen. Sie sollen mit Gleichgesinnten bei uns in einem Ökosystem zusammentreffen, in dem auch andere so denken und das interdisziplinäre Arbeiten schätzen. Wir haben eine coole Anziehungskraft, da wir etwas Neues machen, in einer Universität, die quasi auf die grüne Wiese gebaut wird. Das ermöglicht vielen, gestalterisch tätig zu sein und Größeres mitzudenken. Unser Founding Lab zieht diese Menschen an. Diese Art der Professur ist in Europa eher selten, in den USA sieht das anders aus. Im Endausbau sind 150 Forschungsgruppen geplant, aber das hängt noch vom Budget ab. Wir haben jedenfalls vor, bis 2027 um die 30 Professuren zu vergeben. 2024 beginnen die Ausschreibungen. Wir sind gerade dabei, die Satzung zu schreiben. Das IDSA ist selbst in einer Art Startup-Modus. Im Rahmen von Hearings bzw. Vorträgen werden wir schließlich die besten Leute auswählen.
Und wie sieht es mit den Studierenden aus? Muss man sich um diese bemühen, oder wird man aus den Besten auswählen können?
Lindstaedt: Ich glaube, wir müssen uns um Studierende bemühen, um die Richtigen für uns zu finden. Im nächsten Jahr werden das in erster Linie Doktoranden sein. Wir gehen nicht davon aus, dass es gleich Hunderte sein werden, sondern eher zehn.
Könnten diese Doktoranden nicht auch potenzielle Lehrende werden?
Lindstaedt: Das IDSA ist nicht an das Universitätsgesetz gebunden und kann daher andere Wege gehen, da wir keine vorgeschriebenen Jobklassen haben. Wir können überlegen, was wir den Doktoranden anbieten bzw. wie wir die besten Leute dafür begeistern. Ob als Wissenschaftler, Lehrende oder auch ganz stark in unserem Bereich der Educational Technology, die wir entwickeln und ausbauen wollen. Da gäbe es viele Jobmöglichkeiten bis hin zur ultimativen Professur.
Was sind aktuell die nächsten Schritte? Was passiert gerade?
Lindstaedt: Dieses Jahr läuft noch die Strategiefindung. Bis Weihnachten soll dieser Strategieentwurf stehen. In den Gremien werden wir den Entwurf im Frühjahr besprechen. Basierend darauf werden die Ausschreibungen starten. Gleichzeitig läuft noch das aktuelle Wintersemester mit 25 Studierenden. Wir wollen Ähnliches im Sommersemester anbieten. Da sind wir noch dabei, Ideen zu generieren.
Eine besondere Herausforderung ist das Erstellen eines Curriculums. Wie funktioniert so etwas?
Lindstaedt: Das wird sicher eine Herausforderung, weil wir im ersten Masterstudiengang Leute aus den unterschiedlichsten Disziplinen haben werden – aus der Mathematik, Informatik, Soziologie, dem Maschinenbau usw. Wir müssen diese Leute daher auf einen gemeinsamen Nenner bringen, auch innerhalb von gemeinsamen Projekten. Wir werden uns Lernziele überlegen, die jeder innerhalb eines Semesters oder eines Jahres erreichen soll. Für diese Lernziele gibt es unterschiedliche Projekte. Studierende können innerhalb gewisser Grenzen auswählen, was sie lernen wollen, und sich Lernziele erarbeiten. Auf diese Art und Weise erreichen wir, dass wir nicht fixe Vorlesungen vorschreiben, sondern pro Lernziel ein Projekt bieten, auf das sie hinarbeiten. Diese Projekte werden jedes Jahr neu überlegt und die neuesten Technologien, die es dann jeweils gibt, fließen in das Lernziel ein. Aktuell etwa wäre ein solches Lernziel: Wie verwende ich ChatGPT, und wie kann ich daraus lernen, wie KI funktioniert? Im nächsten Jahr könnte das wieder etwas ganz anderes sein. Das Curriculum darf nicht starr sein, und das macht es besonders interessant, sowohl für Studierende als auch für Lehrende. Wir müssen schauen, dass wir wieder mehr Spaß in die akademische Lehre bekommen. Mit Frontalunterricht wird es schwierig, Emotionen zu vermitteln. Dieses Umfeld bieten wir und das will auch die Wirtschaft von uns.
Wenn Sie in zehn Jahren auf das IDSA zurückblicken, was wollen Sie dann über die Universität bzw. Ihre persönliche Rolle als Gründungspräsidentin sagen können?
Lindstaedt: Ich wünsche mir, dass wir bis dahin diese neue Art des Lernens in Österreich etablieren und dass wir auch die Skeptiker davon überzeugen konnten. Ich wünsche mir weiters, dass wir eine große Menge an Absolventen haben, die durch uns den Spaß an den digitalen Möglichkeiten gefunden haben und sie in die Welt hinaustragen.