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Kann Europa autark bei Rohstoffen werden?

02.04.2024 um 14:42, Jürgen Philipp
min read
Wie sichert sich die EU kritische Rohstoffe? Was schlummert tief unter der europäischen Erde? Können wir uns autark machen? Der CRMA liefert die Ansätze.

Der Critical Raw Materials Act (CRMA) der EU-­Kommission will die Union unabhängiger vom Import kritischer Rohstoffe aus Nicht-EU-Staaten machen. Gerade die Energie- und Mobilitätswende giert aber nach Elementen, die unter der Erde oder in den Bergen schlummern. Oft kommen diese aus Ländern, die von europäischen Werten so weit entfernt sind, wie das Element Antimon, das aus der Tiefsee geschürft wird. 63 Prozent des für Batterien verwendeten Kobalts kommen aus der Republik Kongo. Seltene Erden für Dauermagneten stammen zu 100 Prozent aus China, ebenso wie 100 Prozent aller Borate aus der Türkei. Europa ist abhängig. Doch nun will man zurück zu den Wurzeln. Als kritische Rohstoffe werden jene bezeichnet, die für grüne und digitale Technologie sowie für die Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie essenziell sind. Bis 2030 sollen diese Rohstoffe wieder zu mindestens 10 Prozent aus Europa kommen, 40 Prozent von ihnen sollen in Europa verarbeitet werden, 15 Prozent recycelt. 

Europa geht auf Schatzsuche
Außerdem hat sich die EU verordnet, dass nicht mehr als 65 Prozent des jährlichen Bedarfs an einem strategischen Rohstoff in jeder Verarbeitungsform aus einem einzigen Nicht-EU-Land bezogen werden darf. Europa macht sich daher auf die nachhaltige Schatzsuche, um Rohstoffe zu finden. Einer der renommiertesten Experten zu diesem Thema ist Michael Tost. Er ist Professor für nachhaltige Bergbautechnik an der Montanuni Leoben. Tost arbeitete unter anderem als Nachhaltigkeitsmanager beim britisch-australischen Rohstoffgiganten Rio Tinto oder für den brasilianischen Global Player Vale. Als Head of Mining and Metals vertrat er die Branche beim World Economic Forum in Davos und vernetzte Unternehmen mit Staatslenkern aus Ländern mit reichen Rohstoffvorkommen.

"Wir wissen gar nicht was wir alles haben"

Michael Trost, Universität Leoben
Michael Trost
Der Professor für nachhaltigen Bergbau, Michael Trost, sieht eine Menge Potenzial, dass sich Europa bei der Rohstoffbeschaffung Schritt für Schritt unabhängiger macht.

Sie haben eine Professur für nachhaltige Bergbautechnik inne. Wie bewerten Sie den CRMA?
Als Forscher neutral. Er ist aber definitiv notwendig. Schlicht und einfach, weil wir als EU in den letzten Jahrzehnten unsere eigene Rohstoffversorgung vernachlässigt haben. Wir haben viel importiert und uns auf den globalen Freihandel verlassen. Das war billiger. Wir haben uns zudem am Kontinent Umweltaspekte erspart und diese in andere Länder verlagert. Das aktuelle Umdenken begann jedoch schon vor 15 Jahren, zu einem Zeitpunkt, als China den Export von seltenen Erden beschränkt hatte. Schon damals hat man begonnen, sich Rohstoffe strategisch im geopolitischen Kontext anzuschauen. Es wurden mehrere Programme in die Wege geleitet. Seitdem ist etwa bergbaurelevante Forschung in Horizon Europe beinhaltet, um den Bergbau in Europa in einem zukunftsfähigen Kontext kompetitiver aufzustellen. Die Kumulation all dieser Bestrebungen ist der CRMA. China war der Anfang, dann kamen die Verwerfungen während Corona und die dadurch resultierenden Lieferkettenprobleme, durch die Rohstoffe und Halbzeuge nicht mehr nach Europa kamen. Und schließlich Russland. Aus Russland beziehen wir nicht nur Öl und Gas, sondern auch Nickel, Titanium, Diamanten oder Aluminium. Aus der Ostukraine kommen Erze. Der CRMA ist notwendig, weil wir geostrategisch in einer multipolaren Welt gelandet sind. Es gibt alle zwei Jahre eine CRMA-Review, bei der die relevantesten kritischen Rohstoffe aufgelistet werden. 2011 waren es noch 14, 2023 sind es bereits 34. Man schaut sich an, wie viel davon man in der EU selbst abbauen kann bzw. welche Rahmenbedingungen es braucht. Der CRMA hat klare Ziele bis 2030. Nicht nur für den Bergbau, sondern auch für Weiterverarbeitung und Recycling.

Inwieweit sind die Ziele der EU überhaupt realistisch?
Aus meiner Sicht ist die 10-Prozent-Eigenquote nicht durch die Bank für alle 34 realistisch. Doch es ist auch Teil des CRMA, die Exploration zu fördern. Salopp gesagt wissen wir gar nicht, was wir alles haben. Die einzelnen Länder der EU sind dazu angehalten, nationale Explorationsprogramme zu betreiben. In Österreich ist das die Geosphere Austria. So sollen geologische Karten entstehen, auf denen man Potenziale sehen kann. Osteuropa etwa ist relativ unterexploriert, wie die EU generell in großen Tiefen unterexploriert ist. Wir wissen nur genau, was wir bis zu einer Tiefe von 500 Metern haben. Es schlummert also unbekanntes Potenzial unter dieser Grenze. Deshalb wird Forschung an neuen Explorationstechniken gefördert. Ebenfalls Bestandteil des CRMA ist eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Es gibt mittlerweile One-Stop-Shops, also nur noch eine Behörde, die dafür verantwortlich ist. In maximal zwei Jahren plus einem Puffer für unvorhersehbare Ereignisse von drei Monaten zusätzlich soll es abgeschlossen werden. Aus der Lehre wissen wir, dass solche Verfahren bisher drei bis fünf Jahre dauerten.

Was nützt einem nachhaltig abgebautes Eisen, wenn es im schlimmsten Fall in einen russischen Panzer verbaut wird?

Michael Trost, Universität Leoben

Bei welchen Rohstoffen könnte sich Europa auf Perspektive selbst versorgen?
Bei Lithium ist es durchaus machbar, die aktuellen Zahlen zu überschreiten und sogar in Richtung Selbstversorgung zu kommen. Lithium kommt in Portugal und Spanien vor. Es gibt größere Projekte in Deutschland und Finnland, auch in Kärnten, wo ein australisches Unternehmen Lithium abbauen möchte. In Serbien gibt es zudem eines der größten Lithiumprojekte weltweit. Auch bei seltenen Erden wird an innereuropäischen Projekten gearbeitet, wie im schwedischen Kiruna. Dort gibt es einen großen Erzkörper, mit Eisenerz, hohem Phosphatanteil und seltenen Erden. Weitere Vorkommen von seltenen Erden finden sich im Süden von Norwegen. An diesem Projekt ist auch die Uni Leoben beteiligt. Hier soll es in zehn Jahren in Richtung des Abbaus dieser Erden gehen.

Energiewende und kritische Rohstoffe gehen Hand in Hand. Wie könnte man es vermeiden, Rohstoffe aus Autokratien einkaufen zu müssen, bzw. wie geht man mit Ländern um, die noch keine CO2-Bepreisung haben?
Es gibt den EU Carbon Border Adjustment Mechanism. Alles, was aus Ländern kommt, in denen es noch ­keine CO2-Bepreisung gibt, wird im Zuge des Imports CO2-bepreist. ­Billige ­Importe, die keine Umweltstandards angeben, werden dadurch teurer. Damit wird das Wirtschaften innerhalb Europas entsprechend wettbewerbsfähiger. Zudem spielt beim Import auch das Lieferkettengesetz eine Rolle. Die Latte für Nicht-EU-Betriebe wird höher. Beim Import aus Diktaturen oder Bürgerkriegsgebieten greift die EU Conflict Minerals Regulation. Das betrifft die 3Ts und 1G. Die drei Ts sind Tin (Zinn), Tantalum (Tantal) und Tungsten (Wolfram). Das eine G ist Gold. Alle europäischen Importeure müssen nachweisen, dass sie keinen lokalen Konflikt unterstützen. Das zwang viele Firmen, auf andere Lieferanten umzusteigen. Dennoch liefern nach wie vor Länder wie China, Indien und viele am afrikanischen Kontinent die materiellen Komponenten unseres Wohlstands. Bei primären Rohstoffen gibt es aber Bestrebungen der EU, strategische Rohstoffpartnerschaften abzuschließen, um mit Nicht-EU-Ländern zusammenzuarbeiten. Ein Beispiel – das ist noch nicht konkret geplant – wäre etwa Chile. Das Land ist Nummer eins im Kupferbereich.

Kinderarbeit
Die EU Conflict Minerals Regulation verhindert den Import der "drei Ts": Tinn (Zinn), Tantalum (Tantal) und Tungsten (Wolfram), sowie Gold aus Bürgerkriegsgebieten.

Würden wir konsequent recyceln oder minen, könnten wir uns autark machen, oder ist das Utopie?
Je besser wir recyceln, desto weniger primäre Rohstoffe brauchen wir. Allerdings gibt es zwei einschränkende Aspekte. Wir sind in einer Wachstumsgesellschaft bzw. in einem Umbruch – Stichwort: Lithium. Wir bauen die Lithium-Infrastruktur erst auf, da kann man noch nichts recyceln. Bei Kohle bauen wir die Infrastruktur zurück. In der EU gibt es nur sehr wenige neue Kohleprojekte. Gas ist ein Sonderfall, wie wir gerade in Molln sehen. Wir brauchen Gas noch als Brückentechnologie. Baurohstoffe muss man differenziert betrachten. Elektrische Leitungen etwa, die in Häusern verbaut sind, können jahrhundertelang verbaut bleiben. Alles, was verbaut ist, steht der Kreislaufwirtschaft nicht zur Verfügung. Bei einer Getränkedose geht es um Wochen oder Monate, also sehr schnell. Die zweite hindernde Komponente ist die Qualität. Bei der Stahlerzeugung lassen sich entsprechende Qualitäten noch nicht über Schrott- und Stahlrecycling herstellen. Das spricht im Moment noch für primäre Rohstoffe. Doch es kommen immer bessere Trennverfahren oder das Design for Recycling, um später leichter trennen zu können. Das alles ist in einem Kontext der Transformation, des Green Deals, hin zu einem CO2-freien Kontinent notwendig.

Sie betreuten ein Projekt, das zeigt, wie nachhaltiger Bergbau 2050 aussehen könnte. Das klingt erst mal nach einem Widerspruch. Wie könnte das dennoch funktionieren?
Das war im Rahmen eines EU-Projekts, wo wir Konsortialführer waren. Wir sollten in Übereinstimmung mit dem Green Deal darlegen, wie sich der Bergbau über die nächsten Jahrzehnte im europäischen Kontext ändern müsste, um nachhaltig zu werden. Das beginnt bei den Bergbaumaschinen, weg vom Diesel, hin zur Elektrifizierung mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Das sehen wir zum Teil schon am steirischen Erzberg: Auf den Rampen wurden Oberleitungen eingeführt, mit denen die Schwer-Lkw bergauf mit Strom fahren. Der Strom kommt vom eigenen PV-Kraftwerk. Das mindert die CO2-Emissionen der VA Erzberg. Ein weiterer Aspekt ist der Landverbrauch bzw. die Landnutzung. Hier muss es mehr in Richtung untertägigen Bergbau gehen. Europa ist von der Landmasse ein kleiner Kontinent. Wir haben viele Menschen mit viel Landnutzung, etwa in der Forst-, Landwirtschaft oder im Bergbau. Da kommt es zu Überschneidungen, die zu Konflikten führen könnten, deshalb mehr untertägiger Bergbau. Zudem muss Bergbau ökonomischer und sicherer gestaltet werden, etwa mit Digitalisierung und Automatisierung. Da gibt es einiges an Potenzial, beispielsweise in Richtung Gebirgsmechanik. Wir generieren Daten über Spannungszustände im Gebirge. Damit können wir die Bergwerksplanung so gestalten, dass es zu keinen Gebirgsschlägen, Verbrüchen oder gar Erdbeben kommt. Und noch etwas ist relevant. Nehmen wir wieder den Erzberg. Eine Tonne Gestein hat einen Eisengehalt von etwa 350 kg Eisen. Die restlichen 650 kg gehen als Abfall auf eine Halde. Was kann ich mit diesem Abfall machen? Kann ich den verwenden? Vielleicht kann man Steinbrüche oder Kiesgruben damit ersetzen? Es geht also darum, Abfall wieder zum Primärrohstoff zu machen und alternative Anwendungen zu finden.

Wir wissen nur genau, was wir bis zu einer Tiefe von 500 Metern haben. Es schlummert also unbekanntes Potenzial unter dieser Grenze.

Michael Trost, Universität Leoben
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Sie waren unter anderem beim World Economic Forum in Davos als Head of Mining and Metals Vertreter der Rohstoffwirtschaft. Eine Forderung des WEF ist immer wieder die Transformation des Wirtschaftssystems. Spielt das auch bei Rohstoffen eine Rolle?
Das ist das ganz große Thema. Das Thema, wohin wir als Gesellschaft wollen. Wie viel brauchen wir bzw. brauchen wir wirklich alles? Brauche ich tatsächlich alle zwei Jahre ein neues Handy? Brauche ich ein Auto? Wir müssen das bestehende System transformieren. Was nützt einem nachhaltig abgebautes Eisen, wenn es im schlimmsten Fall in einen russischen Panzer verbaut wird? Auch das ist Teil des Green Deals hin zur Kreislaufwirtschaft. Das Thema ist daher. Wie groß muss der Kreislauf überhaupt sein? 

Nachhaltiger Bergbau
Nachhaltiger Bergbau "made in Austria". Die Schwerlast-LKW am steirischen Erzberg fahren mit Oberleitung elektrisch. Der Strom kommt vom eigenen PV-Kraftwerk.

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