Haberlander: "Das System Schule neu denken"
CHEFINFO: Bildung beginnt im Kleinkindalter und reicht weit in das Berufsleben hinein. In welchen Bereichen sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
Christine Haberlander: Wir feiern heuer 250 Jahre allgemeine Schulpflicht, und es ist höchst an der Zeit, dass wir das System Schule neu denken. Dabei geht es nicht nur um die Aufgaben der Schule oder um die Kompetenzen, die sich junge Menschen aneignen sollen. Auch Persönlichkeitsbildung ist entscheidend, damit die Chancen auf ein gelingendes Leben steigen. Gerade junge Mädchen brauchen ein Rüstzeug, bekannt auch als Empowerment, um ihren eigenen Weg zu gehen. Ein stärkerer Fokus auf MINT-Fächer ist immer Thema, aber Neugierde und Kritikfähigkeit gehören ebenso gefördert, wie die Kunst, mit Rückschlägen umgehen zu lernen. Gleichzeitig braucht es mehr Bewusstsein, dass Bildung bereits in der Krabbelstube, im Kindergarten beginnt. Hier werden auf spielerische Weise früh Talente identifiziert und das Selbstbewusstsein gestärkt.
Bei Bildungsdiskussionen schwingt meist ein gewisser Kulturpessimismus mit. Motto: Früher war alles besser.
Haberlander: Diesen Eindruck gewinne ich auch manchmal, wenn ich mit Eltern rede. Aber ich sehe das ganz anders. Zu meinen Aufgaben zählt, regelmäßig das Gespräch mit Schülerinnen und Schülern zu suchen. Ich bin jedes Mal begeistert von diesen empathischen, kompetenten jungen Menschen. Sie als verlorene Generation zu bezeichnen, lehne ich ab. Noch nie hatten Jugendliche so viele Chancen wie heute, noch nie standen ihnen so viele Türen offen.
Auf der anderen Seite wird der steigende Anteil von Schülern mit nicht deutscher Alltagssprache zur Belastung. In Wien beträgt er an Pflichtschulen 70 Prozent. In Oberösterreich sind es 30 Prozent.
Haberlander: Es gibt Schulen in Oberösterreich mit nahezu 100 Prozent an Schülerinnen und Schülern mit nicht deutscher Muttersprache. Das Wichtigste ist das Lernen der deutschen Sprache, damit ich an dieser Gesellschaft teilhaben kann. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, trifft es ein Zitat auf den Punkt. Wenn daheim nicht zweisprachig gesprochen wird, ist das ein Problem. Es braucht Verbindlichkeit, dass Eltern an den Integrationsthemen ihrer Kinder auch teilhaben. Und wo das nicht möglich ist, braucht es spezielle Förderung. Aber wir müssen auch sehen, dass die Mehrsprachigkeit der Kinder ein großer Schatz ist. Wir benötigen diese Menschen überall – etwa als Pflegerinnen, Ärztinnen oder Kindergärtnerinnen. Wir müssen aufpassen, mit welcher Wertung wir dem Thema Mehrsprachigkeit entgegentreten.
Gefordert wird von einem politischen Mitbewerber ein verpflichtendes Unterrichtsfach „Leben in der Demokratie“. Eine sinnvolle Idee?
Haberlander: Ohne die Forderung im Detail zu kennen oder zu unterstützen: Die Themen Demokratie und Meinungsbildung halte ich für sehr wichtig. Wie jungen Menschen die Notwendigkeit des Mitentscheidens vermittelt werden kann, müssen wir uns genau ansehen. Wer wählt, sollte sich auch kritisch mit Wahlprogrammen und populistischen Forderungen auseinandersetzen können. Auch der Wunsch, selbst die Zukunft zu gestalten und politische Verantwortung zu übernehmen, soll geweckt werden. Das sind Dinge, bei denen die Basis auch in der Schule gelegt wird.
Ist die Schule ein Grund, warum Sie in der Politik sind?
Haberlander: Ich habe sehr positive Vorbilder erlebt und war selbst immer wieder Klassensprecherin. Das Feuer, mich politisch zu engagieren, ist in der Schule unterstützt worden. Eine meiner ersten Aktionen war der Einsatz für einen Beachvolleyballplatz in der Gemeinde.
Ex-ÖVP-Politiker Andreas Salcher fordert einen Regierungsbeauftragten für die Modernisierung des Bildungssystems, um das Thema zu einer Top-Priorität zu machen. Stimmen Sie dem zu?
Haberlander: Ich schätze Andreas Salcher sehr, aber der Regierungsbeauftragte für Bildung ist der Bildungsminister. Der muss die Vision und den Mut haben, diese Themen aufzugreifen und umzusetzen. Jede Regierung ist gut beraten, Bildung als Top-Thema zu positionieren. Schließlich geht es um die Zukunft unseres Landes, unserer Gesellschaft.
Ist ein Smartphone-Verbot an Schulen, wie es manche fordern, sinnvoll?
Haberlander: Ich bin einem Verbot nicht abgeneigt, aber wir haben als Land rechtlich nicht die Kompetenz, das Smartphone zu verbieten. Das kann die Schule über die Hausordnung regeln. Hier braucht es kompetente Direktorinnen und Direktoren. Aber die Frage ist auch: Wo lernen Kinder einen kompetenten Umgang mit dem Handy? Das muss im Elternhaus passieren. Eine Woche hat 168 Stunden, nur 20 bis 24 davon sitzen die Kinder im Klassenzimmer. Die Schule kann nicht alle Probleme lösen.
Sie haben die Krabbelstuben erwähnt. Oberösterreich liegt hier im Bundesländervergleich zurück. Am 1. September startete die Gratis-Krabbelstube bis 13 Uhr in Oberösterreich. Was erwarten Sie sich von dieser Maßnahme?
Haberlander: Ich leugne nicht, dass wir großen Aufholbedarf haben. Deshalb haben wir das Ziel ausgegeben, dass Oberösterreich Kinderland Nummer eins werden soll. Allein im Vorjahr haben wir gemeinsam mit den Gemeinden 69 neue Krabbelstuben geschaffen – und damals waren sie noch nicht gratis. Das war der größte Ausbau an Krabbelstuben bisher. Wir sind ein verlässlicher Baupartner auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Im Kinderbildungs- und Betreuungsbereich, aber auch im schulischen Bereich wird immer gebaut. Wir haben vorgegeben, dass die Krabbelstuben 47 Wochen im Jahr offen sein müssen. Eine so lange gesetzlich verpflichtete Öffnungszeit hat es noch nie gegeben. Es gibt auch einen Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung. Damit haben die Eltern auch Planungssicherheit. Dieser Ausbau erhöht auch die Attraktivität von Gemeinden am Land und fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist mir als Frauenlandesrätin wichtig, dass es Frauen wieder ermöglicht wird, früher und umfassender, wenn sie das wollen, ins Berufsleben zurückzukehren, damit sie nicht irgendwann Opfer von Altersarmut werden. 30 Stunden kostenfreie Kinderbetreuung ist daher ein wichtiger Schritt.