Esoterik - das perfekte Geschäftsmodell
Sie wollen, dass ihr verhasster Nachbar, der Ihnen am Sonntag die Zeitung klaut, leiden soll? Wie wäre es mit einem Unglückszauber? Den Fluch – einer von über 1.000 – „Make them suffer“ gibt es um 15,01 Euro zum digitalen Download bei der Plattform Etsy. Wem das nicht reicht, der muss tiefer in die Tasche greifen: Um 58.010,24 Euro bekommt man per Direktdownload Zugang zu gleich allen 72 Goethia-Dämonen. Was die können, verrät der Originaltext: „Diese Dämonen stürmen deine Feinde in die Schlacht, um sicherzustellen, dass sie dich in Ruhe lassen. Du verdienst es, ein Leben zu führen, in dem du nicht paranoid bist, dass Menschen dich angreifen, weil du du selbst bist.“ 58.010,24 Euro gegen Paranoia? Natürlich ist Etsy kein exklusiver Schauplatz für esoterische Kuriositäten, sondern eine Onlineplattform, auf der jeder seine Ware feilbieten kann. Eine, die aus beruflichen Gründen dort das einschlägige Angebot stets im Auge hat, ist Ulrike Schiesser. Die gebürtige Oberösterreicherin ist Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen.
Was Sekten mit Esoterik zu tun haben? „Sekte ist ein sehr problematischer Begriff, den ich selber eigentlich nicht benutzen will, um eine Gruppe von Menschen so zu bezeichnen. Der Begriff Sekte trägt immer die Idee von etwas Bösem in sich. Ist es keine Sekte, dann ist es harmlos. Doch das ist viel komplexer.“ Eben auch wenn es um die Begrifflichkeit der Esoterik geht. „Es gibt da Menschen, die sich sehr bemühen und harmlose Dienstleistungen anbieten, aber es gibt auch manche, die kontrollierend sind, andere Menschen stark im Griff haben und ihr Leben steuern. Sobald sie eine Machtstruktur haben, gibt es fast immer Machtmissbrauch.“ Die Grenzen können dabei fließend sein.
Vom 20-Euro-Augenblick bis zum Eine-Million-Seminar
Einer der harmlosen Sorte ist ein Superstar der Szene: der Kroate Josip Grbavac, berühmt unter seinem Künstlernamen „Braco“. Am 5. Mai war er in Marchtrenk zu Gast. Für das Eintrittsgeld von 20 Euro bekommt man keinen Vortrag, keine Weisheiten – denn Braco spricht nicht –, sondern seinen „Blick“. 15 Minuten lang schaut Braco in die Menge. Ein Blick, der heilend sein soll. Im Anschluss kann man DVDs und diverse Fanutensilien kaufen. Ins bayerische Garching kamen 7.000 Menschen zu dieser alles in allem 30-Minuten-Performance, macht in diesem Falle r mal pi hoch Daumen einen Stundenlohn von 280.000 Euro. Für die einen kurios, für die anderen ein Erlebnis. Und mit 20 Euro ist der Einsatz überschaubar. Der Deutsche Frank „Agni“ Eickermann verlangt da schon ein wenig mehr, schließlich kann man dadurch zur „Lichtgestalt“ werden.
Bis zu einer Million Euro – der Preis ist verhandelbar – kostet ein Viertagesseminar bei dem Urgestein der Szene. Will man sich die Million wieder reinverdienen, kann man in seinem streng hierarchisch und führerzentrierten Lichtzellen-Netzwerk mitmachen. Eine Form von Pyramidenspiel. Aus Gläubigen werden oftmals Gläubiger. Auch diverse Wundermittel wie Bioscanner oder Vitalisierungsgeräte mit Biophotonen, die helfen sollen, Stimmungen positiv zu verändern, sind meist im Direktvertriebssystem erhältlich. In Deutschland greift man bereits hart durch. Der Hersteller eines solchen Bioscanners wurde zu 2,5 Millionen Euro wegen Betrugs verurteilt. Die beiden Geschäftsführer mussten in Haft. Und Deutschlands umstrittener Gesundheitsminister Karl Lauterbach geht einen Schritt weiter. Er will Homöopathie als Kassenleistung streichen. Ein Milliardengeschäft. Schätzungen zufolge werden acht Milliarden Euro für die Zuckerkügelchen ausgegeben – Hauptmarkt: die DACH-Länder. Homöopathie ist zwar kein esoterisches Kerngeschäft, die Wirkung ist aber wissenschaftlich genauso wenig belegt wie ein persönlicher Schutzengel. Die Kügelchen seien ähnlich wirksam wie Placebos und die wirken bekanntlich über den eigenen Glauben daran.
Bereit für den „Richland Mindset“?
Inwieweit Homöopathie esoterisch ist oder nicht, ist ebenso wenig klar definierbar wie ein aktuell neues Geschäftsmodell. „Eine spezielle Influencerszene hat Kryptowährungen, Tradingplattformen oder Businesscoachings entdeckt, die über ein Pyramidensystem vertrieben werden“, schildert Schiesser. Dahinter steckt immer ein gewisser „Mindset“ und alleine schon bei diesem Wort schrillen Schiessers Alarmglocken: „Das ist wie ein rotes Tuch. Der Erfolg kommt immer mit dem richtigen Mindset. Habe ich den nicht, dann ist eine innere Blockade mein Problem.“ Für diese gibt es meist eine weitere Lösung im Bauchladen. „Die Leute glauben dann wirklich, dass sie ein Problem haben.“ Das Ganze funktioniert perfide. „Wenn du nicht 40.000 Euro für dein Richland Mindset ausgibst, dann fehlt dir das Commitment. Du bist nur halbherzig dabei. Alles wird mit dem Gesetz der Anziehung erklärt. Das ist so, als würde ein Techniker eine Solaranlage montieren, und wenn die nicht funktioniert, sagt der Monteur: ,Du glaubst nicht stark genug an die Kraft der Sonne.‘“
20.000 Unternehmen in Österreich
Für Schiesser sind esoterische Geschäftspraktiken rein wirtschaftlich gesehen „perfekte Dienstleistungen und Produkte“. „Ich brauche keine Ausbildung, habe keine Materialkosten, kein Investment, keinen Personalaufwand und kann vieles schwarz machen. Oft geht es um Spenden oder einen ,Energieausgleich‘, um einen Impuls ans Universum zu senden.“ Und es gibt genügend Anbieter: Rund 20.000 Unternehmen von der Astrologie bis zum Tierkommunikator sind in der Branche vertreten. Damit sind Energetiker unter den Top 3 der EPU. Der Zugang ist relativ einfach. Der Gewerbeschein ist frei. Im Gegensatz zu anderen Branchen gibt es kaum Qualitätsstandards. Das ist nicht böswillig, sondern liegt in der Natur der Sache. „Die Qualität ist nicht messbar. Es gibt keine normale Geschäftsbeziehung wie anderswo, weil das Produkt meistens nicht greifbar ist. Wie will ich da Beschwerde gegen schlechte Arbeit erheben?“ Kommen Zweifel bei den Klienten auf, wird das – so Schiesser – oft auf das sich auflehnende Ego zurückgeführt. „Zweifel ist ein Zeichen für eine spirituelle Unvollkommenheit. Deshalb kommt es selten zu Verfahren, denn wenn es nicht funktioniert, liegt es am Klienten. Es wird viel mit Schuldgefühlen und emotionaler Manipulation gearbeitet.“ Das funktioniert in anderen Geschäftsfeldern kaum. Zudem sieht Schiesser, dass die Eso-Unternehmer meist selbst an ihre Praktiken glauben: „Das wirkt dann für den Klienten umso authentischer.“ Die Expertin nimmt die Berufsgruppenvertretung allerdings in Schutz: „Es gibt Kriterien zum ethischen Umgang mit Klienten, da tut die Berufsgruppe wirklich viel.“
Qualität lässt sich nicht messen
Der Konsumentenschutz ist in Streitfällen ziemlich zahnlos: „Viele schämen sich und verzichten von vornherein auf Rechtsmittel.“ Kommt es, selten, aber doch, zu einem Prozess, dann stehen Richter vor dem Dilemma, die Qualität zu beurteilen. Gibt es Verträge zwischen Klienten und Anbietern, dann „sind die meistens sehr gut gemacht. Man kommt nur schlecht heraus.“ Wie kurios das Thema „Messbarkeit“ sein kann, zeigt das Beispiel des Wiener Krankenhaus Nord. „Dort wurde um 95.000 Euro ein Energiering verlegt. Es kam ein anderer Heiler zur Baustelle und meinte: ,Ich spüre die Energie nicht. Ich hätte das besser und billiger gemacht.‘“ Was die Betreiber des Krankenhauses tatsächlich spürten, waren Spott und Hohn.
Schulterzucken im Rechtssystem
Solche Fälle poppen immer wieder auf. Hinterbliebene klagen, nur wenige haben Erfolg. „Manche esoterische Schulen bauen große, geschlossene Gemeinschaften auf. Es gibt viele Tote dadurch.“ Eine konkrete Schuld nachzuweisen ist komplex, etwa ob der Tod auch durch konventionelle Behandlung verhinderbar gewesen wäre, oder: „Wo war die Mitschuld der Gemeinschaft? Rechtlich ist das ganz schwer zu verfolgen. Es gibt meist ein Schulterzucken im Rechtssystem. Die Menschen sind erwachsen und können selbst entscheiden, was sie mit ihrer Gesundheit tun.“ Die Ablehnung der Schulmedizin und der Pharmaindustrie ist dabei ein Klassiker in der Szene. Das zieht immer mehr esoterisch-affine Menschen in einen Verschwörungsstrudel. „Sie bilden eine Blase, die sich gegenseitig bestärkt und gegenseitig Kunden zuschiebt. Und sie arbeiten mit der Angst. Viele predigen den Wirtschaftszusammenbruch, den Dritten Weltkrieg oder, dass uns 5G kontrolliert. Doch sie haben stets ein Mittel, mit dem man sich dagegen schützt. Das ist Teil der gegenseitigen Referenzierung. Man ist Teil einer Elite.“ Das System schützt sich damit selbst: „Es ist immunisierend, weil kritisches Denken und eigenständiges Handeln als selbstgefährdend propagiert wird.“
„Intellektueller Sitzstreik gegen die Realität“
Bestärkt werden die Zirkel durch eine sehr „ich-bezogene Zeit.“ „Es geht immer um das ganz persönliche Glück und die ganz persönliche Freiheit. Und wir leben in einem Optimierungswahn. Alles muss perfekt sein, der perfekte Partner, das perfekte Einkommen, das perfekte Glück.“ Das alles wird mit „magischem Denken“ versprochen. „Meine Worte sind Gedanken und meine Gedanken haben Macht. Das ist abergläubisches Denken und fast alle sind abergläubisch.“ Die Erosion der Großkirchen führte zu diesem Vakuum, das nun Individualreligionen füllen. „Österreich war immer stark katholisch geprägt und auch da gab es schon emotionale Erpressung: ,Wenn du nicht aufisst, weint das Jesuskind.‘“ Das wird oft ausgenutzt. „Die Grundprinzipien sind durchaus menschlich“, zeigt Schiesser Verständnis, denn: „Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir als Gesellschaft rational oder logisch sind. Es ist wie ein intellektueller Sitzstreik gegen die Realität.“ Wer braucht schon Ratio und Logik, wenn man sich Weisheit kaufen kann? Etwa mit dem „Thor The Viking King Transformationsritual“ bei Etsy. Sie sollten aber schnell sein, zum einen ist der Preis von 1.900 Euro auf 475,75 Euro gesenkt und es ist nur noch eines übrig.