Wir wollen Monopole brechen
CHEFINFO: Symptoma errichtet die erste KI-gestützte Ambulanz Europas, wahrscheinlich die erste weltweit. Wie kann man sich das vorstellen und was bringt das?
Jama Nateqi: Wir wollen den Prozess beschleunigen. Ärzte haben nur wenig Zeit, den Patienten zu seinen Beschwerden zu befragen. Der Patient kann im Schnitt nur 18 Sekunden sprechen, bis er unterbrochen wird. Er kann es also gar nicht schaffen, alles detailliert zu schildern, wofür er nur etwa 90 Sekunden benötigen würde. Unser System ermöglicht dem Patienten bereits im Warteraum, mithilfe eines Tablets die Beschwerden zu schildern und anschließend Fragen zu beantworten. Unsere KI führt durch den Prozess, präzisiert die Symptome und unterstützt so die Diagnostik. Das System schreibt eine standardisierte Zusammenfassung, die der Patient prüfen kann, bevor die Zusammenfassung an den Arzt weitergeleitet wird. Alle Beschwerden liegen dann bereits vor der Konsultation am Tisch. Der Patient ist im Schnitt nur fünf Minuten beim Arzt und dann dauert es noch einmal zehn bis 15 Minuten, bis der Arztbrief erstellt wird. Bei uns geht das auf Knopfdruck. Der Prozess ist von Anfang bis zum Ende KI-gestützt. Das ist meines Wissens nach in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit einzigartig. Das Krankenhaus in St. Johann in Tirol ist da wieder ein Pionier. Es war schon das erste Krankenhaus Österreichs, das bereits 2008 voll digitalisiert war. Sie möchten mit uns ein durchgehend KI-gestütztes Krankenhaus umsetzen. In erster Linie geht es darum, die zeitraubende administrative Last vom Personal zu nehmen. Dazu gibt es einige praktische Features in unserem System. Es ist mehrsprachig und produziert automatisch einen Arztbrief für den Hausarzt sowie eine patientenfreundliche Version.
Gesundheitsdaten sind hochsensibel. Wie geht das mit KI zusammen?
Nateqi: Das Besondere an unserer KI-Infrastruktur ist, dass es eine lokale KI ist, sprich Patientendaten gehen nicht nach außen. Die großen Tech-Companies wollen alle Daten in die Cloud laden und zentral verarbeiten. Wir wollen das nicht, weil die Integration der Daten – von der Ambulanz bis in den stationären Bereich – nur im Krankenhaus selbst passieren soll. Die Daten verlassen das Krankenhaus nicht. Durch diese Datensouveränität bleibt letztlich die Würde des Menschen unangetastet. Wir wollen noch nicht einmal, dass die lokale KI die Klarnamen der Patienten sieht, und investieren sehr viele Ressourcen, um die Daten vor Analysen zu pseudonymisieren. Aus Sicht der KI sind die Daten dann sogar anonym, weil nur die Krankenhaus-IT den Schlüssel zur Depseudonymisierung hat. Wir wollen ganz bewusst keine persönlichen Daten erheben. Selbst auf unserer Website Symptoma.at fahren wir diesen radikalen Ansatz. Dort verwenden wir etwa keine externen Cookies und speichern noch nicht einmal die IP-Adressen.

Legt sich Symptoma damit nicht mit den ganz großen KI-Giganten an bzw. wie wollen Sie dieses Match gewinnen?
Nateqi: Wir haben uns als Symptoma im Jahr 2017 von einer Suchmaschine für Krankheiten zu einem digitalen Gesundheitsassistenten entwickelt. Im Marktkontext haben wir damals schon antizipiert, dass es persönliche KI-Assistenten geben wird, die wahrscheinlich ähnlich wie bisher der Suchmaschinenmarkt von einem Monopol geprägt sein werden. Wie können wir also dieses anbahnende Monopol brechen? Indem wir bessere medizinische KI-Leistungen erbringen, ohne die Souveränität des Menschen anzutasten. Spätestens, wenn es bei Patienten um gesundheitliche Ungewissheiten oder gar Bedrohungen geht, sind sie bereit, den KI-Assistenten zu wechseln. Mit unserem radikalen Datenschutz-Ansatz sind wir zudem in einer klaren Gegenposition zu den Großen. Gesundheitsdaten in der Cloud – selbst wenn Sie das als „Österreich-Cloud“ oder wie auch immer umbranden – sehe ich äußerst kritisch. Kaum jemand weiß zudem, dass ein Drittel aller weltweit generierten Daten aus dem Gesundheitsbereich stammt. Daten aus der Industrie sind da ein Klacks dagegen – und die sind wenigstens schwarz-weiß und vollständig. In der Medizin hat man mit unvollständigen, falschen und mehrdeutigen Daten zu arbeiten. Große Sprachmodelle, die ausschließlich aus der Literatur gelernt haben, kommen da an ihre Grenzen. Die Symptoma-KI hat von vielen verschiedenen Daten gelernt. Die Literatur stellt nur einen Teil dar. Wir arbeiten im Herzen der Medizin.
Wie hat die Ärzteschaft auf eine KI-gestützte Ambulanz reagiert?
Nateqi: Das Feedback war sofort: „Wir brauchen das – und zwar jetzt!“ Jeder Stakeholder von den Pflegekräften, dem Management oder den Ärzten zeigte enormes Engagement. Wir sind zum Teil mit 30 Leuten an einem Tisch gesessen. Sie sahen sofort, welche Dokumentationslast ihnen damit abgenommen werden könnte und wie sie den Patienten noch wesentlich besser helfen können.
Wie sieht es mit einer Expansion in andere Länder aus? Bräuchte man für jedes Land eine Einzelzulassung?
Nateqi: Eine Expansion ist kein Problem, weil wir ein ubiquitäres Thema adressieren. In Europa etwa ist das regulatorisch im Wesentlichen einheitlich. Die Diversität im europäischen Markt liegt eher in der Mentalität mit kulturellen und rechtlichen Nuancen. In den USA oder China könnten wir schneller wachsen. Allerdings finden wir den Zugang zum Datenschutz dort problematisch. Wir sind aber bereit: Wir haben derzeit 36 Sprachen im Portfolio.