Direkt zum Inhalt
Profilbild
Schon heute verkehren täglich Stückgut-Züge von Linz nach Antwerpen. Wird schon bald Wasserstoff per Bahn transportiert?
Schon heute verkehren täglich Stückgut-Züge von Linz nach Antwerpen. Wird schon bald Wasserstoff per Bahn transportiert?
PORT OF ANTWERP-BRUGES

Energiezukunft - Antwort aus Antwerpen

27.05.2024 um 13:30, Jürgen Philipp
min read
Sind Wasserstofflagerstätten bald wertvoller als Diamantlagerstätten? Wird H2 Europas Industrie retten? Antworten brachte ein Trip nach Antwerpen.

Ein Material, das Temperaturen von 1.000 Grad und einem Druck von 150 Kilobar nicht nur standhält, sondern zu seiner Entstehung benötigt wird, ist unkaputtbar. Kein Wunder, dass der Prozess, es zu bergen bzw. zu schürfen, ebenso aufwendig ist: Diamanten. 80 Prozent des kostbarsten Edelsteins werden in Antwerpen gehandelt, und das schon seit Jahrhunderten. Schon bald könnte die zweitgrößte belgische Stadt noch kostbareres Gut umschlagen: Wasserstoff – H2. Wasserstoff rückt spätestens seit dem Krieg in der Ukraine wieder in den Fokus. Es könnte die Unabhängigkeit Europas von russischem Gas im wahrsten Sinne des Wortes „befeuern“. Und Antwerpen könnte der wichtigste Umschlagplatz dafür werden. Mit dem kürzlich fusionierten Hafen Zeebrugge wird man zum Multifuel-Hafen. Dort befindet sich nicht nur der größte Autoverladehafen Europas, sondern einer der größten Flüssiggas-Hubs des Kontinents. Der soll Schritt für Schritt auch H2-fit gemacht werden. Die erste H2-Pipeline soll bereits 2028 fertiggestellt sein. Deshalb macht Luc Arnouts, Direktor für internationale Beziehungen des Hafens Antwerpen-Brügge eines klar: „Der Hafen ist nicht zu verkaufen. Er gehört der Stadt und ist als kritische Infrastruktur eingestuft.“ Fehler wie beim Ausverkauf des Hafens Piräus an China oder die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen werden sich in Antwerpen nicht wiederholen.

Markus Achleitner und Günther Steinkeller
Die zwei von der H2-Tankstelle: Markus Achleitner und Günther Steinkeller plädieren unisono für Technologieoffenheit

Energie-Hub so groß wie Linz und Wels zusammen 
Der zweitgrößte Chemie-Hub der Welt (Nr. 1 ist Houston) beschäftigt 164.000 Menschen, rein rechnerisch wäre das jeder dritte Einwohner der Stadt. Und auch die Fläche beeindruckt. Der Hafen ist so groß wie Linz und Wels zusammen. „Belgien wird im Energieimport der Zukunft eine wichtige ­Aufgabe haben. Antwerpen wird der zentrale Hub dafür“, erzählt Landesrat Markus Achleitner am Rande einer gemeinsamen Pressereise mit Landesrat Günther Steinkellner durch Belgien. „In der EU können maximal 40 bis 50 Prozent des benötigten H2 hergestellt werden. Der Rest muss importiert werden.“ Infrastruktur-Landesrat Steinkellner ergänzt: „Dabei geht es um Unabhängigkeit von den bisherigen Energielieferanten.“ Die Lösung könnte daher in den Wüsten Nord- bzw. Nordwestafrikas liegen. 

Seit dem Ukraine-Krieg geht es nicht mehr um das ,ob´ wir die Energiewende brauchen, sondern nur noch um das ,wie´wir sie schaffen.

Markus Achleitner, Wirtschaftslandesrat

In der Wüste liegt die Kraft
Schon 2009 rückte die Sahara in den Fokus. Die DESERTEC Foundation wollte Europas Stromhunger mit einem Solarpark in der Wüste decken. Die Gesamtfläche der Paneele hätte dafür so groß sein müssen wie ganz Österreich. „Energie war damals noch billig, und so wurde der Plan verworfen. Jetzt rückt er wieder in den Vordergrund“, so Achleitner. DESERTEC wird wieder aus den Schubladen gekramt, nur Strom spielt dabei keine Rolle mehr. Mit der Kraft der Sonne soll grüner Wasserstoff für Europas Industrie hergestellt werden. „Das Thema ist vor allem Wärme, nicht der Strom“, und diese kann per H2 zur Verfügung gestellt werden. Im deutlich kleineren Maßstab versucht das aktuell CMB.TECH. Das Spin-off der Reederei CMB (Compagnie Maritime Belge), die auf den belgischen König Leopold II. zurückgeht und 1895 gegründet wurde, will aktuell in Namibia grünen Wasserstoff produzieren. CMB.TECH ist aber kein H2-Hersteller im klassischen Sinn, sondern zeigt auf, was der Stoff aus dem die Energieträume sind, schon heute leisten kann. Operations Manager Steven Kennis erklärt den Ursprungsgedanken. „Unsere Aufgabe war es, Lösungen zu finden, wie man die Schifffahrt CO2-neutral gestalten kann. Wir starteten 2015 ohne großes Wissen über H2 im Schifffahrtseinsatz.“ Das erlangten sie rasch. Zuerst bauten sie eine Vessel, ein Schubschiff, um und tauften es Hydrotug. Das erste serienreife Exemplar seiner Art weltweit ist bereits im Hafen Antwerpen unterwegs. Der Clou: Es ist ein Diesel-H2-Hybrid. Zu 80 Prozent fährt es mit Wasserstoff, 20 Prozent mit Diesel. „2040 wollen wir diese Technologie auf großen Ozeanschiffen einsetzen.“ Doch nicht nur im Wasser, auch auf der Straße zeigt CMB.TECH sein Know-how. Das Unternehmen baut klassische Diesel-Lkw zu ebensolchen Hybriden um. Getankt wird an der eigenen H2-Tankstelle. Lkw mit 350 Bar Druck, Pkw mit 700 Bar, und da wird es tricky: „Pkw haben kleinere H2-Tanks, daher brauchen wir mehr Druck. Dieser Druck sorgt für Reibung und die Leitung wird heiß. Wir müssen sie daher auf -40 Grad kühlen. Das ist komplex. Beim Lkw ist das viel billiger und robuster.“ Damit punkten H2-Diesel-Hybrid-Lkw gegenüber elektrischen Artgenossen. Beim Lkw-Hersteller DAF, mit seiner Achsen- und Fahrerkabinenproduktion in Westerlo, macht Sales Director Michiel Kuijs daher klar, „dass ein elektrifizierter Truck in etwa dreimal so viel kostet wie ein Diesel-Truck.“ Steinkellner betont daher, dass „es nicht nur um die Klimaverträglichkeit geht, sondern auch um die Sozialverträglichkeit“. Denn was nützen die grünsten Technologien, wenn dann Produkte so viel teurer würden, dass sie sich keiner mehr leisten kann?

Markus Achleitner, Luigi Crema und Robert Tichler
Markus Achleitner (Präsident Energieinstitut), Luigi Crema (President Hydrogen Europe Research)und Robert Tichler (Geschäftsführer Energieinstitut) unterzeichnen die Mitgliedschaftsurkunde

Pack Ammoniak in den Tank
Die Leistbarkeit von H2 an der CMB.TECH-Tankstelle ist gegeben. Aktuell kostet ein Kilogramm H2 dort 17 Euro, das reicht für 100 Kilometer und ist damit fast gleich teuer wie Benzin oder Diesel. „Vor dem Krieg in der ­Ukraine lag der Preis bei 9,90 Euro“, so Kennis. Die Dauer des Tankvorgangs ist ebenso mit fossilen Treibstoffen vergleichbar wie die Reichweite. „Die Tankstelle ist nur unser Showcase. Wir wollen zeigen, dass es funktioniert.“ Im Mittelpunkt bleiben aber Schiffe. 150 Vessels sollen peu à peu umgebaut werden. „Die kleineren davon werden mit H2 betrieben, die größeren mit Ammoniak.“ Ammoniak, das wie E-Fuels, Methanol und andere Alternativtreibstoffe über Umwege aus CO2 produziert werden kann. CMB.TECH beweist damit, dass Energie und Mobilität Hand in Hand gehen. Mehr als symbolisch daher der gemeinsame Auftritt der beiden Landesräte. Steinkellner ist sich dabei ebenso sicher wie sein Kollege, dass „es unbedingt Technologieoffenheit braucht“. Die Regulatorien und Auflagen dürften sich nicht mehr verschärfen: „Wir dürfen die Industrie nicht verlieren, doch das könnte bei den hohen Gehalts-, Umwelt- und Energiekosten drohen“. 

Wir haben einen echten USP. Oberösterreich hat im Vergleich zu anderen sehr große Speicherkapazitäten.

Robert Tichler, Geschäftsführer, Energieinstitut an der JKU

Vom Problemstoff zum Wertstoff
Den Problemstoff CO2 in Wertstoff zu verwandeln klingt vorerst nach moderner Alchemie, ist aber möglich. Bei Rohrdorfer Zement in Gmunden erfolgte kürzlich der Startschuss zu Österreichs erster CO2-Rückgewinnungsanlage in großtechnischem Maßstab. Damit sollen jährlich 30.000 Tonnen CO2 rückgewonnen werden. Zum einen wird das Klimagift in chemische Basisprodukte umgewandelt, zum anderen kann es unschädlich gespeichert werden (Carbon Capture). „Die Anlage kostet 40 Millionen, 30 davon wurden gefördert“, so Achleitner, und er ergänzt: „Es wird viel öffentliches Geld brauchen, um diese historische ­Aufgabe zu stemmen.“ Auch in Belgien wird daran gearbeitet. Ein Spin-off der Uni Antwerpen, D-CRBN, hat eine kompakte Anlage gebaut, die aus CO2 Grundstoffe für Ethanole, Acetone oder E-Jet-Fuel produzieren kann. CCO David Ziegler: „Wir wollen eine Kreislaufwirtschaft, denken aber immer noch linear.“ D-CRBN setzt dabei auf Plasma. „Wenn die Sonne scheint oder der Wind bläst, kann ich die An­lage sofort aktivieren. Das ist, wie wenn man das Licht einschaltet.“ 

Hydrotug
Der "Hydrotug" ist das erste Wasserstoff-Diesel-Hybridschiff der Welt und verrichtet im Hafen von Antwerpen saubere Dienste. Weitere 150 sollen folgen

Statt „ob“ geht es ums „wie“
Licht aus, Spot an – Schauplatzwechsel: In der Residenz des österreichischen Botschafters in Brüssel, Jürgen Meindl, stehen drei Herren im Blitzlichtgewitter der Fotografen, Kameraleute und der Smartphonecams: Markus Achleitner, Luigi Crema und Robert Tichler. Crema ist President von Hydrogen Europe Research, ein internationaler Verband von 150 Universitäten und Forschungseinrichtungen aus 29 Ländern Europas und darüber hinaus. Tichler ist Geschäftsführer des Energieinstituts an der JKU. Achleitner ist dessen Präsident. Das Energieinstitut ist mit der Unterschrift der drei nun offizielles und einziges oberösterreichisches Mitglied von Hydrogen Europe Research. Oberösterreich will damit den nächsten Schritt zum großen Player beim Wasserstoff machen. „Vor einem Jahr haben wir die OÖ H2-Offensive gestartet, jetzt sind ca. 60 Firmen dabei“, berichtet Achleitner. Das neue Wasserstoff-Zentrum der FH Wels ist ebenso ein weiterer Meilenstein der H2-Strategie des Landes. Für Achleitner steht daher fest: „Seit dem Ukraine-­Krieg geht es nicht mehr um das ,ob‘ wir die Energiewende brauchen, sondern nur noch um das ,wie‘ wir sie schaffen. Wenn wir in der EU eine Kreislaufwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien aufbauen, haben wir einen Wettbewerbsvorteil über Jahrzehnte.“

Wir dürfen die Industrie nicht verlieren, doch das könnte bei den hohen Gehalts-, Umwelt- und Energiekosten drohen.

Günther Steinkellner, Infrastrukturlandesrat

OÖs „Underground“ ist Goldes wert
Das Team des Energieinstituts der JKU bringt dabei eine Menge Expertise und eine breite Betrachtungsweise ein: „Wir sind 43 Leute aus 15 verschiedenen Studienrichtungen wie Ökonomen, Juristen oder Techniker. Wir machen bei EU-Projekten oft die Begleitforschung und schauen auf die ökonomischen Ergebnisse, testen die Akzeptanz in der Bevölkerung ab und betrachten die ökologische Performance“, so Robert Tichler. Bei der Performance in Sachen Speicherkapazität von künftig benötigtem Wasserstoff, hat Oberösterreich übrigens ein Ass im Ärmel: „Wir haben einen echten USP. Oberösterreich hat sehr große Speicherkapazitäten. Daher setzen wir auch bei diesem Thema einen Forschungsschwerpunkt gemeinsam mit unserem Partner RAG.“ Und diese Kapazitäten – unser Bodenschatz – könnten schon bald wertvoller sein als so manche Diamantenlager­stätte. 

more