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Die Autoindustrie gilt als Vorreiter der personalisierten Produktion. Individuelle Kundenwünsche werden aber erst im "Finishing" realisiert
Die Autoindustrie gilt als Vorreiter der personalisierten Produktion. Individuelle Kundenwünsche werden aber erst im "Finishing" realisiert
ALVAREZ / E+ / GETTY IMAGES

Einzigartige Produkte, industriell gefertigt

27.05.2024 um 15:29, Klaus Schobesberger
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Ob in der Industriegüterproduktion oder bei Konsumartikeln: Personalisierte Produktion ist ein Megatrend - es tun sich neue Geschäftsfelder und Potenziale auf.

Ob Sneakers, Sonnenbrillen oder Fahrräder: Personalisierte Produkte sind kein brandneues Phänomen, gewinnen jedoch mit zunehmender Digitalisierung an Bedeutung, ist Herbert Jodlbauer, Professor für Produktionswirtschaft und Studiengangsleiter Operations Management an der FH OÖ in Steyr, überzeugt. Das Thema steht auch beim diesjährigen „Forum Produktion und Management“ am 18. April am Campus Steyr im Zentrum. Einer der Redner ist Alexander Susanek, Vorstand der Palfinger AG. Das Technologieunternehmen ist Weltmarktführer bei Kran- und Hebelösungen. Aber lieferte Palfinger mit seinen Aufbauten nicht schon immer individuelle Lösungen? „Schon, aber die Anzahl der Varianten hat stark zugenommen. Zum anderen geht es vor allem um die Frage, welcher Anbieter schafft es, die geforderte Kundenindividualität am schnellsten und kostengünstigsten zu erfüllen“, sagt Jodlbauer.

Was ist Mass Customization?
Aber was genau ist personalisierte Produktion und wo liegt der Unterschied zur Mass Customization? „Personalisierte Produktion meint die Fertigung eines Produkts, das genau auf einen Menschen individuell zugeschnitten wird und damit einzigartig ist. Typischerweise haben früher Handwerker wie Schuhmacher oder Schneider personalisierte Produkte gefertigt. Durch neue Technologien, wie etwa 3D-Druck oder Digitalisierung, können personalisierte Produkte heute auch industriell erzeugt werden“, erklärt der FH-Professor. Mass Customization meine hingegen die Kombination zweier Strategien. Kostengünstige Produktion durch Economy of Scale – Module, Halbfabrikate, Bausteine – werden kundenanonym in großen Mengen zu geringen Kosten vorproduziert und dann möglichst nahe beim Kunden seinen Wünschen entsprechend zusammengestellt und finalisiert. Jodlbauer: „Die Idee ist wie beim Legospielen: Aus wenigen Bausteinen können sehr unterschiedliche, individuelle Dinge gebaut werden. Produktkonfiguratoren können verwendet werden, um Mass Customization umzusetzen.“

Palfinger
Palfinger war beim "Forum Produktion und Management" am 18. April am FH Campus Steyr als Beispiel für personalisierte Produktion vertreten.

Ikea als erfolgreiches Vorbild
Eines der bekanntesten Beispiele von Mass Customization betreibt Ikea. Der schwedische Möbelriese produziert wenige Komponenten in größten Mengen vor, verpackt sie und stellt sie ins Regal. Beim Einkaufen können diese flach verpackten Einheiten so zusammengestellt werden, dass dank der Variantenbildung Käufer individuelle Schlafzimmer oder Küchen erhalten. Laut Jodlbauer „wachsen durch die Digitalisierung personalisierte Produkte und Mass Customization zusammen“: Hardwaremäßig wird zu geringen Kosten ein standardisiertes Produkt gefertigt. Durch Softwareparameter wird das Produkt an die individuellen Bedürfnisse angepasst. Dabei könne diese Anpassung auch situativ ad hoc vorgenommen werden bzw. können für das Produkt Features freigeschaltet werden, „die dem Erzeuger zusätzliche Umsätze, abseits des Verkaufs des Produkts, bringen können“. Jodlbauer sieht ein riesiges Potenzial, so den eigenen Sales- und Produktentwicklungsprozess zu verbessern. Als Beispiel dafür, wie quer man hier denken müsse, verweist der Produktionsexperte auf Automobil-OEMs wie BMW & Co. Sie wissen beispielsweise genau über Nutzungsdauer einer Starterbatterie Bescheid. Wertvolle Informationen für einen Batteriehersteller, der im Aftersales-Geschäft tätig ist und der das Problem hat, im Winter mit seinen Batterien zur richtigen Zeit vor Ort bei den Händlern zu sein. Dafür bräuchte er nur die Daten von den OEMs kaufen, um zu wissen, welche Batterien bald ihren Geist aufgeben. „Damit tun sich neue Geschäftsmodelle für Autohersteller auf, Geld zu verdienen, indem Sie Batteriezustandsdaten verkaufen.“

Durch Digitalisierung wachsen Mass Customization und personalisierte Produktion zusammen

Herbert Jodlbauer, Professor FH OÖ Campus Steyr

Schwierige Zukunftsprognosen
Konkrete Zukunftsprognosen für diesen Bereich wagt Jodlbauer nicht: „Aber -hätte jemand vor 20 Jahren gesagt, dass 2024 quasi jeder ein mobiles Gerät besitzt, das real time Videos ansehen, Schuhe online einkaufen und gesprochene Sprache übersetzen ermöglicht und als Boardingpass oder Führerschein genutzt werden kann, hätten fast alle gesagt: nie und nimmer“. Heute sei das alles eine Selbstverständlichkeit. In diesem Zusammenhang findet er spannend, was dadurch alles in den letzten 20 Jahren an wirtschaftlichen Änderungen hervorgerufen wurde: „Denken Sie nur an Brockhaus, CD, Digitalkamera auf der einen Seite und Alphabet, Meta und Open AI auf der anderen Seite.“

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