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Preise erhöhen sich bei hoher Nachfrage
sankai / iStock / Getty Images Plus

Dynamic Pricing

19.11.2024 um 10:46, Andreas Hamedinger
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Dynamic Pricing ermöglicht eine flexible Preisgestaltung. Flexible Preise stoßen bei Konsumenten, etwa im Lebensmittelhandel, auf Skepsis.

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Vormittag: Der Liter Milch kostet 1,35. Sieben Stunde später, derselbe Supermarkt, dieselbe Milchmarke, jetzt sind 1,80 zu zahlen. Der Grund: Die gesteigerte Nachfrage aufgrund des Feierabends der umliegenden Büros. Schauplatzwechsel, ein ähnliches Bild. Wegen des schönen Wetters kostet das Hotelzimmer für einen Tag 140 Euro. Letzte Woche bei Sturm und Schneefall waren es noch 101 Euro. Die Rede ist in beiden fiktiven Fällen von Dynamic Pricing, das Unternehmen kurzfristig ermöglicht auf eine geänderte Nachfrage preispolitisch zu reagieren. Dynamic Pricing ist somit ein Paradebeispiel, wie das Konsumverhalten die Preisgestaltung beeinflusst, etwa die der Hinterstoder-Wurzeralm Bergbahnen AG, wie Vorstandsdirektor Helmut Holzinger erklärt: „Wir haben uns für das Dynamic Pricing entschieden, um die Auslastung unserer Skigebiete und somit das Skivergnügen der Gäste zu optimieren. Das Ziel dieses Preismodells ist es, unsere Region auch in der Nebensaison attraktiver zu gestalten und unsere Gäste für Buchungen in der Nebensaison und unter der Woche zu belohnen.“ Bei der Hinterstoder-Wurzeralm Bergbahnen AG werden sich die Preise zukünftig nach den Faktoren Nachfrage, Saison und Wochentagen richten. „Man kann eines zusammenfassen: Umso früher das Skiticket gekauft wird, umso größer der Preisvorteil“, sagt Holzinger, der erklärt: „Es gibt keine jetzt evaluierte Preisspanne, im Moment können sie Tickets um 44 Euro kaufen, aber wenn sie zu den Weihnachtsfeiertagen kurzfristig kaufen, können die Preise für ein Tagesticket wahrscheinlich auch über 60 Euro steigen.“ Laut dem Vorstandsdirektor profitieren auch die Konsumenten vom Dynamic Pricing: „Wir möchten das Erlebnis unserer Gäste vor Ort noch angenehmer gestalten. Das Ziel des dynamischen Preismodells ist es, unsere Bahnanlagen gleichmäßig auszulasten und das Skifahren während der Nebensaison attraktiver zu machen. Mit den dynamischen Preisen bieten wir unseren Gästen zudem einen attraktiven Frühbucherbonus, von dem insbesondere Familien profitieren werden, da sie ihre Skiferien in der Regel weit im Voraus planen.“

Ständig wechselnde Preise
Bei Hotelbuchungen haben sich Konsumenten an ständig wechselnde Preise längst gewöhnt.

Der Blick aufs Ganze als Schlüssel zum Erfolg

Eine dynamische Preisgestaltung in der Hotellerie gibt es schon lange, an unterschiedliche Preisen in Haupt- und Nebensaison hat sich eigentlich schon jeder gewöhnt. Doch gerade in dieser Branche ist ein Umdenken notwendig, wie Hotel-Vertriebsexpertin Bianca Spalteholz erklärt: „Die Zeiten, in denen Kosten und Auslastung allein das Pricing bestimmten, sind vorbei. Moderne Preisgestaltung funktioniert anders. Wer sich am Markt behaupten will, braucht den Blick aufs Ganze.“ Für sie sind eine durchdachte Preisstrategie und das Wissen um Preisdynamiken Voraussetzung, denn: „In der Praxis heißt das, von unten nach oben arbeiten, mit kleineren, gut durchsetzbaren Preisen eine Grundauslastung erreichen und sie mit steigender Nachfrage schrittweise erhöhen. Ergänzend dazu sollten Sonderraten, Angebote und Packages zu speziellen Preisen geschnürt werden.

Kosten als Fundament der Preisgestaltung

Doch auch wenn moderne Preisstrategien weiter gefasst sind: Variable Kosten und Fixkosten bleiben eine essenzielle Grundlage: „Nachhaltig wirtschaften heißt, diese Faktoren genau kennen und in die Preisgestaltung einbeziehen. Das gewährleistet Rentabilität auch bei dynamischen Anpassungen und flexiblen Raten“, erklärt Christoph Taussig, Pricing-Experte der Österreichische Hote­liervereinigung (ÖHV). Für den Touristiker ist noch eines entscheidend: „Gerade in unsicheren Zeiten ist eine transparente Preisstrategie, die jeder Gast versteht, erfolgsentscheidend. Das Verhältnis von Rentabilität und Attraktivität muss in der Balance sein, das Qualitätsniveau gehalten oder gesteigert werden.“

Helmut Holzinger Vorstandsdirektor Hinterstoder-Wurzeralm Bergbahnen AG

"Das Ziel des dynamischen Preismodells ist es, unsere Bahnanlagen gleichmäßig auszulasten."

Die Systemgastronomie

Ein denkbar möglicher Einsatz für Dynamic Pricing wäre auch der Bereich der Systemgastronomie. Lukas Tauber, Geschäftsführer von Le Burger, erteilt dem Gedanken zumindest für sein Unternehmen eine Abfuhr: „Im Bereich Restaurants bin ich derzeit skeptisch, zwar gibt es für Restaurants Anbieter, die zu gewissen Zeiten Kontingente zu einem gewissen Rabatt anbieten. Das darf man aber nicht mit Dynamic Pricing verwechseln, da hier kein Algorithmus oder künstliche Intelligenz im Hintergrund ständig die Auslastung und die Kaufbereitschaft interpretiert und daraus marktrelevante Preise, die zum Kauf führen sollen, erzeugt. Diese Methode impliziert im Moment, dass unsere Qualität, die immer ausgesprochen hoch ist, zu unterschiedlichen Zeiten etwas Unterschiedliches wert ist. Daher werden wir dieses Thema zwar weiterverfolgen, aber in absehbarer Zukunft planen wir keine Einführung.“

System ist schon lange bekannt

Und auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit dem Phänomen des Dynamic Pricing. Etwa das Institut für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) der Johannes Kepler Universität Linz. „Dynamic Pricing ist an sich nichts ­Neues. Die Preisgestaltung der Kundennachfrage flexibel anzupassen – zum Beispiel bei Fluglinien oder Hotels – ist seit Langem gängige Praxis“, erklärt Institutsvorstand Christoph Teller. 

Dynamic Pricing im Lebensmittelhandel
Dynamic Pricing wäre – dank moderner Technologie – auch im Lebensmittelhandel umsetzbar. Doch bei den Konsumenten stößt das auf wenig Gegenliebe.

Reputation ist ein Schutzschild

Doch warum tut man sich mit dem Thema im Lebensmittelhandel so schwer?  Teller: „Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich. Bei Lebensmitteln haben wir zunächst nicht gelernt, mit sich schnell ändernden Preisen umzugehen. Im Handel sind wir eher von einer ‚Aktion-Kultur‘ geprägt.“ Für den Universitätsprofessor würde ein Dynamic Pricing Preisentwicklungen sowohl nach oben als auch nach unten bedeuten, bei den „Aktionen“ geht es eigentlich immer darum, billiger zu werden. „Dynamische Preise würden für Handel und Konsumenten Vorteile bringen“, sagt der Wissenschaftler, der erklärt: „Sollte eine Handelskette sich durch das System ein ‚unfaires‘ Körberlgeld erwirtschaften, würde das wohl von der Konkurrenz ausgenutzt werden. Denn niemand will ein schlechtes Image, gerade im stark konkurrierenden Handel. Die Reputa­tion eines Unternehmens ist quasi der Schutzschild für den Konsumenten.“ Doch warum gibt es im Lebensmittelhandel eigentlich noch kein Dynamic Pricing? Teller: „Die moderne Technik – Stichwort elektronische Preisschilder – würde es den Händlern ermöglichen, das System einzuführen, doch die Konsumenten stehen dem System zu kritisch gegenüber. Das zeigt eine von uns durchgeführte Studie.“

Geringe Kundenakzeptanz 

Die IHam-Analyse zum Thema „Dynamic Pricing im Lebensmittelhandel“ zeigt, dass 70 Prozent der Konsumenten das Thema generell ablehnen. Während sich 54 Prozent in der Altersgruppe 16 bis 24 Jahre gegen sehr kurzfristige, flexible Preisänderungen im stationären Lebensmittelhandel aussprechen, trifft dies bei der älteren Generation (55 bis 64 Jahre) auf 84 Prozent zu. Teller: „Die Zahlen zeigen, dass eine Einführung des ‚Dynamic Pricing‘ beim Einkauf von Lebensmitteln auf eine sehr geringe Kundenakzeptanz stößt, sodass eine Einführung im stationären Lebensmittelhandel als nicht wahrscheinlich erscheint.“   

 

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