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Die Flagge der Europäischen Union und die Flagge Österreichs
Kritiker sehen Österreichs Neutralität gefährdet.
Kritiker sehen Österreichs Neutralität gefährdet.
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Verteidigung: Der Anfang vom Ende der Neutralität?

15.04.2025 um 12:26, Stefanie Hermann
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Österreichs Außen- und Verteidigungspolitik wird neu ausgestaltet. Sky Shield, Aufrüstung und aktive Neutralität sorgen für laute Kritik.

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Der Krieg in der Ukraine, der wirtschaftliche Systemkonflikt mit China und der zunehmend aggressive Ton aus Russland und den USA haben Europas Sicherheitsverständnis verändert. Auch an Österreich geht das nicht spurlos vorbei. Die neue Bundesregierung hat eine sicherheitspolitische Wende eingeleitet, die deutlich über die bisherigen Ansätze hinausgeht. In der Regierungsklausur wurde ein neuer Kurs betont, der nicht nur auf verstärkte Investitionen in die Landesverteidigung abzielt, sondern auch auf eine engere Anbindung an die europäische Sicherheitsarchitektur.

Die neue Sicherheitspolitik

Zentraler Bestandteil: die "aktive Neutralitätspolitik“ – ein Spagat zwischen der historisch gewachsenen, verfassungsrechtlich verankerten Neutralität und einer realpolitischen Anpassung an aktuelle Bedrohungslagen. Die klare Aussage: Österreich bleibt neutral, aber nicht passiv. Das beinhaltet auch die Mitwirkung an europäischen Verteidigungsprogrammen wie dem Weißbuch „Verteidigungsbereitschaft 2030“, dem SAFE-Finanzierungsinstrument und der viel diskutierten Luftverteidigungsinitiative Sky Shield. Für den Kurs gibt es nicht nur Begeisterung, es hagelt auch massive Kritik.

Deutlichster Gegner: Die FPÖ

Besonders deutlich stellen sich die Freiheitlichen gegen die sicherheitspolitische Neuorientierung. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker warnt vor einer Entwicklung, in der Österreich „mit Vollgas in Richtung Brüssel und NATO geschoben“ werde. Aus seiner Sicht werde gezielt mit Bedrohungsszenarien gearbeitet, um sicherheitspolitische Maßnahmen zu legitimieren. Außenministerin Meinl-Reisinger wirft er vor, „als verlängerter Arm der Brüsseler Rüstungsagenda“ zu agieren.

Die Argumente der Kritiker im Überblick

Auch FPÖ-Wehrsprecher Volker Reifenberger und Bundesrat Andreas Spanring äußern wiederholt Kritik. Sky Shield sei kein harmloses Beschaffungskonsortium, sondern ein Schritt in ein „Militärbündnis light“. SPÖ-Finanzminister Marterbauer wiederum gerät ins Visier, weil er sich in Warschau offen für höhere Verteidigungsausgaben auf EU-Ebene gezeigt habe, ohne klare Absage an den Europäischen Verteidigungsfonds.

Aber auch abseits der FPÖ werden Fragen laut. Stimmen aus der SPÖ betonen die Notwendigkeit parlamentarischer Kontrolle über Budget- und Beschaffungsentscheidungen. Die Grünen plädieren für mehr Transparenz, etwa bei Waffenexporten. Selbst innerhalb der ÖVP wird eine klare Trennung zwischen militärischer Kooperation und gemeinsamer Verschuldung gefordert.

Von Neutralität zur NATO-Nähe

Mit der Beteiligung an Programmen wie Sky Shield oder dem EU-Verteidigungsfonds sehen Kritiker eine rote Linie in der Neutralität überschritten. Österreich könne nicht gleichzeitig neutral und aktiver Teil gemeinsamer Rüstungsprojekte sein. In den EU-Plänen zur Verteidigungskooperation ortet die FPÖ den „schleichenden Aufbau eines europäischen Generalstabs“, in Sky Shield den Wegbereiter eines „verdeckten NATO-Beitritts“. Auch wenn offiziell kein EU-Heer geplant ist, entstehe faktisch eine abgestimmte europäische Militärarchitektur, so ihre Befürchtung.

Alarmismus als politisches Werkzeug

Neben konkreten Maßnahmen steht auch die politische Kommunikation in der Kritik. Freiheitliche Vertreter sprechen von einer „Regierung der Angst“, die mit Bedrohungsszenarien arbeite. Über die alarmistische Rhetorik als politisches Mittel würden radikale sicherheitspolitische Schritte durchgesetzt.

Rüstungswünsche versus Budgetrealität

Ein zentrales Argument gegen die neue Linie ist die finanzielle Dimension. FPÖ-Generalsekretär Schnedlitz warnt vor einem drohenden EU-Defizitverfahren, sollte Österreich zusätzliche Mittel in Verteidigungsfonds oder gemeinsame Beschaffungen stecken. Dass Finanzminister Marterbauer keine klare Absage an den Europäischen Verteidigungsfonds gegeben habe, sehen Kritiker als Zeichen mangelnder Verantwortung. Den massiven Mitteleinsatz für die Aufrüstung sehen Kritiker in Zeiten hoher Inflation, steigender Staatsverschuldung und wachsender sozialer Ungleichheit schlicht nicht vertretbar.

Zankapfel: EU-Weißbuch

Das Weißbuch „Europäische Verteidigungsbereitschaft 2030“ der Europäischen Kommission dient als Grundlage für zahlreiche geplante Maßnahmen. Neben der Lockerung der Maastricht-Kriterien für Verteidigungsausgaben finden sich darin auch neue Finanzierungsinstrumente. Während die Regierung darin einen „Werkzeugkasten“, den Österreich souverän nutzen könne, sieht, orten Kritiker einen Angriff auf die Budgetautonomie der Mitgliedstaaten.

Wehrwille als gesellschaftlicher Gradmesser

Die sinkende Bereitschaft junger Menschen zum Wehrdienst bereitet unterdessen über die Parteigrenzen hinweg Kopfzerbrechen. Laut einer aktuellen Erhebung wären nur noch 16 Prozent der Jugendlichen bereit, im Ernstfall zur Waffe zu greifen – ein Umstand, der nicht nur Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) Sorgen bereitet. FPÖ-Politiker Hubert Keyl ortet einen Vertrauensverlust gegenüber der staatlichen Sicherheitsstruktur als Ursache. Die „Verspottung von Pflicht, Mut und Heimatverbundenheit“ habe die gesellschaftliche Grundlage für eine wehrhafte Neutralität untergraben.

Knackpunkt Neutralität

Die große Klammer hinter all diesen Debatten bleibt die österreichische Neutralität. Regierung und Juristen betonen, dass diese durch die neuen Maßnahmen nicht berührt werde. Neutralität bedeute im 21. Jahrhundert nicht Untätigkeit, sondern Verantwortung. Meinl-Reisinger formuliert es so: „Neutralität alleine schützt uns nicht.“ Ähnlich argumentiert Verteidigungsministerin Tanner: Man bleibe militärisch neutral, aber politisch handlungsfähig.

Kritiker sehen das freilich anders. Hinter der neugestalteten Außen- und Sicherheitspolitik vermuten sie nicht weniger, als eine schleichende Aushöhlung des Neutralitätsbegriffs. Was einst klare Abgrenzung bedeutete, drohe zu einer vagen Formel zu verkommen – mit unklaren rechtlichen, finanziellen und geopolitischen Konsequenzen.

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