Klaudia Tanner: "Mit dem Leben bezahlen"
Die Verteidigungsministerin im Interview
- Nachwuchsproblematik beim Bundesheer
- Wehrdienst für Frauen
- Karriere beim Bundesheer
- Die größten Gefahren für Österreich
- Konflikt in Israel
Eigentlich sollte es ein Gespräch über den Nationalfeiertag werden. Eigentlich. Wir treffen die Verteidigungsministerin zwei Tage nach den Angriffen auf Israel. Klaudia Tanner empfängt uns in ihren Amtsräumen in der Rossauer Kaserne.
Büro der Ministerin
Das Büro selbst ist weitläufig, hell. Ein großer Schreibtisch, Memorabilien, an den Wänden düster wirkende Leihgaben aus dem Heeresgeschichtlichen Museum. Eine lederne Sitzgarnitur. "Ich habe hier nichts verändert", betont Tanner. Eingerichtet hätten die Vorgänger. Nur die Bilder an der Wand, die habe sie getauscht. Noch im Stehen kommen wir zwangsläufig auf Israel zu sprechen. Es ist der Montag nach den Angriffen. Noch sind die Rückholaktionen des Ministeriums nicht fixiert. Noch ist das ganze Ausmaß des herauf donnernden Konflikts nicht bekannt.
Wir setzen uns für das Gespräch in den abhörsicheren Wintergarten. Abhörsicher ja, aber voll verglast? Drohnen seien kein Problem, versichert die Ministerin. Der Winkel würde nicht stimmen, zu schwer sei die Fläche einsehbar. Am Boden ein pinker Wassernapf. "Für unseren Bürohund, ein Chihuahua", erklärt Tanner.
Nachwuchsproblematik beim Bundesheer
In Norwegen werden am Nationalfeiertag die Kinder gefeiert. Statt einer Militärparade gibt es dort einen Umzug der Schulen. Warum feiern wir in Österreich das Bundesheer?
Klaudia Tanner: Wie feiern beides. Wir haben einen Tag der Schulen, der am Tag zuvor stattfindet. Die Leistungsschau unter dem Motto "Mission vorwärts" ist insbesondere für die Kleinsten der Kleinen gedacht. Am Ende des Tages sind es die Kinder, die unsere Zukunft sind – und eine Zukunft gibt es nur dann, wenn wir auch Sicherheit garantieren können.
Stichwort Nachwuchsproblematik: Wie berechtigt ist die Sorge?
Klaudia Tanner: Ich glaube, diese Sorge hat nicht nur der öffentliche Dienst. Wir haben das große Glück, dass wir mit der Wehrpflicht ja einen sehr großen Pool haben. Jährlich rücken rund 17.000 Grundwehrdiener ein, die wir dann auch für uns gewinnen wollen. Ein besonderer Fokus liegt auch auf den Frauen. Seit heuer gibt es für sie den Freiwilligen Grundwehrdienst.
Wehrdienst für Frauen
Wie schaut es mit einem verpflichtenden Wehrdienst für Frauen aus?
Klaudia Tanner: Darüber kann man diskutieren, wenn Frauen auf allen Ebenen gleichgestellt sind. Ob Gehalt oder die viele freiwillige Arbeit in den Bereichen Kinderbetreuung, Pflege, Hausarbeit oder wo auch immer – Fakt ist: Wir haben keine Gleichstellung und daher bin ich zum jetzigen Zeitpunkt froh, dass wir ein Modell der Freiwilligkeit ins Leben gerufen haben.
Karriere beim Bundesheer
Wie attraktiv ist eine Karriere beim Bundesheer heute noch?
Klaudia Tanner: Das Bundesheer bietet viele Möglichkeiten: vom Pionier, über den Jäger bis zum Hubschrauberpiloten, darüber hinaus auch Lehrberufe oder Möglichkeiten in der Militärmedizin. Es ist ein ganz besonderer Beruf, weil man einen Beitrag leisten kann. Aber es ist auch ein Beruf, der sich von allen anderen in der Konsequenz unterscheidet. Das heißt, mit dem Wertvollsten bezahlen zu müssen, wenn es notwendig sein sollte: Nämlich mit seinem Leben.
Hand aufs Herz: Wie wahrscheinlich ist es für einen österreichischen Soldaten, dass es jemals zu so einer Situation kommt?
Klaudia Tanner: Man sieht ja, dass die Welt nicht sicherer geworden ist. Und daher haben wir auch vorbereitet zu sein, auch wenn wir militärisch neutral sind.
Die größten Gefahren für Österreich
Der Risikobericht 2023 hat Krieg, Blackout und Klimakrise als die wesentlichsten genannt. Wo sehen Sie im Moment das höchste Gefahrenpotenzial?
Klaudia Tanner: Ergänzend als Wahrscheinlichstes die Ausbreitung des Krieges Putins in der Ukraine. Die Risiken haben sich über die Jahrzehnte vervielfacht. Bei Blackout sind wir als Bundesheer nicht zuständig, aber als strategische Reserve der Republik haben wir auch eine Aufgabe in der Bewusstseinsbildung. Die Unterstützung bei Naturkatastrophen ist keine Hauptaufgabe, aber eine Assistenzaufgabe, wenn die zivilen Kräfte nicht mehr können – wir mussten es bei den Überschwemmungen im Sommer und den Bränden im vorigen Jahr erleben.
Werden die Assistenzeinsätze in Zukunft steigen, siehe Klimawandel?
Klaudia Tanner: Wir sehen, dass wir hier vermehrt zum Einsatz kommen. Das ist auch etwas, dem wir in Zukunft begegnen müssen.
Zum Ukraine-Krieg: Wären wir auf ein Worst-Case-Szenario überhaupt vorbereitet?
Klaudia Tanner: Wir müssen selbstverständlich immer auf alles vorbereitet sein. Ich glaube Angst zu machen, in einer Welt, die ohnedies beängstigende Bilder zeigt, ist nicht der richtige Weg. Aber: Wir müssen selbstverständlich immer auf alles und jedes Einsatzszenario vorbereitet sein.
Internationale Zusammenarbeit
Vorbereitung kann natürlich auch eine starke Gemeinschaft sein, eine noch stärkere Zusammenarbeit. Wie stehen Sie zur Idee eines europäischen Berufsheers?
Klaudia Tanner: Das sehe ich überhaupt nicht. Wir leisten einen sehr wichtigen Beitrag im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dazu zählen verschiedene friedenserhaltende Missionen und die EU Battlegroups, wo wir auch ein Kontingent stellen werden. Unsere Verfassung untersagt aber einen Beitritt zu einem Militärbündnis.
Konflikt in Israel
Welche Konsequenzen wird der Krieg in Israel für Europa, Österreich und vielleicht auch die österreichische Landesverteidigung haben?
Klaudia Tanner: Das ist Terror in einem unvorstellbaren Ausmaß, das es seit Jahrzehnten so nicht gegeben hat.
Und für die österreichische Landesverteidigung?
Klaudia Tanner: Das ist insbesondere für unser Heeresnachrichtenamt wohl eine der wichtigsten Aufgaben. Für das Heeresnachrichtenamt heißt es jetzt nicht nur, einen Blick in die Region zu haben. Man kann es nicht nur Wiederaufflammen nennen, sondern das ist, das sind Terrorangriffe, Terroroperationen einer Dimension und einer Art, wie wir sie wirklich Jahrzehnte nicht erleben mussten. Es ist wichtig, dass wir als österreichisches Bundesheer in allen Bereichen entsprechend vorbereitet sind.