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Meinl-Reisinger beendet die Gespräche
Auffallend: Für Andreas Babler (SPÖ) findet Meinl-Reisinger keine dankenden Worte.
Auffallend: Für Andreas Babler (SPÖ) findet Meinl-Reisinger keine dankenden Worte.
Screenshot PK

Dreierkoalition geplatzt: NEOS steigen aus

03.01.2025 um 10:34, Stefanie Hermann
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Die NEOS beenden die Koalitionsgespräche. Grund seien unüberwindbare Differenzen in der Budget-, Reform- und Steuerpolitik, so Parteichefin Meinl-Reisinger.

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100 Tage nach der Wahl steht Österreich noch immer ohne Regierung da. Heute, Freitag, hätten die Koalitionsgespräche zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS eigentlich in die nächste Runde gehen sollen. Überraschend haben die NEOS am Vormittag jedoch ihren Ausstieg aus den Verhandlungen verkündet.

Vor allem Differenzen in Steuer- und Reformvorstellungen sind für die NEOS ein unüberwindbares Hindernis gewesen. "Es ist mir zunehmend schwergefallen, vor Sie zu treten und nichts sagen zu können, keine Fortschritte berichten zu können", sagt Meinl-Reisinger.

"Ich habe Karl Nehammer, Andreas Babler und den Bundespräsidenten darüber informiert, dass wir NEOS die Verhandlungen als Partner in einer künftigen Koalition nicht fortsetzen werden", so Meinl-Reisinger.

Wirtschaftskrise

Österreich sieht sich herausfordernden Zeiten gegenüber, geprägt von einer tiefen Wirtschaftskrise und einer alarmierenden Rezession, die nun in ihr drittes Jahr geht. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bangen um ihre Zukunft, haben Kündigungen erhalten und sehen sich mit steigenden Lebenshaltungskosten konfrontiert – eine Entwicklung, die durch den Ukraine-Konflikt und eine lange Zeit der Niedrigzinspolitik verschärft wurde. Viele Unternehmen seien an den Rand der Wettbewerbsfähigkeit gebracht worden.
 

Nationalratswahl 2024

Neben der volatilen globalen Lage (Ukrainekrieg, Präsidentschaftswechsel in den USA) seien auch die Nationalratswahlen in Österreich ein Wendepunkt gewesen. "Ein Blick in die Ukraine, nach Syrien, Russland, aber auch die Sorgen, die mit dem Präsidentschaftswechsel in den USA einhergehen, zeigt uns, die gesamte Welt ist am Beginn 2025 alles andere als gewöhnlich." Auch in Österreich sei die Lage spätestens seit der Nationalratswahl 2024 alles andere als gewöhnlich.

Die Wähler hätten ein klares Signal für Veränderungen und Reformen gesendet. "Was war auch außergewöhnlich, es war nicht der Wahlsieger, der den Auftrag des Bundespräsidenten bekommen hat, eine Regierung zu bilden. Und zwar simpel, nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil dieser Wahlsieger, weil der Vorsitzende der FPÖ, Herbert Kickl, es nicht geschafft hat, über die letzten Monate und Jahre eine Vertrauensbasis aufzubauen, die aber nötig ist", sieht Meinl-Reisinger den Grund für das Scheitern klar bei der FPÖ. Populismus sei zudem keine Lösung für drängende Problem, mahnt sie mit Verweis auf das steirische Regierungsprogramm.

Knackpunkt Budget

Das Budgetloch, vor dem die NEOS immer gewarnt hatten, sei noch größer ausgefallen als erwartet. "Wir haben jahrelang davor gewarnt, was diese von Sebastian Kurz, und das muss man auch einmal sagen, er hat es erfunden, ausgerufene Koste-es-was-es-wolle-Mentalität mit unserem Land macht", ortet Meinl-Reisinger einen klaren Schuldigen.

Mit Energie und Ambition sei man in die Verhandlungen gestartet. Doch schon bald sei klar gewesen, dass man aufgrund der Budgetplanung für die kommenden Jahre mit „einem Arm auf den Rücken gebunden“ agieren musste. „Selbst in den ersten Wochen der Verhandlungen ging es genauso weiter“, zeigt sich die NEOS-Chefin enttäuscht. Mit den Erhöhungen der Pensionen und Beamtengehälter sei schließlich „auch der zweite Arm auf den Rücken gebunden“ worden.

Regieren ist kein Selbstzweck

„Wir haben immer gesagt, dass wir diese Einladung annehmen, aber nicht, um eine größere Mehrheit sicherzustellen, und schon gar nicht als Selbstzweck“, so Meinl-Reisinger. „Wir haben sie angenommen, weil wir wollten – nicht, weil wir mussten.“ Das Ziel sei gewesen, Reformen und Änderungen voranzutreiben. Der Glaube daran, mehr als nur das Nötigste zu schaffen, sei vorhanden gewesen. Sozialer Ausgleich, Zukunftsdenken und Regierungserfahrung nennt Meinl-Reisinger als positive Elemente der Partner.

Sie habe der Neujahrsansprache des Bundespräsidenten aufmerksam zugehört: „Ja, wir brauchen ein gemeinsames Bild.“ Bis zur letzten Nacht habe sie Vorschläge gemacht, wie ein solches Bild für Österreich aussehen könnte. Effizienzbereinigung, Föderalismusreform, Nutzen für die Menschen, ein neues Denken bei Sozialpartnerschaften, Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie eine Politik über den nächsten Wahltermin hinaus zählt Meinl-Reisinger als zentrale Punkte auf.

Keine Reform mit der Brechstange

„Mir ist bewusst, dass man nicht mit der Brechstange agieren kann“, erklärt Meinl-Reisinger. Eine Reformregierung hätte immer zwei Perioden gebraucht. Neben kurzfristigen Maßnahmen bräuchte es vor allem strukturelle Veränderungen. Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft müssten wieder gestärkt werden, ergänzt durch sozialen Ausgleich und ein besseres Miteinander zwischen den Generationen. „Das Vertrauen in die Politik kann nur dann zurückgewonnen werden, wenn Parteien ihre Macht neu definieren. Es geht darum zu dienen“, so Meinl-Reisinger. „Für uns gehört das Reparieren, Reformieren und Investieren untrennbar zusammen.“

Rück- statt Fortschritte

„Wir sind nicht naiv. Wir wussten, dass Koalitionsverhandlungen Kompromisse erfordern“, stellt die NEOS-Chefin klar. „Und wir waren bereit dazu.“ Doch Lösungsansätze, vor allem in verfahrenen Situationen, seien nicht fruchtbar gewesen. In zentralen Fragen wie Budget und Investitionen habe es nicht nur keine Fortschritte gegeben, sondern sogar Rückschritte.

„'Weiter wie immer' statt 'kein Weiter wie bisher'“, fasst Meinl-Reisinger zusammen. Mit Schwarz-Rot habe kein Durchbruch erzielt werden können. Der nötige Spielraum, um Reformen und Reparaturen Hand in Hand zu realisieren, sei nicht vorhanden gewesen. „Wir standen wieder vor der gleichen Kurzsichtigkeit bis zum nächsten Wahltermin.“

Unterstützung für Schwarz-Rot

Aus diesen Gründen zieht man sich jetzt aus den Gesprächen zurück. Dass man als Partner aussteige, heißt aber nicht, dass man nicht Verantwortung übernehmen werde. Bereits beschlossene Kompromisse und Ausgehandeltes werde man – vorbehaltlich Budgetierung – weiter unterstützen.

Ausdrücklich dankt Meinl-Reisinger Karl Nehammer und August Wöginger für die Zusammenarbeit und das Über-den-Tellerrand-Denken. Auch für die Sozialdemokraten, die sich ihrer Meinung nach sicher nicht leicht getan hätte, gibt es wohlwollende Worte. Auffallend: Den Namen "Andreas Babler" spart sie dabei gänzlich aus. Dafür richtet sie an die Genossen neben Dank vor allem mahnende Worte: "Ich weiß, es ist schwer, aber ich appelliere an die staatspolitische Verantwortung, den Standort nicht aus dem Blick zu lassen."

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