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Österreich - Land der Staus
Österreich - Land der Staus
Marcos Assis/iStock/Getty Images Plus/Getty Images

Verkehrshölle: Österreich erstickt im Verkehr

01.10.2019 um 07:15, Gert Damberger
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Pendlerströme, Lkw- und City-Verkehr sind die drei Problemfelder, mit denen jede Verkehrsplanung kämpfen muss.

Linz ist anders. In Linz rennt der Jobmotor dem Zuzug noch davon. Die oberösterreichische Landeshauptstadt ist in der beneidenswerten Lage, mehr Arbeitsplätze (210.000) zu bieten als es Einwohner gibt (205.000). Das führt allerdings auch dazu, dass die Stadt frühmorgens aus allen Himmelsrichtungen regelrecht von Pendlern gestürmt wird. Rund 110.000 sind es. Und sie benutzen zu 75 Prozent das Auto.

Nadelöhre

Allein die 50.000 Einpendler aus dem Mühlviertel sorgen frühmorgens für kilometerlangen Kriechverkehr via Urfahr hinein ins Zentrum. Verschärft wird die Lage noch dadurch, dass es nur noch zwei Straßenbrücken über die Donau gibt. Eine davon, die Voest-Brücke, wird derzeit von der Asfinag verbreitert. Ab 2020 sollen dann zwei bezeichnenderweise "Bypass-­Brücken" genannte Bauwerke den Verkehrsinfarkt verhindern. Quälend langsamer Berufsverkehr und Straßen am Rande ihrer Aufnahmefähigkeit – auch Graz, Innsbruck, Salzburg und Wien sind in diesem Sinne Infarktpatienten.

Stauhauptstadt

Wien ist gemäß dem alljährlich veröffentlichten "Traffic Index" des Navi-Herstellers TomTom die derzeit am meisten von Staus geplagte Stadt Österreichs. Der Autonutzer muss sich hier darauf einstellen, morgens 43 Prozent und abends 52 Prozent zusätzliche Fahrzeit einzukalkulieren. Ein Pendler in der Bundeshauptstadt verliert im Schnitt 96 Stunden seiner Zeit pro Jahr durch Stau.

Parkzonen-Erweiterung

Die motorisierten Pendler sind, wie man sich denken kann, nicht beliebt bei den Stadtverwaltungen. Überall versucht man, ihnen das Parken so schwer wie möglich zu machen und sie so zum Umstieg auf die Öffis oder zur Benutzung eines P&R zu zwingen. Zum Beispiel hat man in Salzburg praktisch die gesamte Stadt zur blauen Zone ausgerufen. Weh dem Pendler, der keinen Firmenparkplatz hat. Er muss schauen, dass er seinen fahrbaren Untersatz in einem Parkhaus zwischenlagert und dann ein öffentliches Verkehrsmittel besteigt. In Wien, wo die Kurzparkzonen ebenfalls immer größer werden, steuert der Pendler aus Niederösterreich oder dem Burgenland dann eine P&R-Anlage an. Um dort festzustellen, dass die Nachfrage nach freien Stellplätzen größer als das Angebot ist und dass es schon Wartelisten für das gar nicht billige Dauerparken gibt. "Volle Park-and-ride-Plätze frustrieren Wien-­Pendler", war heuer im Sommer in einer Zeitung zu lesen.

Flucht aufs Land

Der Pendlerverkehr ist eines der Megaprobleme der Verkehrs­politik, nicht nur in Salzburg, Wien und Linz, sondern europaweit und weltweit. Dass es sich in Zukunft noch weiter verschärfen wird, hat damit zu tun, dass sich das Wohnen in den großen Zentren immer mehr verteuert und viele Menschen dazu zwingt, zum Wohnen ins günstigere Umland auszuweichen.

Rollende Lagerhalle

Sie verstopfen die Pendlerrouten, drängeln mit der Lichthupe, liefern sich Elefantenrennen und stellen ein hohes Sicherheitsrisiko dar – die Rede ist von den LKW auf Schnellstraßen und Autobahnen. Der Schwerverkehr ist neben den Pendlerströmen die zweite große verkehrs­politische Herausforderung. Auch hier rechnet man mit einer starken Zunahme. Laut Schätzungen des deutschen Verkehrsministeriums könnte der Warenverkehr auf der Straße bis 2030 um bis zu 39 Prozent im Vergleich zu heute wachsen.

Lkw-Hotspots

Während Österreichs Wirtschaft seit 2010 nominell um 6,9 Prozent gewachsen ist, hat der LKW-Verkehr in diesem Zeitraum doppelt so viel zugelegt. "Die rechte Autobahnspur ist regelrecht zur rollenden Lagerhalle geworden", sagt Markus Gansterer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Die Organisation wird nicht müde, auf die Kollateralschäden des Schwerverkehrs wie Lärm, Unfälle und Luftverschmutzung hinzuweisen. Zudem nutze ein schwerer LKW die Straße rund 35.000 Mal so stark ab wie ein Pkw. Am dichtesten rollen die Laster auf der Westautobahn bei Haid: 3,6 Millionen Lkw registrierten die Zählstellen zwischen Jänner und Ende August. Die zweithöchste Zahl, nämlich 3,1 Millionen Schwerfahrzeuge, donnerte über die A2 bei Biedermannsdorf und Hotspot Nummer drei ist derzeit die A23 auf der Praterbrücke mit 2,7 Millionen Lkw in den ersten acht Monaten.

Blockabfertigung

Enorm zugelegt hat auch der Transit in Richtung Süden. Im Vorjahr rollten 4,77 Millionen Trucks über die Alpen, wobei sich erstmals mehr als die Hälfte davon – rund 2,5 Millionen Laster – für die Brennerroute entschieden. Die Autobahn zwischen Kufstein über Innsbruck nach Bozen ist die "Transit-Hölle" schlechthin und bringt die Anrainer auf die Barrikaden. Lärm und Feinstaub erreichten ein derartiges Ausmaß, dass die Landesregierung (zusätzlich zum Tempo 100) heuer an verkehrsreichen Tagen eine Lkw-Blockabfertigung eingeführt hat. Das treibt wiederum die Frächter auf die Palme, weil die Verzögerungen Kosten verursachen. Auch der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer ist not amused. So wie er die Dinge sieht, rütteln die sturen Ösis an einem Grundpfeiler der EU, dem freien Warenverkehr.

Unterbesetzt

Laut dem genannten TomTom-Bericht, der die Situation in 403 Städten auf der ganzen Welt beleuchtet, hat die städtische Verkehrsbelastung in den vergangenen zehn Jahren zugenommen. In zwei Drittel der untersuchten Metropolen hat sich das Stau-Ausmaß zuletzt erhöht. Wenn sich übermo­torisierte SUV im Stop-and-go-Modus vorwärtsschieben oder im Schnitt mit weniger als 20 km/h dahinrollen, ist das Ideal der individuellen Mobilität eigentlich ad absurdum geführt. Jeder, der schon mal vom Gehsteig aus eine Staukolonne besichtigt hat, wird außerdem feststellen, dass in den Fahrzeugen meistens nur der Lenker drinsitzt. Der VCÖ hat ausgerechnet, dass das österreichische Automobil im Durchschnitt nur 1,15 Personen durch die Gegend kutschiert – Effizienz schreibt man anders.

Trendwende

Die Politik hat längst das Leitbild der "autogerechten Stadt" als nicht mehr zeitgemäß entsorgt. Jede Stadtverwaltung, die auf sich hält, setzt heute auf Fuzos, Verkehrsberuhigung, "Shared Spaces" und Radwege-Ausbau. Und auch die Stadtbewohner selbst wenden sich entnervt vom Privatauto ab, vorausgesetzt, sie haben vernünftige Alternativen.

Kfz-Abstinenz

Hierzulande hat das zur paradoxen Situation geführt, dass die Zahl der Pkw-Zulassungen heuer locker die fünf Millionen überschreitet, gleichzeitig aber auch die Autoverweigerer immer mehr werden. Rund 850.000 Haushalte haben landesweit kein Auto mehr. In Wien gibt es schon 42 Prozent ohne Privatauto, in Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck ist es im Schnitt jeder dritte Haushalt. Anders ist die Situation in den kleinen Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern – hier ist nur jeder neunte Haushalt nicht motorisiert. Am Land ist die Autowelt halt noch in Ordnung. So lange man nicht täglich nach Linz muss.

So will man den Verkehr in den Griff kriegen

  • City-Maut In Großstädten wie Rom, Stockholm, London oder Göteborg ist die City-Maut schon Realität. Kassiert wird bei jedem, der nicht in der Innenstadt wohnt oder arbeitet.
  • Radwegeausbau Ist in vielen Städten längst im Gang. Verkehrsexperten schätzen, dass sich bis zu 30 Prozent der Pkw-Fahrten auf den Radverkehr verlagern lassen.
  • Höhere Steuern auf Kraftstoff Um einen "Lenkungseffekt" zu erzielen, müsste man den Sprit sehr stark verteuern, was dann Pendler und Durchschnittsverdiener hart treffen würde. Das kann ins Auge gehen, siehe die Revolte der "Gelbwesten" in Frankreich.
  • Gratis-ÖPNV Umsonst Öffi-fahren, wie in Tallin, der Hauptstadt Estlands? Dort ist die Auslastung der Busse und Straßenbahnen stark angestiegen. Wohl eher nur eine Lösung für kleinere Städte, wo der öffentliche Verkehr noch nicht ausgelastet ist.
  • Intelligentes Staumanagement Bei Staus gibt es oft das Problem, dass Umleitungen auch schnell verstopft sind. In Zukunft könnte eine spezielle Software einen Teil der Verkehrsteilnehmer per Navi direkt auf die Ausweichstraße lotsen, einen Teil auf eine zweite Alternative, und ein Teil der Fahrer bleibt, wo er ist.
  • High Occupancy Vehicle Lanes (HOV) Das sind Fahrspuren, die für Autos reserviert sind, die einen oder mehrere Fahrgäste transportieren.
  • Schienenausbau Nur 17 Prozent aller Güter werden innerhalb der EU mit der Bahn transportiert. Alle Politiker sind sich darin einig, dass dieser Anteil gesteigert werden muss. In der Realität spießt sich der Ausbau eines transnationalen Schienennetzes an der Trägheit von 26 einzelstaatlichen Eisenbahnen. Bis heute kann die Bahn nicht mit dem Lkw in puncto Geschwindigkeit und Preis konkurrieren.
  • Flüster-Lkw In Zukunft könnte man einen Teil des Lkw-Verkehrs auf autonom fahrende Schwerfahrzeuge verlagern, die besonders leise sind und daher auch nachts fahren dürfen.

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