Mythos Tierliebe
Arthur Schopenhauer, der deutsche Philosoph, hat sich von Anfang an vehement für den moralischen Respekt gegenüber Tieren eingesetzt. Er war zudem sogar persönlich an einer Tierschutzbewegung in Deutschland beteiligt. Ihm wird unter anderem der Satz zugeschrieben: „Wer nie einen Hund gehabt hat, weiß nicht, was Lieben und Geliebtwerden heißt.“ Dieses Zitat wird oft und gerne hergenommen, wenn es um die Tierliebe geht. Von Schopenhauer stammt aber auch das Zitat: „Wer gegen Tiere grausam ist, kann kein guter Mensch sein.“ Während wir auf der einen Seite unsere Haustiere lieben und pflegen, lassen wir auf der anderen Seite industrielle Massentierhaltung zu.
Unverständlich. Warum bricht für viele eine Welt zusammen, wenn ein geliebtes Haustier nach gemeinsam erlebten Jahren stirbt und gleichzeitig lässt es so viele Menschen kalt, wenn Millionen von Nutztieren unter nicht artgerechter Haltung leiden müssen, um schließlich unter unwürdigen Bedingungen geschlachtet zu werden? Zu einem Rind, einem Schwein oder einem Huhn haben die wenigsten eine persönliche Beziehung, deshalb ist vermutlich auch vielen egal, wie sie gehalten und geschlachtet werden. In den vergangenen Jahren hat die Forschung viel über Sprachfähigkeit, Intelligenz und Gefühlsleben von Tieren herausgefunden und es wird immer klarer, dass der Mensch Tiere bei Weitem unterschätzt hat, was all diese Fähigkeiten anbelangt. Katzen können lügen, Hunde können Verletzungen vortäuschen, Affen können Tierfallen unschädlich machen und gefangene Artgenossen befreien. Sie können Zusammenhänge erkennen und zeigen Gefühle wie Trauer oder Freude, Angst oder Zufriedenheit. Das wirft zunehmend die Frage auf, wie der Mensch dazu kommt, sich als Wesen über alle anderen zu stellen. Für unsere Haustiere tun wir alles, sie dürfen auch einiges kosten. Aber Nahrungsmittel aus Tierproduktion sollen dagegen möglichst billig sein. Würden Menschen so wie früher die Tiere, die sie essen, selbst schlachten, hätten sie zu ihnen ein ganz anderes Verhältnis und würden ihnen mit mehr Respekt und Achtung begegnen und sie würden auch besser für diese Tiere vor ihrem Tod sorgen. Wir müssen erkennen, dass industrielle Massentierhaltung nicht nur den Tieren, sondern uns selbst am meisten schadet. Tja, das mit der Liebe ist schon ein seltsames Spiel. Sehr oft vergisst der Mensch darauf, dass Liebe und Verantwortung Hand in Hand gehen müssen, um der Beziehung eine Basis zu geben, von der sie dann auch in schlechteren Zeiten Halt und Stabilität erfährt. Zum Glück gibt es auch sehr gewissenhafte Menschen, denen bewusst ist, dass eine Mensch-Tier-Beziehung mindestens eine genauso große Verantwortung zu übernehmen heißt wie bei einer Beziehung zwischen zwei Menschen. Es wäre daher höchst an der Zeit, die Rechte der Tiere endlich auch in Form einer entsprechenden Gesetzgebung dahin gehend zu verbessern, dass Tiere Rechte und Würde haben und es diese zu schützen und zu verteidigen gilt.
Innige Verbundenheit. Bedeutende Humanisten vergangener Jahrhunderte waren zugleich überzeugte Tierliebhaber. Sowohl Albert Schweitzer als auch Mahatma Gandhi brachten menschliche und moralische Erhabenheit ausdrücklich mit der Hochachtung für die Tierwelt in Verbindung. Wer Zuneigung, Wärme und Verständnis oder Wohlwollen für Tiere übrighat, behandelt normalerweise auch seine Artgenossen so. Viele Menschen beargwöhnen jedoch, was alles für Tiere unternommen wird, wo Menschen doch Not leiden und Hilfe brauchen. Aber ist das wirklich eine Alternative? Mir ist dabei Franz von Assisis fast zärtliche Zuwendung zu Tieren in den Sinn gekommen, die ihn aber keineswegs davon abgehalten hat, mit ganzer Kraft armen und kranken Menschen zu helfen. Er liebte Tiere und Menschen! Das war vor 800 Jahren – in Umbrien.
Heilende Pfoten. Kein Wunder, dass die positiven Effekte von Tieren auf den Menschen auch im klinischen Sinn genutzt werden. Die wohl bekannteste Form der Assistenten auf vier Pfoten sind Hunde, die sehbehinderten Menschen zur Seite stehen, um ihnen die Orientierung zu erleichtern und sie dadurch mobiler und sicherer zu machen. Eine ähnliche Funktion erfüllen Demenz-Assistenzhunde. Oft können Demenzpatienten durch die Anwesenheit eines dafür ausgebildeten Hundes weiter zu Hause betreut werden. Fast schon mystisch muten die Fähigkeiten von Diabetes- oder Epilepsie-Warnhunden an. Diese hochsensiblen Vierbeiner sind in der Lage, eine drohende Unter- bzw. Überzuckerung oder einen bevorstehenden epileptischen Anfall zu erspüren. Durch Pfoteauflegen oder Anstupsen können sie ihre Menschen dazu bringen, rechtzeitig Medikamente einzunehmen oder telefonisch Hilfe anfordern. Entsprechend geschulte Therapeuten bieten auch Besuche mit Tieren an, so ermöglichen einige Kliniken und Seniorenheime das zeitweilige Streicheln, Bürsten oder Füttern von Tieren. Patienten mit eingeschränkten Kommunikationsfähigkeiten reagieren oft sehr freudig darauf. Autismus-Kranke etwa finden durch Tiere eine Art „Türöffner“ und können leichter mit der Außenwelt in Austausch treten. Was aber ist mit den Tieren, die uns brauchen?
Auf den Hund gekommen. Ein Hund entscheidet sich einmal für den Rest seines Lebens. Er fragt sich nicht, ob er wirklich mit uns alt werden möchte. Er tut es einfach. Aber umgekehrt ist das leider nicht immer so selbstverständlich. Was sind wir bereit zu geben für Tiere, mit denen wir schon einiges an gemeinsamen Lebensabschnitten verbracht haben und die jetzt plötzlich mehr von unserer Aufmerksamkeit brauchen, weil sie selbst alt oder krank geworden sind? Liebe kann niemals nur eine Einbahnstraße sein. „Behandeln Sie Ihr Haustier am besten so, dass Sie im nächsten Leben ohne Probleme auch mit vertauschten Rollen klarkommen. ‚You never know!‘, bringt es der Autor, Schauspieler und Tierfreund Hape Kerkeling treffsicher und schön auf den Punkt.