Die Kaidi Zeremonie: So erleben Chinas Kinder die Einschulung
Seit einigen Jahren lebt eine alte Tradition in China wieder auf. Im Zuge der Einschulung findet für hunderte von chinesischen Erstsemestern die sogenannte Kaidi-Zeremonie statt.
Ursprung und Bedeutung
Die Zeremonie stammt aus dem antiken China. Dort existierte schon weit vor Christus ein Bildungswesen, das prinzipiell allen Bürgern des Landes offenstand. Die erste Schreibzeremonie war eines der vier wichtigsten Rituale im Leben eines chinesischen Bürgers und diente der Förderung der Kultur und Nation Chinas.
Lernen wurde dabei als heilige Mission betrachtet. Mit der Zeremonie sollte das Interesse am Lernen gefördert werden. Zudem kennzeichnete die Einschulungszeremonie den Beginn der Einübung von Etikette und den mannigfaltigen Kulturpraktiken Chinas.
Ein besonderer Stellenwert innerhalb der Zeremonie kam dabei der Ehrung der Eltern und des Lehrpersonals zu. Ihnen wurden Dank und Respekt für ihre Arbeit und ihren Einsatz ausgesprochen.
Mit der zunehmenden Modernisierung Ende des 20. Jahrhunderts verlor dieser Brauch zunehmend an Bedeutung.
Tradition in Neuauflage
Mit dem technisch-wirtschaftlichen Fortschritt des Landes wirkten über die Jahre neue Esstrends, Kleidungsstile und fremde Sprachen auf die Chinesen ein. Zu stark scheint den politisch Verantwortlichen mittlerweile der Einfluss des Westens, der die chinesische Kultur, Tradition und nationale Identität in den Hintergrund zu rücken droht. Dieser Tendenz möchte das Land mit der Wiederbelebung des alten Zeremoniells entgegentreten, mit dem Ziel, das Kulturgut zu erhalten und das Traditionsbewusstsein zu beleben.
Riten und Gebräuche der Zeremonie
Die Auslegung der alten Tradition und der Ablauf sind abhängig von Provinz und Schule. Einige Punkte finden sich jedoch in jeder Kaidi-Zeremonie wieder.
1. Tragen von Hanfu-Kleidung
Als Hanfu wird die historische Kleidung der Chinesen aus der Han-Dynastie bezeichnet. Die verschiedenen Ausprägungen dieser Nationaltracht sind Symbol für die innere geistige Haltung. Unter Anleitung des Lehrers wird die Kleidung begradigt. Erst wenn diese ordentlich sitzt - im übertragenen Sinn die innere Haltung eines Menschen - kann mit dem Lernen begonnen werden.
2. Chusha Kaizhi
Auf der Stirn der Schüler bringen Eltern, Lehrer oder Gäste einen zinnoberroten Punkt an. Dieser symbolisiert das „Öffnen des Auges“ bzw. das Öffnen des Geistes für die Weisheit. Dazu muss man wissen, dass in der chinesischen Sprache das Wort für „roter Punkt“ und „Weisheit“ gleich ausgesprochen werden. Überdies gilt Rot als Glücksfarbe in China.
3. Das Schlagen der Trommeln
Je nach Auslegung der Tradition trommeln entweder die Schulanfänger selbst oder Lehrende und Elternvertreter. Das Trommeln ist Segnung und Symbol zugleich. Je weiter der Klang reicht, desto größer der Ehrgeiz und klarer das Ziel im Leben.
4. Gedenken an Konfuzius
Fester Bestandteil jeder Kaidi-Zeremonie ist das Gedenken an Konfuzius und das Vortragen von gewünschten Verhaltensweisen, Lebenstugenden und einfachen Wahrheiten des Lebens. Diesem Vortrag folgt ein Eid seitens der Erstsemester, in dem sie schwören, Eltern und Lehrer zu respektieren, zivilisiert und höflich zu sein und hart zu lernen. Häufig folgt in den Schulen diesem Ritual noch ein Besuch des Konfuzius-Porträts.
5. Erste Kalligraphie-Versuche
Das Schreiben des ersten Wortes durch die Schüler gilt als besonderer Höhepunkt der Zeremonie. Mit einem Kalligraphie-Pinsel werden zwei geschwungene Striche auf ein Blatt Papier gemalt. Das verhältnismäßig einfache Zeichen „ren“ bedeutet „Mensch“ oder „Person“ und symbolisiert den gefestigten Stand im Leben.
Anfang und Ende des Schulsystems
Nach der Zeremonie sind die Schüler bereit für den Alltag. Mindestens neun Jahre verbringt ein chinesisches Kind in der Schule, die in die Grund- und Sekundarstufe unterteilt ist. Im Rahmen der sekundären Ausbildung kann der Schüler weiterführend zwischen berufsbegleitenden oder allgemeinbildenden Schulen wählen. Mit dem Gao Kao, einer landesweiten einheitlichen Aufnahmeprüfung für Hochschulen, geht der Lebensabschnitt der Schulzeit, die einst so stimmungsvoll eingeleitet wurde, offiziell zu Ende.
Zur Autorin
Sie schwärmen für Asien? Dann haben Sie etwas mit Passion Author Barbara Kluibenschädl gemeinsam. Die Tirolerin hat ein Faible für asiatische Kultur und Kulinarik, von denen auch ihre Texte, mit denen sie www.weekend.at bereichert, überwiegend handeln.