Shinrin yoku: Warum Waldbaden gesund hält
Waldaufenthalte auf Rezept - in Japan seit den 1980er-Jahren ein fester Bestandteil der Gesundheitsvorsorge. "Shinrin yoku", das wörtlich übersetzt "In die Atmosphäre des Waldes eintauchen" und verkürzt "Waldbaden" heißt, ist dabei nicht mit der Waldtherapie gleichzusetzen, die als Behandlung nach überstandenen Krankheiten zum Einsatz kommt. Die Übergänge sind allerdings fließend.
Einklang von Geist und Körper
Ziel ist es, während des Waldbadens zur Ruhe zu kommen, sich treiben zu lassen und die Vielfalt des Waldes mit allen Sinnen wahrzunehmen. Verstärkt wird dieser Effekt durch Bewegungen, die Geist und Körper miteinander in Einklang bringen - Spazieren, Yoga oder Qi Gong etwa. Ob das Waldbaden in der Gruppe oder alleine praktiziert wird, bleibt dem einzelnen überlassen.
Was schenkt uns der Wald?
Der Wald wirkt auf mehreren Ebenen im Menschen. Dieser einzigartige Mix erklärt die hohe Wirkkraft des Shinrin yoku.
- Evolutionäres Erbe: Wald und Natur bieten dem Menschen Sicherheit, Lebensraum und Nahrung. Das beruhigt und setzt positive Gedanken und Gefühle in Gang, verbindet uns mit unserem evolutionärem Erbe.
- Stimulierende Moleküle: Waldluft besitzt eine höhere Luftfeuchtigkeit, ist reiner und enthält sogenannte Terpene - aromatische Moleküle, die unter anderem von der Rinde und den Nadeln der Bäume freigesetzt werden. Sie stimulieren den Hormonhaushalt und das zentrale Nervensystem.
- Wohltuende Stille: Die Geräuschkulisse im Wald beruhigt und entspannt, der Waldboden und das Laubwerk dämpfen jeglichen Lärm.
- Klare Gedanken: Laut dem Wissenschafter-Duo Kaplan & Kaplan hilft uns ein Waldbesuch dabei, das Gedanken-Wirrwarr zu ordnen und so Raum für Selbstreflexion und -wahrnehmung zu schaffen.
Bei welchen Beschwerden kann Waldbaden helfen?
Mehrere Studien konnten signifikante Veränderungen im menschlichen Körper feststellen. Bereits Aufenthalte von zehn Minuten zeigten positive Wirkung, vor allem bei stressbedingten Beschwerden. Überdies kann Waldbaden:
- das Level des Stresshormons Cortisol im Blut, sowie den Blutdruck und die Pulsfrequenz senken
- unsere Immunabwehr stärken: Laut Untersuchungen der Nippon Medical School in Tokio vermehrte sich der Anteil der für uns so wichtigen Killerzellen im Blut nach nur einem Tag im Wald um vier Prozent, vermutlich unter der Wirkung der bereits erwähnten Terpene. Davon ausgehend konnten in Laborversuchen Terpene erfolgreich zur Linderung von Krebserkrankungen eingesetzt werden
- die Schlafqualität verbessern, vor allem ein Waldspaziergang am Nachmittag
- Atemwegserkrankungen wie Asthma lindern: Die Entzündung geht zurück, die Bronchien erweitern sich und werden besser durchblutet
- Alpha-Wellen erhöhen, wie Hirnstrommessungen ergaben: Die Folge ist ein deutlicher Abbau der Stresshormone in unserem Gehirn
Waldbaden für Feuerwehrleute
Die außergewöhnliche therapeutische Wirkung des Waldes auf das allgemeine Wohlbefinden konnte eindrucksvoll in Südkorea nachgewiesen werden. 293 Feuerwehrmänner und -frauen, die bei verheerenden Waldbränden tage- und wochenlang das Feuer bekämpfen mussten, verbrachten im Zuge einer gemeinsamen Studie des National Center for Forest Therapy und des National Center of Forest Sience mehrere Tage in Waldhütten. Durch den Waldaufenthalt konnten die Symptome der unter posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD) leidenden Testpersonen deutlich verringert werden.
Welcher Wald ist zum Waldbaden ideal?
Wald ist dabei nicht gleich Wald, wie Karin Kraft, Ärztin und Vorsitzende der Gesellschaft für Phytotherapie und Vorreiterin für "Nature Based Therapy" im deutschsprachigem Raum, bestätigen konnte. Bei ihrer Bewertung von Heilwäldern zeigte sich, dass sich nicht jeder Wald zum Waldbaden eignet, sondern bestimmte Merkmale aufweisen muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, darunter ein bestimmtes Maß an Lichtdurchlässigkeit, Farbwechsel, Wasser, verschiedene Vegetationshöhen sowie Aromen. So bieten ein Wald am Rand eines Industriegebiets oder ein reiner Nadelwald nicht den Erholungsgrad wie ein Mischwald.
Wirkung des Waldbadens schwer messbar
Dass es sich beim Waldbaden vielfach um gefühlte Verbesserungen handelt, tut dem Trend keinen Abbruch. So ist der Einfluss von Bewegung auf die Steigerung des Wohlbefinden während des Waldbadens nicht konkret messbar, ebenso wenig die Wirkung des Alleinseins. Das gilt auch für die Unterschiede zwischen Menschen in urbanen und ländlichen Gebieten, die unbestritten vorhanden sind, sich aber bislang noch nicht im wissenschaftlichen Sinne in Zahlen belegen lassen. Die positive Wirkung des Waldbadens bleibt dessen ungeachtet unbestritten. Nebenwirkungen sind bislang jedenfalls keine bekannt - dafür umso mehr das große Potenzial, das in Shinrin yoku steckt.
Zur Autorin
Sie schwärmen für Asien? Dann haben Sie etwas mit Passion Author Barbara Kluibenschädl gemeinsam. Die Tirolerin hat ein Faible für asiatische Kultur und Kulinarik, von denen auch ihre Texte, mit denen sie www.weekend.at bereichert, überwiegend handeln.