Zurück zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit
Kein Sommermärchen für den österreichischen Fußball bei der Europameisterschaft. Kein Sommermärchen für die heimische Wirtschaft. Während in Leipzig die Österreicher von den Türken unglücklich aus der Euro 2024 gekickt wurden, waren es in Wien die Wirtschaftsforscher von Wifo und IHS, die Hoffnungen auf eine konjunkturelle Besserung zunichte machten. Wachstum gibt es nur bei den Schulden. „Wir brauchen ein Rendezvous mit der Realität“, sagte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr bei der Präsentation der Sommerprognose Ende Juni. Österreich habe im Vergleich zu 2019 einen Wohlstandsverlust erlitten. Das BIP pro Kopf ist heute um 1,5 Prozent geringer als vor fünf Jahren. In der Eurozone liegt das BIP im Schnitt um drei Prozentpunkte höher. Die vielen staatlichen Hilfen und die hohen Lohnsteigerungen haben das Land Wettbewerbsfähigkeit gekostet. Klar ist auch: Österreich wird heuer und 2025 die Maastricht-Kriterien von 3 Prozent Neuverschuldung verfehlen. Von Brunners Budget blieben damit nur Schulden. Neben den erodierenden Staatsfinanzen und überzogenen Sozialleistungen weist Österreich mit 43 Prozent die dritthöchste Steuerquote der EU auf. Die Abgabenlast müssen indes immer weniger Bürger schultern: Nur noch 30 Prozent der Arbeitnehmer- und 50 Prozent der Unternehmerhaushalte sind Nettozahler.
Ist der Standort abgesandelt?
Sorgenfalten bereitet auch der Arbeitsmarkt. Ein Plus bei der Arbeitslosigkeit von 16 Prozent im Juni nur die Industrie betreffend. Oberösterreich hat 18 Prozent mehr Arbeitslose als noch vor einem Jahr. „Wenn wir nicht das Ruder herumreißen, wird der Druck auf den Arbeitsmarkt noch stärker“, sagt Christoph Neumayer, der Generalsekretär der Industriellenvereinigung. Wirtschaftsminister Martin Kocher merkte durchaus selbstkritisch an, dass die Regierung vielfach naiv agiert habe und zu wenig strategisch. Österreich sei zwar nicht abgesandelt, wie Christoph Leitl einst anmerkte, aber der Standort steht massiv unter Druck, so Neumayer. „Wir haben ein massives Preis-Leistungs-Mismatch. Bei den Lohnstückkosten haben wir Zuwächse bis 2026 von 5,8 Prozent.“ Pensionen und Verwaltungsreform: Daran werde die nächste Regierung nicht vorbeikommen, sagt Neumayer.
Deglobalisierung ist real
Auf Europa angesprochen, sieht KTM-Chef und IV-OÖ-Präsident Stefan Pierer einen Abwärtstrend. „Als jemand, der Rennsportgeräte produziert, kann ich nur sagen, dass wir mit Full Speed in die falsche Richtung unterwegs sind.“ Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hat von einer Zeitenwende gesprochen. „Es ist tatsächlich eine Zeitenwende. Wir erleben eine massive Deglobalisierung der Wirtschaftsbereiche, USA, China und Indien beginnen, sich neu aufzustellen. Und dazwischen sind 27 europäische Zwerge, die sich untereinander auch noch verzwergen“, sagt Pierer. Vor 25 Jahren wies die EU ein globales BIP von 25 Prozent auf, heute liegt die Staatengemeinschaft bei 15 Prozent. Pierer kritisiert, dass Antworten auf den demografischen Wandel fehlen. „Die qualifizierte Einwanderung haben wir leider nicht zusammengebracht, obwohl 2015 noch alle sagten: Wir schaffen das.“ Stattdessen gebe es unkontrollierte Einwanderung in unsere Sozialsysteme. Mit dem Green Deal habe man den Kapitalmarkt zum Stillstand reguliert. Weil Österreich mit seinen Exporten zu 40 Prozent von Deutschland abhängig ist und die Deutschen erst nächstes Jahr wählen, „werde es noch ein Jahr dauern, bis sich die Wende einstellt. Aber nicht aufgeben, sage ich. Aufgeben tut man einen Brief. Das Unternehmertum ist auch optimistischer Realismus“, so Pierer, der auch auf das „Reparaturpaket“ der IV verweist. Die wichtigste Forderung: Wir müssen wieder mehr arbeiten. Und: Leistung muss sich wieder lohnen. Also runter mit den Lohnnebenkosten.
Startups fallen zurück
Nicht nur im Bereich „Old Economy“ fallen Europa und Österreich hinter China und die USA zurück. Ronald Rapberger, DACH-Regionalmanager der Investment- und Equity-Managementplattform SeedBlink, konzentriert sich auf die Konkurrenzfähigkeit in Sachen Technologisierung von österreichischen Unternehmen und Innovation, denn: Österreichische und europäische Start-ups fallen hinter ihren internationalen Pendants zurück. Und das in einer Zeit, in der das Wirtschaftswachstum in Österreich nachweislich hinter jenem der gesamten EU liegt – während China ganz vorne liegt. „Europa ist in Sachen Konkurrenzfähigkeit das Pony im Pferderennen, Österreich schafft es gar nicht erst aus der Box“, so Rapberger.
Am Markt vorbei entwickeln
Verantwortlich dafür macht er eine schwache Infrastruktur und hohe bürokratische Hürden in Europa: zu wenige Förderungen, zu schwache Investmentbranchen und mangelnder Innovationsdrang. Das bezieht sich auf Förderstellen, die ihre Kriterien am Markt vorbei entwickeln, auf Investoren, die versuchen, Innovationskraft an Konzernkompatibilität zu messen, aber auch auf Gründer, die voller Motivation auf einen mangelhaften Trampelpfad des Unternehmertums geschickt werden und diesem blind folgen. Was Rapberger ärgert, ist die Kurzsichtigkeit in Europa, keine IT-Giganten wie Nvidia aufgebaut zu haben. Der US-Chiphersteller sei auch nicht von heute auf morgen entstanden, hat aber mit der KI früh auf das richtige Pferd gesetzt. „Europa ist drauf und dran, den KI-Trend wieder zu verschlafen.“ Angesprochen auf notwendige Reformen, weist Rapberger auf einen anderen Aspekt hin: „Ich kenne in meinem Land Österreich, aber auch auf EU-Ebene nur wenige Parteien, die damit Werbung machen, die Wirtschaft anzukurbeln. Warum ist das so?“