Von Alkohol und Psychopharmaka
Welche Rolle spielen Suchterkrankungen und Substanzkonsum jeglicher Art in Unternehmen?
Substanzkonsum in der Arbeitswelt erfüllt grob gesagt zwei Funktionen: Das Coping, um sich zu entspannen, und das Doping, um leistungsfähiger zu sein. Beim Coping steht der Substanzkonsum vor der Arbeit, etwa wenn man Angst hat, seine Leistung nicht bringen zu können, oder nach der Arbeit, um abschalten zu können, im Vordergrund. Dazu lassen sich viele Substanzen einsetzen. In erster Linie der Alkohol. Es gibt Gruppen mit erhöhtem Risiko, etwa in Gesundheitsberufen. Stark betroffen sind dabei weibliche Führungskräfte, wo nach der Arbeit oft noch die familiäre Belastung dazukommt. Alkohol hilft beim Entspannen und Entlasten. Das kann aber auch der Joint sein oder jemand, der sich nach der Arbeit zum Glückspielautomaten an der Tankstelle setzt und abschaltet. Wobei sich Glücksspiel anders auswirkt als Drogen- und Alkoholkonsum. Das zeigt sich eher über Schulden, Lohnpfändungen oder Konflikte unter Kollegen, die Geld geborgt haben. Schwerer zu erkennen ist der Internetgebrauch, etwa Onlinegaming. Das kann über die Leistungsebene auffallen, weil sie oft über Tage zu wenig schlafen.
Und wie sieht es mit „Doping“ am Arbeitsplatz aus?
Damit will man über die Einnahme von leistungssteigernden Substanzen die eigene Belastbarkeit, Konzentration und Kreativität fördern. Man nennt das auch Neuro-Enhancement. Leistungssteigernde Substanzen beginnen beim Soft-Enhancement, die sogenannten OTC (Over The Counter)-Substanzen, die legal im Supermarkt erhältlich sind. Wir hören von Unternehmen, dass vor allem bei Schichtarbeit der Energydrink-Konsum hauptsächlich bei 16- bis 24-Jährigen sehr auffällig ist. Aber auch lifestylige Ginseng-, Guarana- oder Koffeinpräparate gehören dazu. Es gibt aber auch Mood-Enhancement, mit dem man die Stimmung beeinflussen will. Das wären Substanzen wie Antidepressiva, um Stimmungsschwankungen auszugleichen, oder klassische verschreibungspflichtige psychoaktive Substanzen. Natürlich auch Mittel ohne medizinische Indikation. In Deutschland etwa gab es eine Untersuchung, die herausfand, dass zwischen 20 bis 30 Prozent des ausgegebenen Ritalins nicht an ärztliche Indikation gebunden waren. Ritalin nutzen viele Studenten, um vor Prüfungen länger durchlernen zu können. Zu Mood-Enhancement gehören auch Medikamente wie Modafinil. Das ist ein Medikament gegen Narkolepsie, das für Menschen mit Schlafkrankheit entwickelt wurde.
Inwieweit spielen illegale psychoaktive Substanzen in der Arbeitswelt eine Rolle?
Klassiker sind da die aufputschenden Substanzen wie Kokain, Amphetamin oder Crystal Meth, die als Einzelfälle in Unternehmen zum Thema werden. Diese Substanzen treten häufig in Kombination mit Nachtschicht auf. Es dauert aber nicht lange, bis es zu Auffälligkeiten kommt. Crystal Meth und Kokain machen schnell abhängig, und wenn die Wirkung nachlässt, schlägt es oft ins Gegenteil um. Die Konsumenten werden depressiv, sie fallen in ein Loch. Weitere Erkennungsmerkmale sind etwa, dass die räumliche Distanz verloren geht. Sie werden schnell grenzüberschreitend, auch wird die Frustrationstoleranz niedriger. Solche Konsumenten haben eine deutlich kürzere Zündschnur. Dazu kommt, dass, etwa wenn die Nachtschicht oder der lange Bürotag aufhört, sie sich wieder in einen Entspannungszustand bringen müssen, also einen Gegenspieler wie Schlafmittel oder Cannabis benötigen. Man ist damit schnell in einer polytoxikomanischen Spirale.
Immer wieder hört man vom Phänomen des Micro-Dosings. Was steckt dahinter?
Das ist ein Phänomen, das vor etwa zehn Jahren im Silicon Valley entstand. Vor allem bei Kreativberufen oder Startups. Dabei arbeitet man mit geringen LSD-Dosen, zwischen fünf und 15 Mikrogramm, um keine rauschhafte oder psychoaktive, halluzinogene Wirkung zu erzielen. Man verspricht sich damit, kreativer und wacher zu werden und leichter über den Tellerrand blicken zu können. Darüber gibt es noch wenige Daten. Es gibt eine Studie des Londoner Imperial College. Sie haben LSD- Micro-Doser mit Personen, die Placebos erhalten haben, verglichen und konnten keinen Unterschied feststellen. Bei hoch leistungsfähigen Personen zeigt es kaum Wirkung, sondern geht eher ins Gegenteil. Menschen, die auf einem nicht so hohen Leistungslevel sind, profitieren am ehesten davon. Momentan gibt es einiges an Forschung rund um LSD und psychoaktive Substanzen in Pilzen im Einsatz von Therapie in der Psychiatrie. Psychiater meinen, dass es durchaus gute Ergebnisse in der Behandlung von Depression gäbe. In der Schweiz und in Australien ist unter klinischen Rahmenbedingungen der Einsatz von Psilocybin (Pilze) erlaubt. In Deutschland wurde dazu eine große Studie in Auftrag gegeben.
Der „Klassiker“ ist und bleibt der Alkohol. Wie erkennt man als Führungskraft problematisches Verhalten?
Nach 20 Jahren Arbeit mit Führungskräften traue ich mich zu sagen, dass man bei Alkohol relativ früh erkennen könnte, wenn sich ein Problem entwickelt. Und doch dauert es sehr lange, bis Maßnahmen gesetzt werden, oft zu lange. Eine ältere Umfrage aus Tirol zeigte, dass von der ersten alkoholbedingten Auffälligkeit bis zur Kündigung aus Hilflosigkeit oft sieben Jahre vergehen. Vor allem dann, wenn das Thema tabuisiert ist und es keine klaren Spielregeln gibt. Man will sich keinen Wickel anfangen. Zudem wird das Verhalten von den Kollegen lange gedeckt. Sie meinen es gut und beschützen anfangs ihren Kollegen. Das geht oft einige Jahre so und bleibt damit unter der Decke. Für den Betroffenen bedeutet das, dass er nichts beitragen muss, die Signale der Ampel stehen auf Grün. Erst wenn die Kollegen nicht mehr mitspielen, steigt der Druck.
Wie geht man als Unternehmen mit Mitarbeitern um, die einen problematischen Konsum zeigen? Das ist ja noch immer ein Tabuthema.
Sobald Führungskräfte mehrere Auffälligkeiten entdecken, sollten sie sofort das vertrauliche Gespräch suchen. In neun von zehn Fällen werden sie dann hören, dass die betroffene Person alles im Griff hat. Die Betroffenen werden es aus Gründen der Selbstmanipulation oder aus Scham abstreiten. Dennoch ist das Gespräch wichtig und die Führungskraft sollte sofort einen Folgetermin ausmachen. Es braucht also ein klares Regularium, am besten eine Betriebsvereinbarung, und die muss kommuniziert werden. Sie löst eine Interventionskette aus. Im Erstgespräch wird eine verbindliche Vereinbarung getroffen. In einer zweiten Stufe ist die Belegschaftsvertretung mit am Tisch – in allen Stufen wird der Gesprächskreis größer – und es wird Hilfe angeboten. Bei der dritten Auffälligkeit sollte die Personalabteilung dabei sein, denn da gibt es auch schon arbeitsrechtliche Konsequenzen – eine erste schriftliche Verwarnung. Der Betroffene muss nachweislich zum Arbeitsmediziner und zur externen Suchtberatung gehen. In der letzten Stufe, jetzt geht es bereits um eine krankheitswertige Sucht, bietet das Unternehmen an, den Arbeitsplatz zu erhalten, wenn der Mitarbeiter eine Entwöhnungsbehandlung in Anspruch nimmt. Viele Unternehmen bieten diese Unterstützung, weil es sich wenige leisten können, Mitarbeiter zu verlieren. Dazu muss man bedenken, dass 5 Prozent der Bevölkerung einen krankheitswertigen Alkoholkonsum aufweist – 7,5 Prozent, wenn man nur die Männer nimmt. 18 Prozent aller Männer haben einen gesundheitsschädlichen Alkoholkonsum, das wird mit vier Bier, oder einem Liter Wein pro Tag definiert. Kündigungen sind keine Lösung. Ab einer gewissen Größe und in männerlastigen Branchen habe ich einen Drehtüreffekt.