Radikaler IT:U-Ansatz ist vielversprechend
CHEFINFO: Oxford ist ein fast schon mythisch verklärter Ort mit einer über 1.000 Jahre langen Tradition. Ist das wirklich so bzw. wie ist es aus Ihrer Sicht gelungen, diesen Status als eine der besten Universitäten der Welt so lange zu halten?
Christoph Reisinger: Auf den ersten Blick fallen Besuchern sicher die sehr schönen alten Gebäude auf, die Studenten, die in Talaren zu den Prüfungen eilen, und das eine oder andere skurrile Ritual. Aber in der Substanz hat es Oxford geschafft, sich den aktuellen Themen zu stellen und in der Forschung und Lehre von ganz vorne mitzugestalten. Das internationale Renommee und die bestehende Exzellenz helfen natürlich, führende Wissenschaftler weltweit anzulocken. In der Lehre zieht die individuelle Betreuung in Tutorien einige der besten Studenten über die Grenzen hinaus an. Die Universität ermöglicht zeitlose Grundlagenforschung, ist aber ebenso über ein großes und belastbares Netzwerk mit der Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft verbunden.
Wie ging es Ihnen, als Sie die ersten Tage in Oxford verbrachten? Wie lange braucht man, um sich dort zurechtzufinden?
Reisinger: Oxford zieht einen recht schnell in seinen Bann. Es hat eine für mich attraktive Kombination aus einer internationalen und inspirierenden Uni mit faszinierenden Kollegen, einer charmanten Kleinstadt mit malerischem Umland und als Draufgabe noch London mit allen kulturellen Möglichkeiten nur eine Zugstunde entfernt. Eine grobe Orientierung dauert nicht lange – um alles zu verstehen, wird meine Zeit hier wohl nicht reichen.

An was forscht man in der Mathematik derzeit genau bzw. in welche konkreten Anwendungen fließen die Ergebnisse?
Reisinger: Das fängt bei grundlegenden Fragen der reinen Mathematik an, zum Beispiel in der Zahlentheorie, wo mein Oxforder Kollege James Maynard vergangenes Jahr die Fields-Medaille, den größten Preis in der Mathematik, für seine Ergebnisse zur Struktur der Primzahlen erhalten hat. Die angewandte Mathematik ist inzwischen in den verschiedensten Bereichen wie der Finanzwirtschaft, Medizin oder künstlichen Intelligenz tätig. Im letzteren Themenkreis beschäftige ich mich momentan speziell mit Eigenschaften von hochdimensionalen neuronalen Netzen, dem Lernverhalten von Optimierungsverfahren in der Steuerungstheorie und der Sicherheit von generativen Modellen (wie ChatGPT). Ich interessiere mich dabei sowohl an den mathematischen und rechnerischen Grundlagen der KI, arbeite aber auch an konkreten Anwendungen, wie in der Flugverkehrskontrolle, der Steuerung von Autos in der Formel 1 oder der Handelsausführung in elektronischen Märkten.
Die IT:U (Digitaluni Linz) startet mit einem völlig neuen Lehrkonzept: Labore statt Hörsaal, starke Interdisziplinarität etc. Kennen Sie dieses Konzept bzw. was halten Sie von dieser Form des Lehrens bzw. Lernens? Ist das die Zukunft?
Reisinger: Ich habe die Entwicklung der IT:U aus der Ferne mit Spannung mitverfolgt. Das Lernen in Kleingruppen ist in Oxford seit Jahrhunderten ein Eckpfeiler der Bildung und erlaubt die direkte Auseinandersetzung mit der Materie. Die IT:U übersetzt das in das 21. Jahrhundert. Wissenschaftliche Herausforderungen in der Größenordnung und Komplexität, wie wir sie jetzt vorfinden, lassen sich nur interdisziplinär und international bewältigen. Ich finde den radikalen und zukunftsorientierten Zugang der IT:U sehr vielversprechend und freue mich darauf, die Erfolge mitzuverfolgen.