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Selbstständige haben alle Hände voll zu tun.
Selbstständige haben alle Hände voll zu tun.
Selbstständige haben alle Hände voll zu tun.
Marharyta Marko / iStock / Getty Images Plus

Leistungsbereite dürfen nicht die Deppen sein

08.07.2024 um 10:59, Jürgen Philipp
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Was würden Selbstständige sofort ändern, wenn sie könnten? Wo drückt der Schuh? Wie können wir Unternehmertum attraktiver gestalten? CHEFINFO hat nachgefragt.

Ein Anruf an einem Sonntag um vier Uhr Früh – Einsatz. Die drei Schwestern Margareta Staudinger, Ulrike Wolfsgruber und Andrea Gebel kennen das. Sie führen das Bestattungsinstitut Grün­zweig in vierter Generation. Bei Unfällen oder Suiziden müssen sie sofort reagieren. Ihr Einzugsgebiet: Von Offenhausen im Norden bis Bad Wimsbach im Süden, von Steinerkirchen an der Traun im Westen bis Aichkirchen im Osten. „Selbst und ständig“ bekommt bei den Schwestern eine andere Bedeutung. Das Handy abzuschalten – ein Luxus. In den Urlaub zu fahren – immer nur in Abstimmung und mit Höchstleistungen der beiden anderen verbunden. Das kennen sie von Kindesbeinen an. „Wir sind damit groß geworden. Urlaube gab es prinzipiell keine. Wenn wir einen Familienausflug geplant hatten und sich der Pieper von Papa gemeldet hat, hieß es, ab zur nächsten Telefonzelle, und der Ausflug war vorbei“, schildert Wolfsgruber. Die Lebensplanung aller drei sah anderes vor und doch waren es vor allem private Schicksalsschläge, die sie wieder zusammenführten und so ins gemeinsame Unternehmen. „Wir sind wie ein gut funktionierendes Uhrwerk und ergänzen uns“, schildert Wolfsgruber. Eine besondere Branche, die sich nicht planen lässt. Eine harte Branche, die oft an die Nieren gehen kann. Vereinfachte Rahmenbedingungen könnten die Schwestern daher besonders brauchen.

Flexible Pensionisten

Vor allem beim Thema Personal. Das Bestattungsinstitut kann dabei auf treue, zum Teil bereits pensionierte Mitarbeiter in Teilzeit setzen. „Sie sind flexibel einsetzbar und arbeiten gerne. Sie sind in Gesellschaft und es entstehen Freundschaften“, so Staudinger. Wenn sich ­Interessierte bewerben, gibt es leider oft ein großes „Aber“. „Sie müssen vierteljährlich Einkommensteuer vorauszahlen, da der Verdienst zur Pension zugerechnet wird. Gerade Pensionisten, die viel beigetragen haben, werden zur Kasse gebeten.“ Das durchzieht die gesamte Branche. Bestattung als höchstpersönliche Dienstleistung findet sich nicht gerade in den Top-Rankings, wenn es um Berufseinsteiger geht. Der Job lässt sich auch nicht durch KI, Robotik oder Automatisierung erledigen. Staudinger: „Wir sind daher sehr eingespannt im Betrieb. Das Motto ,Leistung muss sich lohnen‘ können wir nur unterstützen“. Die Schwestern sehen das auch in anderen Branchen. „Wir sind bei Frau in der Wirtschaft aktiv und kennen die Herausforderungen auch von vielen anderen Firmen.“ Gerade kleine Unternehmen, das zeigt die Statistik, werden von ­Frauen geführt. Frauen, die auch neben ihrer Selbstständigkeit nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit leisten. „Unser Papa hat immer gesagt: Frauen sind die besseren Bestatter, weil sie einfühlsamer sind“, ergänzt Wolfsgruber.

Drei Schwestern im Nonstop-Einsatz: Andrea Gebel, Margareta Staudinger und Ulrike Wolfgruber führen in vierter Generation das Bestattungsinstitut Grünzweig.
Drei Schwestern im Nonstop-Einsatz: Andrea Gebel, Margareta Staudinger und Ulrike Wolfgruber führen in vierter Generation das Bestattungsinstitut Grünzweig.

Meisterbetriebe wird man immer brauchen: Installateure, Elektriker usw., stattdessen boomen die Nachhilfeinstitute, weil man alle Kinder ins Gymnasium bringen will.

Margareta Staudinger, Bestattungsinstitut Grünzweig

Lehre puschen

Neben steuerlichen Aspekten sieht Staudinger auch gesellschaftliche Faktoren. „Alle Eltern wollen, dass ihre Kinder studieren. Dabei ist Handwerk groß im Kommen. Man könnte gutes Geld verdienen. Doch die Lehre hat nach wie vor einen schlechten Ruf. Die Lehre müsste viel mehr gepuscht werden. Meisterbetriebe wird man immer brauchen: Installateure, Elektriker usw., stattdessen boomen die Nachhilfeinstitute, weil man alle Kinder ins Gymnasium bringen will.“ Die Selbstständigkeit steht bei der jungen Generation selten ganz oben, wenn es um den Karriereweg geht. „Ich glaube, ich würde mich heute auch nicht mehr selbstständig machen“, so Staudinger. Vor allem zur Coronazeit gingen die Frauen an ihre Grenzen. „Ich war plötzlich alleine, weil meine Schwestern Corona hatten, dabei bin ich gar keine Bestatterin. Auf einmal war ich für alles verantwortlich, da ist sogar meine jüngste Tochter eingesprungen“, schildert Gebel. Die zahlreichen Hygiene- und Begräbnisregeln machten Bestattung zur Schwerstarbeit. „Wir gingen am Zahnfleisch. Die Situation hat sich erst seit einigen Wochen entschärft.“ Doch das Gewerbe kann nicht aus„sterben“, denn gesetzlich muss binnen zehn Tagen eine Erdbestattung durchgeführt werden. Bei Urnenbeisetzungen ist diese Frist flexibler. Ob die fünfte Generation übernehmen wird, ist ungewiss. Überhaupt haben sich die drei Schwestern durch ihren Job und ihre persönliche Geschichte eine gewisse Gelassenheit und ein Leben im Hier und Jetzt erworben. „Im Leben kann man vieles planen, hat vieles selbst in der Hand, aber letztendlich geht es ums Schicksal. Das bekommen wir in unserem Beruf immer wieder mit und wir leben daher um einiges bewusster“, schließt Gebel.

Vollzeit schmackhafter machen

Die wohl freudigste Seite des Lebens ist das Geschäft von Christine Rührlinger. Ihre Mission dreht sich um den „schönsten Tag des Lebens“, um Bälle und um Feste. Rührlinger betreibt das Brautmodengeschäft „Hänsel & Gretel“ in Gunskirchen. Ihre Mutter begann 1981 mit einem kleinen Secondhandladen, die Tochter formte daraus eines der größten Geschäfte seiner Art in Österreich. Die Unternehmerin wird dabei ihrem Namen gerecht: Sie rührt regelmäßig um und legt die Finger in die Wunden, wenn es um Unternehmertum geht. Was sie sofort ändern würde? „Die Höhe der Steuern und Lohnnebenkosten senken. Ich bin gerne bereit, meine Mitarbeiter gut zu bezahlen, aber es ist schon passiert, dass Mitarbeiter nach einer Lohnerhöhung weniger netto herausbekamen, als sie vorher hatten.“ Ihrer Meinung nach ließe sich das relativ leicht beheben: „Das geht ja in anderen Ländern auch“. Das Entlohnungssystem sei teilweise leistungsfeindlich. „Mitarbeiter, die in Teilzeit arbeiten, sind beim Nettostundensatz im Vergleich zur Vollzeit bevorzugt. Es kann nicht sein, dass die, die mehr leisten wollen oder auch müssen, die Deppen sind.“ Rührlinger will nicht jene, die weniger arbeiten, höher besteuern, sondern nur, „dass die Mehrarbeiter nicht bestraft werden“. Wie schon die drei Bestatterinnen setzt auch sie gerne auf ältere, erfahrene Mitarbeiter. „Viele ältere Arbeitnehmer sind eine Wohltat für den Arbeitsmarkt. Sie können vieles und arbeiten gerne. Sie sind sich auch nicht zu schade, um anzupacken.“ 

Zu generalistische Lehre? 

Vor allem Frauen, die in Pension gehen, wollen ihr Arbeitsleben nicht abrupt enden lassen. Würden sie nicht mit hohen steuerlichen Abgaben „bestraft“, könnten sie – so Rührlingers Kalkül – sanften Druck auf die jüngere Generation ausüben. „Das wäre ein Mittel zum Zweck, dass die Jüngeren erkennen, dass der Arbeitsmarkt nicht immer leer ist, sondern dass es Leute gibt, die sich um solche Jobs reißen.“ Über Bewerbungen jüngerer Mitarbeiter kann sich Hänsel & Gretel nicht beklagen. Doch Rührlinger beklagt deren Ausbildung. „Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien in der Berufsschule gelehrt wird, aber mir kommt das immer noch veraltet, ja fast hinterwäldlerisch vor.“ Auf ihre Branche – den gehobenen ­Handel – wird in der Ausbildung kaum eingegangen. Die Lehre sei zu generalistisch. „Es braucht eine definiertere, konkretere Ausbildung.“ Überhaupt lässt sie am Bildungssystem kein gutes Haar. „Fehlende Talentförderung führt in die Durchschnittsfalle, wie es Markus Hengstschläger geschrieben hat. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir in Bildung investieren.“ Rührlinger versuchte lange Zeit, solche Talente zu fördern oder zu entdecken, etwa mit Pflichtpraktika in der Schneiderei, die an den Modeschulen obligatorisch sind. Seit einiger Zeit macht sie das nicht mehr, und zwar „weil es so viele Regelungen gibt, die es nahezu unmöglich machen, ihnen etwas zu beizubringen. Man darf sie nicht in den Arbeitsalltag integrieren, ihnen nichts anschaffen und nichts vorgeben. Seitdem nehme ich keine mehr. Man steht da immer mit einem Fuß im Kriminal.“

Christine Rührlinger, Geschäftsführerin Hänsel & Gretel
Christine Rührlinger, Geschäftsführerin Hänsel & Gretel

Am allerliebsten wäre es mir, wenn jeder Mitarbeiter sein Entgelt selber versteuert. Dabei geht es mir nicht um die Kosten, sondern um das Bewusstwerden.

Christine Rührlinger, Geschäftsführerin Hänsel & Gretel

Sollen Arbeitnehmer selbst versteuern? 

Doch nicht nur da drückt der „Brautschuh“. Rührlinger ist mit einer bürokratischen Flut, vor allem an statistischen Auskünften, konfrontiert. „Wir müssen dem statistischen Bundesamt Auskünfte, Listen und Rechnungen über unseren Außenhandel liefern. Informationen über den Warenwert, die Art der Ware und vieles mehr. Das könnte man sofort vereinfachen. Das Finanzamt weiß ja alles, die wissen, was ich von wem kaufe, was das gekostet hat und woher das kommt. Das versteh ich einfach nicht. Die Daten sind ja alle da.“ Sollte das EU-Lieferkettengesetz auch einmal Unternehmen wie ihres betreffen, hat sie eine klare Aussage: „Das ist für uns einfach nicht machbar.“ Und auch der buchhalterische Aufwand könnte für sie deutlich reduziert werden. Rührlinger bringt einen revolutionär klingenden Ansatz ins Spiel: „Am allerliebsten wäre es mir, wenn jede Mitarbeiterin ihr Entgelt selbst versteuert. Dabei geht es mir nicht um die Kosten, sondern um das Bewusstwerden. Wer bekommt wie viel und wofür zahlt man? Die einzelnen Kosten für die Lohnverrechnung ­würde die Mitarbeiterin dann gerne von mir dazubekommen.“

Flexible Öffnungszeiten

Und noch ein Tabu bricht die Unternehmerin: Öffnungszeiten. Dabei will sie nicht länger aufsperren können, sondern flexibler, „auch einmal an einem Sonntag. Dabei will ich ja nicht unbedingt etwas verkaufen, aber vielleicht eine ­Hausmesse veranstalten, nur aktuell darf ich das nicht.“ Rührlinger sieht ein Ungleichgewicht und einen klaren Wettbewerbsnachteil zu ­Tourismusregionen oder dem grenznahen Deutschland, wo es bereits verkaufs­offene Sonntage gibt. „Die Welt ist kleiner geworden und die Menschen sind mobiler. Von mir ist man in einer Stunde in Passau.“ Ebenfalls im Modegeschäft ist Barbara Schwetz-Penz. Sie führt mit ihrem Mann Marcus das Traditionsmodehaus Penz an der Linzer Landstraße in dritter Generation. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin wuchs in dieser Welt auf. „Ich hatte immer ein offenes Ohr, wenn die Großeltern und Eltern über das Unternehmen gesprochen haben.“ Dennoch ließ sie sich die Entscheidung, in den Betrieb einzusteigen, offen. Nach Aufenthalten im Ausland entschied sie sich mit 27 für diesen Schritt. „Die Tätigkeiten im Unternehmen sind sehr vielfältig ist: Werbung, Personal, Einkauf und Verkauf etc. Es macht Spaß.“ Die Kollektionen werden immer ein Jahr vorher eingekauft.“ Auf den Messen informieren wir uns über die neuesten Trends und neue Marken. Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Kundinnen kennen und schon beim Einkauf die richtige Auswahl treffen. Unser Fokus liegt in der individuellen Beratung. “ 

Dienstleistungs-Gen

Freude im Umgang mit Menschen und die Affinität zur Mode findet man heutzutage nicht mehr so oft. Dennoch findet Schwetz-Penz immer wieder ­junge, motivierte Mitarbeiter, die Vollzeit arbeiten wollen. „Wir haben junge Top-Leute. Es braucht jedoch als junger Mensch auch ein wenig Zeit, bis dieses Dienstleistungs-Gen verinnerlicht wird. Wir haben da jedenfalls Glück.“ Und Schwetz-Penz setzt ebenso auf langjährige, teilweise pensionierte Mitarbeiter, die weiterhin arbeiten wollen. Wie ihre Kolleginnen zuvor hat auch sie das Thema der Besteuerung dieser Arbeitnehmer. „Die faktische Doppelbesteuerung, dass sie etwa Pensionsbeiträge und zusätzlich Lohnsteuer zu bezahlen haben, müsste abgeschafft werden. Zwar wurden die Beiträge bereits ein wenig gesenkt, aber nur zeitlich befristet bis 2025.“ 

Barbara Schwetz-Penz, Geschäftsführerin Penz Mode
Barbara Schwetz-Penz, Geschäftsführerin Penz Mode

Die Linzer Landstraße ist noch immer die zweitmeistfrequentierte Einkaufsstraße in Österreich, nur muss man sie zukunftsfit machen.

Barbara Schwetz-Penz, Geschäftsführerin Penz Mode

Innenstädte attraktivieren

Ebenso dringend sieht sie die Linzer Stadtpolitik gefordert. „Wir müssen die Innenstädte wieder attraktivieren. Wir brauchen wieder interessante ­Geschäfte. Die Politik muss durchgreifen und uns unterstützen. Das können wir nicht selbst machen.“ Die Mieten müssten, so Schwetz-Penz, gesenkt werden, damit sie wieder für neue Geschäfte attraktiv sind. Die Stadt solle dabei unterstützen. „Die Linzer Landstraße ist noch immer die zweitmeistfrequentierte Einkaufsstraße in Österreich, nur muss man sie zukunftsfit machen.“ Sauberkeit, gute Gastronomie, optimale Parkmöglichkeiten und ein attraktiver Branchenmix wären nötig. „In Linz sind wir noch halbwegs gut unterwegs. In Salzburg beispielsweise gibt es oft nur noch Souvenirshops und viel Leerstand. Das Thema sollte man unbedingt ernst nehmen und da ist es schon fünf vor zwölf.“

Barbara Schwetz-Penz sieht die Politik gefordert, die Innenstädte zu attraktivieren. Diese müsse man für den Handel "zukunftsfit machen".
Barbara Schwetz-Penz sieht die Politik gefordert, die Innenstädte zu attraktivieren. Diese müsse man für den Handel "zukunftsfit machen".

Steuer- und soziale Gerechtigkeit

Auch für Manfred Zaunbauer ist es in manchen Dingen bereits fünf vor zwölf. Zaunbauer ist Inhaber von Europapack, einem Unternehmen aus Lambach, das sich auf hochwertige ­Verpackungen spezialisiert hat. Zaunbauer ist dabei mittendrin und sitzt als Präsident des SWV im Wirtschaftsparlament. In vielen Dingen seien sich die Fraktionen in der WKOÖ sehr einig, wie er erzählt. „Etwa bei der Kleinunternehmerregelung. Die soll auf 85.000 Euro Umsatz erhöht werden, das fordern nicht nur wir, sondern die gesamte WKO.“ Dazu ist man sich bei der Entlastung von bereits pensionierten Arbeitnehmern, die sich etwas dazuverdienen wollen, ebenso einig, wie bei der Entbürokratisierung der Betriebe. „Unternehmer verbringen rund 20 Prozent der Zeit mit der Bürokratie.“ Zaunbauer greift in seine Tasche, zieht einen Brief hervor und veranschaulicht die Thematik: „Wir handeln und produzieren Verpackungen. In diesem ­Schreiben vom Bundesamt für Wald steht, ich solle genau angeben, woher die Bäume stammen, aus denen das Papier gemacht wird, das wir verarbeiten. Eine Sorgfaltspflichtregelung, für die ich Dokumente zum Nachweis des Holzursprungslandes abliefern soll. Ich weiß nicht einmal, woher wir diese Daten bekommen.“

Manfred Zaunbauer, Geschäftsführer Europack
Manfred Zaunbauer, Geschäftsführer Europack

Eine GmbH mit 70.000 Euro Gewinn hat denselben Steuersatz wie eine mit 70 Millionen, das ist nicht gerecht.

Manfred Zaunbauer, Geschäftsführer Europack

Energie- und Mietkosten

Nicht die einzige Unstimmigkeit, wie Zaunbauer findet. Im Gegensatz zu den anderen Interviewpartnerinnen sieht er das Thema Lohnnebenkosten weniger virulent. „Dazu habe ich einen anderen Zugang. Die Lohnnebenkosten haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert. Arbeitskosten werden immer thematisiert, aber keiner sagt, was wir einsparen wollen. Wenn wir die Kosten um 1 bis 3 Prozent senken, hat das wenig Effekt. Da wäre der Hebel von Energie- und Mietkosten weit wichtiger.“ Diese träfen den kleinen Bäcker ebenso wie die Industrie. Die Förderungen gehen ihm zu wenig weit. „Ich kenne mehr Unternehmer, die den Antrag zum Energiekostenzuschuss abgebrochen, als ihn beantragt haben. Oft braucht man den Steuerberater dazu und dessen Honorar kann schon einmal die Fördersumme schlucken. Da bleibt oft nicht viel.“ 

„Große“ To-do-Liste

Zaunbauer fordert, die „große To-do-Liste“ abzuarbeiten, wie fehlende Kinderbetreuungsplätze oder progressive Steuersätze. „Eine GmbH mit 70.000 Euro Gewinn hat denselben Steuersatz wie eine mit 70 Millionen, das ist nicht gerecht.“ Auch bei der SVS sieht er Ungleichgewichte. „Etwa beim Karenzgeld, da gibt es eine komplett ungleichmäßige Auszahlung, die zu Liquiditätsproblemen führen kann. Für ein EPU gibt es Mindestkarenzgeld von 10,37 Euro pro Tag, das ist unter dem Existenzminimum.“ Zaunbauer fordert eine bessere soziale Absicherung. Krankheit sei für Unternehmer ein „existenzielles Risiko“. „Das Gesundheitssystem an sich mit den horrenden Wartezeiten für eine OP ist problematisch. Ich habe einen Mitarbeiter, der sich im Jänner einen Leistenbruch zuzog. Der OP-Termin wäre im Dezember, fast ein Jahr später, geplant gewesen. Es ist dann gelungen, einen im Mai zu finden. Das ist ein Wahnsinn. Der Mann muss mit Leistenbruch arbeiten, ist aber eingeschränkt, etwa wenn es um das Heben geht. Da macht man Mitarbeiter und Unternehmen kaputt.“

Sollten personalintensive auf Kosten vollautomatisierter Branchen entlastet werden?
Sollten personalintensive auf Kosten vollautomatisierter Branchen entlastet werden?

Personalintensive entlasten? 

Unternehmen, die stark auf Automatisierung, Digitalisierung oder KI setzen könnten, seien da klar im Vorteil, so Zaun­bauer. Ebenso jene, die groß genug wären, um steuerschonende Offshore-Konstrukte oder Auslagerung in Drittländer auszureizen. Er bringt daher einen Vorschlag ins Spiel, wie man diese Ungleichgewichte ins Lot bringen könnte. „Ein Friseurbetrieb kann keine KI oder keine Roboter einsetzen, es ist eine höchstpersönliche Dienstleistung. Es stellt sich die Frage, ob man nicht Unternehmen, die einen hohen Automatisierungsgrad haben und wenige Mitarbeiter, anders besteuert, um so diejenigen mit wenig Möglichkeit zur Automatisierung zu entlasten. Stattdessen werden aber alle gleich besteuert. Natürlich will ich Zusatzsteuern vermeiden, aber es geht um Fairness und um eine Umverteilung, die dem personalintensiven Bereich zugutekommt.“

Fehlt „Kleinen“ die Lobby? 

Zaunbauer sieht gleichzeitig eine Chance in der Automatisierung. Eine Chance, die Industrie im Lande zu halten. Den Drohungen großer Konzerne, abzuwandern, setzt er entgegen: „Die Industriearbeitsplätze in Österreich sind in den letzten Jahren gestiegen.“ Leere Drohungen? Zaun­bauer kennt das aus dem eigenen Unternehmen: „Vor 30 Jahren war Italien Europamarktführer bei hochwertigen Verpackungen. Rund 85 Prozent unserer Papiertaschen kamen von dort, dann wurde nach Osteuropa ausgelagert bzw. in die Türkei, aus Italien kommt so gut wie nichts mehr. Wir produzieren Faltschachteln und Tragetaschen nach wie vor in Österreich. Große Stückzahlen kann ich hierzulande aber nicht mehr herstellen. Durch die Robotik, Automatisierung, aber auch durch humanoide Roboter könnte man die Industrie nach Europa wieder zurückholen.“ Das besondere Interesse des SWV-OÖ-Präsidenten liegt ohnehin auf kleinen Unternehmen: „Die haben keine Lobby.“ Dabei musste er auch in seiner eigenen Partei Überzeugungsarbeit leisten: „Wir haben Andreas Babler die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Wirtschaft erklärt. Jetzt gibt es ein klares Bekenntnis zu Klein- und Mittelbetrieben.“ Zaunbauer richtet daher einen Appell an die gesamte Politik: „Früher wurde Politik für Generationen gemacht, heute nur bis zur nächsten Wahl.“ Es fehle an Weitsicht. Die fehlt ihm auch, wenn es um die Einschätzung der Konjunktur geht: „Ich komme mir in diesen Zeiten ein wenig vor wie ein Pilot, der ohne Navi im Nebel fliegt. Es gibt dazu viele Daten, aber die Stimmung ist nach wie vor verhalten. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass es noch etwas dauern wird, bis die Konjunktur wieder anspringt.“ Eine Konjunktur, der man auch mit politischen Rahmenbedingungen zum Anspringen verhelfen könnte. Das Hören auf Unternehmer, die gestalten und nicht gebremst werden möchten und für die „selbst und ständig“ zum Lebensmotto gehört, kann da nicht schaden. Es ist Donnerstag drei Uhr Früh: Das Telefon im Bestattungsinstitut Grünzweig klingelt. 

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