Kryptowährungen: Digitaler Goldrausch
Bitcoin ist ein Phänomen in der Finanzwelt. Er hat sich von einer eigenwilligen Idee einiger Anarchisten und Cypherpunks nach der Finanzkrise 2008 zu einer Anlageklasse entwickelt. Sie ist die erste, die wertvollste, die Ur-Kryptowährung. Daneben gibt es noch Tausende andere alternative Bitcoins, sogenannte Altcoins, von denen Ethereum am bekanntesten ist. Eine Kryptowährung wird am Computer erzeugt und nicht in Münzpräge-Anstalten oder Banknoten-Druckereien. Sie ist Teil des technologischen Wandels, der die Finanzwelt erfasst und verändert. Für die einen ist Bitcoin eine Revolution und die neue Sprache des Geldes – das neue Gold, ein Zahlungsmittel ohne Bankkonto und Zentralbanken. Für andere ist es eine zutiefst seltsame Entwicklung, ein Vehikel für Cyberkriminelle, ein Glücksspiel für Spekulanten, das teuer und umweltschädlich ist; eine digitale, globale, fairere Version des altmodischen Kettenbriefs. Man kann den Bitcoin gutheißen oder ablehnen, eines kann man jedenfalls nicht mehr: ihn ignorieren.
Digitaler Höhenrausch
Auf 99bitcoins.com wurden über die Jahre 412 Nachrufe auf das Kryptogeld gesammelt – Gründe, warum es nicht funktionieren kann und es damit bald zu Ende geht. Doch Bitcoin und Co sind lebendiger denn je: In einem Jahrzehnt sind durch Kryptowährungen 1.500 Milliarden Dollar neues Vermögen entstanden. Der Boom des digitalen Goldes hat viele Menschen reich gemacht.
Eine neue Geldelite ist dabei, sich neben alten Finanzgrößen zu etablieren. Kurios: Ein Krypto-Millionär spendete den deutschen Grünen erst kürzlich eine Million Euro. Vitalik Buterin, Mathematik-Genie und Mitentwickler des Ethereum, ist aufgrund des Höhenflugs seiner Kryptowährung mit 27 Jahren der weltweit jüngste Krypto-Milliardär. Auch der Bitcoin-Kurs hat sich im Vorjahr versiebenfacht und erreichte im Februar erstmals einen Wert von über 1.000 Milliarden Dollar.
Damit ist Bitcoin wertvoller als ein Fünftel alles Goldes auf der Welt. Das schafft Nachahmer und Begehrlichkeiten: Tausende digitale Day-Trader sind zu einer Macht an der Wall Street geworden. Nach aktuellen Schätzungen besitzen weltweit etwa 100 Millionen Menschen Bitcoins – in Österreich sind es etwa 180.000. Viele nutzen dabei neue Plattformen wie Bitpanda aus Wien – das wertvollste heimische Startup. Das amerikanische Pendant Coinbase wurde als erste Krypto-Handelsplattform an der Börse in New York platziert. Die Investmentbank Goldman Sachs wittert ein großes Geschäft und springt auf den Bitcoin-Zug auf. Auch die Internet-Handelsplattform eBay erwägt, Kryptowährungen als Zahlungsmittel zuzulassen. PayPal, Starbucks und Tesla bieten genau das ihren Kunden bereits an. Für Aufsehen sorgte Elon Musk im Februar, der mit Tesla 1,5 Milliarden US-Dollar in Bitcoin investierte und damit den Kurs weiter nach oben trieb.
Starke Kursschwankungen
Österreichs Banken lassen generell die Finger von Kryptowährungen und folgen damit dem Rat der Finanzmarktaufsicht FMA, die eindringlich vor Investments in Bitcoin, aber auch in andere sogenannte Krypto-Assets warnt. Aufgrund der Volatilität, also der starken Kursschwankungen ohne vorhergehende Warnsignale, „eignet sich Bitcoin nicht als Wertanlage im Sinne von werterhaltend“, sagt FMA-Vorstand Helmut Ettl. Der letzte Crash der Digitalwährung war Ende 2017, damals verlor der Bitcoin 25 Prozent an Wert. Der damalige Höchststand lag bei 17.000 Euro, heute sind es 47.000 Euro. Dennoch sind Finanzchefs heimischer Konzerne dem Thema „Kryptowährungen“ gegenüber zurückhaltend. „Der Bitcoin-Kurs ist momentan auf einem historischen Höchststand. Nicht auch zuletzt wegen des Investments von Elon Musk, der mit einem Teilverkauf seiner Bitcoins einen Rekordgewinn in der Quartalsbilanz ausweisen konnte“, sagt Hannes Moser, CFO bei Greiner.
Als Finanzvorstand eines Industrieunternehmens steht er diesem Verhalten aber sehr skeptisch gegenüber. Das oberste Ziel des Finanzbereichs sei nämlich die Sicherstellung der jederzeitigen Zahlungsfähigkeit des Unternehmens.
Was den Reiz ausmacht
Geld dient also dem eigentlichen Unternehmenszweck, nämlich der Aufrechterhaltung der Entwicklung und Produktion von Gütern, sagt Moser. Bitcoins seien auch keine „Währung“, sondern vielmehr Anlage- bzw. Spekulationsobjekt, wie z. B. Gold, Antiquitäten, Sammlerkarten usw. Die Anzahl von Bitcoins ist begrenzt – vergleichbar mit seltenen Metallen oder Edelsteinen, und das mache ihren Reiz aus.
„Mit Währungen im eigentlichen Sinn werden hingegen geldpolitische Ziele wie Preisstabilität oder Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch die jeweilige Zentralbank verfolgt“, erklärt der Finanzprofi. Gerade in der aktuellen Krise habe sich gezeigt, welchen Lenkungs- und Steuerungseffekt man durch eine Währung erzielen kann. Niedrige Zinsen würden Volkswirtschaften im Allgemeinen und Unternehmen im Speziellen helfen, durch harte Zeiten zu kommen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft digitale Währungen, die auch durchaus neben unserem physischen Geld existieren können, sehen werden, aber: ‚ausgegeben‘ durch Zentralbanken, die eine klare Aufgabe erfüllen. Spekulation in Bitcoins oder andere Anlagegüter ist jedenfalls nicht Aufgabe von Industrieunternehmen“, sagt der Finanzchef der Greiner AG.
Zentralbanken werden digital
Genau das passiert bereits. Facebook will als Möchtegern-Player mit dem Libra seine eigene Währung ins Spiel bringen und stellt damit die herkömmliche Finanz-Hegemonie ebenso infrage wie Bitcoin. Die Staaten werden es kaum zulassen, ihr Währungsmonopol aus der Hand zu geben, um es Privaten zu überlassen. Geld ist Politik – und wird es immer sein. Und dennoch stehen Regierungen und Zentralbanken unter Zugzwang. Sie haben Angst, die Kontrolle zu verlieren. „Wenn Zahlungen, Einlagen und Kredite von den Banken in privat geführte digitale Bereiche abwandern, werden die Zentralbanken Schwierigkeiten haben, den Wirtschaftskreislauf zu steuern und im Krisenfall Gelder in das System einzuspeisen. Unüberwachte private Netzwerke könnten zu einem Wilden Westen des Betrugs und des Missbrauchs der Privatsphäre werden“, schreibt der „Economist“. Rund 60 Prozent der Notenbanken prüfen inzwischen die prinzipielle Machbarkeit eigener „Central Bank Digital Currencies“ (CBCD). Der US-Ökonom Nouriel Roubini ist davon überzeugt, dass CBCD bald dominieren und Bitcoin und Co nur ein Zwischenschritt für ein neues Geldsystem sein werden – der größte Wandel seit Aufhebung der Goldbindung an den Dollar im Jahr 1971. Seitdem dürfen Zentralbanken ohne Golddeckung bekanntlich endlos Geld drucken. Jetzt scheint eine neue Ära zu beginnen. Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), hat den digitalen Euro im Herbst offiziell auf die Agenda gesetzt. Zuerst wird China mit dem E-Yuan vorpreschen, das wird auch die USA unter Druck setzen. „Jede Zentralbank wird eine digitale Manifestation ihrer Währung haben“, sagt Roubini. Allerdings mit einem großen Unterschied zum Bitcoin: Es gibt keine dezentrale Blockchain, sondern die Macht verlagert sich vom Einzelnen auf den Staat. Das Versprechen ist ein besseres Finanzsystem. Kritiker verweisen auf China und die Gefahr einer totalen Kontrolle.
Im Bitcoin-Kaninchenbau
Kryptowährungen und die Technik dahinter zu erklären, ist gar nicht so einfach. Ziemlich am Punkt mit seiner Definition ist der Komiker John Oliver: „Bitcoin vereint all das, was dir beim Geld Rätsel aufgibt, kombiniert mit all dem, was du beim Computer nicht verstehst.“ Wer in den berühmten Bitcoin-„Kaninchenbau“ springt und sich mit der Materie intensiver einlässt, merkt schnell, dass er sich wie „Alice im Wunderland“ in einer fremden Welt der Blockchain-Technologie, Kryptographie und asymmetrischen Verschlüsselungstechniken wie SHA-256, Halving, Ledger, White Paper oder Proof of Work befindet. Man stößt auf den mysteriösen Bitcoin-Gründer Satoshi Nakamoto, von dem man nicht weiß, wer er genau ist. Diese geheimnisvollen Ursprünge verbunden mit einer anarchischen Idee ist eine einzigartige, fast schon religiöse Geschichte und mitverantwortlich für den ökonomischen Erfolg. Für echte Advokaten des Bitcoins ist der Kurs der Kryptowährung zweitrangig. Für sie ist es ein Mindset, die Zukunft, ein neues Denken über Geld.
Werden Sie Miner!
Heute brauchen Privatanleger keine besonderen Kenntnisse, um mit Bitcoin und Co zu traden. Man kann sogar ein finanzieller Analphabet sein. Ein Wallet kann sich jeder Erwachsene aus dem App Store über eine Krypto-Handelsplattform downloaden. Die Möglichkeiten, in der Kryptowelt sein Geld zu vermehren (oder zu verlieren), sind inzwischen grenzenlos. Bei riesigen Mining Farmen wie Genesis Mining auf Island können sich Neulinge oder Profis für einige tausend Euro Mining Power mieten, um Kryptowährungen zu schürfen und dafür Renditen zu kassieren. Das Problem: Die gesamte verfügbare Rechenpower ist ausverkauft.