Ein Ferrari als Treppenlift
CHEFINFO: Du hast in einem Interview das Alter mit einem Startup verglichen: Man muss sich ständig neu erfinden. Du selbst hast ja auch erst mit 66 begonnen, YouTube-Videos zu drehen …
Greta Silver: Ja und mit 70 ging es erst richtig los. Man muss sich einfach verdeutlichen, dass von 60 bis 90 genauso lang ist wie von 30 bis 60. Und dass da ein Lebens-Know-how drinsteckt: Wir sind alle durch Krisen gegangen, haben Niederlagen erlebt, gelitten. Aber das hat uns stark gemacht und da können wir mit 60, 70 oder 80 etwas draus machen. Da können wir die Träume realisieren, für die davor keine Zeit war. Jede Lebensphase ist kostbar, keine Frage, aber man muss auch die Kraft zuerkennen, die im Alter liegt.
CHEFINFO: Sind die neuen Alten genussfähiger als die vorherige Generation?
Silver: Absolut. Meine Eltern haben ja noch so damit zu tun gehabt, die Wunden des Krieges zu überwinden und neu zu starten. Ich bin drei Jahre nach Kriegsende geboren, kurz vor dem deutschen Wirtschaftswunder. Mein Leben wurde ja immer schöner – und es wird noch immer schöner. Wir hängen unsere Erwartungshaltungen ans Leben mit 60 nicht an den Nagel. Ich hab Ansprüche ans Leben, ich will die Welt anders und ich will sie aus den Angeln hebeln.
CHEFINFO: Brauchen wir ein neues Bild vom Alter?
Silver: Ich frage mich immer, warum es so viele grummelige Alte gibt: Sind die denn gerne so oder ist das entstanden, weil man die gar nicht mehr richtig sieht? Es gibt so viele falsche Erwartungen und Wahrnehmungen vom Alter. Diese Bilder in unseren Köpfen machen uns alle fertig – es gibt ja schon 18-Jährige, die Angst vorm Alter haben. Die glauben, da geht es nur mehr bergab, das ist grau und mühsam. Viele, die sich meine Videos ansehen, bedanken sich, dass ich diesen Mitleidsschleier vom Alter wegnehme. Da entsteht ganz viel Widerhall von Leuten, die genauso denken wie ich. Man muss in der aktuellen Krise auch sagen, dass die Alten ein unglaublich stabiler Faktor für die Wirtschaft sind. Das ist die Gruppe mit dem stabilen Einkommen. Und an die muss man rankommen.
CHEFINFO: Und wie komme ich an sie ran?
Silver: Bei einem Produkt auf keinen Fall dieses Sanitätshaus-Label draufgeben und betonen, wofür das jetzt ein Hilfsmittel ist. Von manchen Werbungen für Salben oder dergleichen krieg ich die Krise. Das, was ich an Hilfsmitteln nutzen möchte, soll mir Spaß machen und junge Leute sollen mich vielleicht sogar drum beneiden. Es kommt nicht auf das Produkt an, sondern was man ihm für einen Dreh mitgibt. Die Botschaft muss lauten „Hey, hab wieder Spaß am Leben“. Ein Treppenlift geht ja in unseren Köpfen direkt in den Sarg. Dabei kann ich das ja auch als eine geile Sache sehen, das ist ja wie ein Ferrari. Ein Ferrari fährt von A nach B und ein Treppenlift von unten nach oben.
CHEFINFO: Würdest du Werbung für einen Treppenlift machen?
Silver: Wenn, dann steht am Treppenlift der Champagner und ich tanze mit meinem Lover die Treppen hoch.
CHEFINFO: Welche Einstellung braucht es, um erfolgreich zu altern?
Silver: Man muss bereit bleiben, sich weiterzuentwickeln. Ja, natürlich, man kann auch einfach stehenbleiben und erwarten, dass die Welt jetzt auch stehenbleibt. Aber das hat noch nie funktioniert. Und am Ende muss ich selber den Preis für diese Einstellung zahlen. Es geht also darum, sich diese Neugier zu bewahren. Das ist eigentlich meine stärkste Kraft. Ich bin gar nicht mutig. Aber diese Neugier hat mich über Gräben springen lassen und mir erlaubt, einen neuen Job auszuprobieren, obwohl ich am Anfang keine Ahnung davon hatte.
CHEFINFO: Unternehmen sehen ältere Mitarbeiter oft als Belastung, viele haben auch selbst das Gefühl, dass sie sich ab 55 im Sinkflug befinden … Braucht es auch im Berufsleben ein Umdenken?
Silver: Ich denke, dass Unternehmen unglaublich kurzsichtig sind, wenn sie diese Kurve für ältere Mitarbeiter so früh abfallen lassen und nicht mehr in ihre Fort- und Weiterbildung investieren. Feiert mal die Alten und kommt nicht mit so einer komischen Mitleidsschiene daher, á la „wir sorgen schon für euch“. Das mag keiner. Die Firmen lassen da so viel an Potential liegen. Ein Abteilungsleiter sollte eigentlich jetzt vorbereiten, wie er selbst im Alter behandelt werden will. Man schreibt Menschen zu früh ab, weil sie in ihrer jetzigen Situation müde oder erschöpft sind. Aber da darf man nicht aufgeben, da muss man neue Wege suchen, oft brauchen sie neue Anregungen und selbst nicht wissen, was sie noch tun könnten. Da braucht es Mut, neue Wege mit den Mitarbeitern zu gehen und etwas Neues auszuprobieren. Es geht auch darum, Modelle zu entwickeln, die respektvoll und nicht so gnädig-herablassend sind. Diese Mitleidsschiene, die sich hinter Höflichkeit oder Sorge gegenüber den Älteren verbirgt, das ist so oft von oben herab und nicht auf Augenhöhe. Es geht nicht darum, jemanden einfach abzuwickeln, man muss neugierig dafür sein, was diese Leute mit- und einbringen können. Ich glaube, dass im Alter ganz viel Flexibilität da ist. Wenn es denn mit Wertschätzung verbunden wird. Das ist oft einfach eine Kommunikationsfrage.
CHEFINFO: Fühlst du dich als Frau heute mit 73 freier als früher?
Silver: Auf jeden Fall. Man glaubt ja gar nicht, wie gesellschaftlich angepasst und harmoniebedürftig ich früher war. Ich habe viel zu oft versucht, mich zurückzunehmen und bin jahrelang mit angezogener Handbremse gelaufen. Denn ich war ja eigentlich immer ein bisschen „too much“. Da hab ich mir mit 60 versprochen, dass das aufhört. Und jetzt werde ich für etwas gefeiert, dass früher meinem Umfeld zu viel war. Als ich so 40, 50 war, hätte kein Mensch geahnt, was da noch kommt. Und ich glaube, da gibt es so viele Frauen da draußen – vielleicht auch Männer - , die gar nicht ihr Potential leben und viel zu angepasst sind, auch in der Firma. Wir machen so viel, weil wir glauben, die Erwartungshaltung des anderen ist so und schließen selbst Geheimverträge mit anderen ab und machen sie für unser Glück oder Unglück verantwortlich. In Beziehungen und auch im Kollegenkreis. Aber dafür können wir nur selbst sorgen, das musste ich auch erst lernen. Zu wissen, ich bin nicht abhängig von Umständen, von Corona oder anderen Menschen, ich kann immer selbst etwas für mich tun, das ist schon ein ganz großes Freiheitsgefühl.
Über Greta Silver:
Greta Silver war 17 Jahre lang Hausfrau und Mutter, bevor sie mit Ende 40 wieder ins Berufsleben einstieg. Sie machte sich schon bald selbständig und entwickelte Inneneinrichtungen für Hausboote, Ferienhäuser und ein 4-Sterne-Hotel. Danach arbeitete sie als freie Journalistin, eröffnete ihr eigenes PR-Büro und übernahm die Projektverantwortung für internationale Kongresse. Mit 63 begann Greta Silver noch einmal von vorne: Sie schrieb zwei Spiegel-Bestseller und startete ihren eigenen YouTube-Kanal. Sie tritt als Model und Speakerin auf und unterstützt die Wirtschaft dabei, den Markt der Best Ager zu erschließen. Ihr Motto: „Mein Leben besteht aus Neustarts - und damit höre ich noch lange nicht auf.“
Hier geht’s zur Website von Greta Silver.
Dieser Film mit Greta Silver steht auf der Plattform der UNO als Beispiel für Nachhaltigkeit und wie andere Länder mit dem Alter umgehen: