Assekuranzen: Branche im Wandel
CHEFINFO: Ein Vorstandswechsel mitten im Lockdown: Hätten Sie sich einen anderen Termin gewünscht?
Nagl: Der Unterschied ist nicht groß. Die Versicherungswirtschaft gehört zu den Branchen, welche die Corona-Auswirkungen erst nachgelagert spüren werden. Der Übergang ist für mich persönlich eher ein Déjà-vu gewesen. Als ich 2008 zum Vorstand dieses Hauses berufen wurde, ist drei Monate später die Finanzkrise losgebrochen. Ein einschneidendes Ereignis, das wir gut gemeistert haben.
Kühtreiber-Leitner: Bei mir ist es anders. Als Verantwortliche für den Vertrieb sollte ich draußen bei meinen Kunden sein. Wir haben vergangenes Jahr begonnen, die größten Kunden persönlich zu besuchen, haben das Vorhaben aber aufgrund von Corona stoppen müssen. Mir fehlen die Veranstaltungen und das Netzwerken.
CHEFINFO: Was kommt auf die Branche zu?
Nagl: Wirtschaftshilfen decken momentan vieles zu. 2022 werden die Auswirkungen massiver sein. Mit steigenden Insolvenzen brechen Gewerbekunden weg, und höhere Arbeitslosenzahlen werden Auswirkungen auf Neuabschlüsse und das Prämienvolumen haben.
CHEFINFO: Welche Produkte sind jetzt gefragt?
Kühtreiber-Leitner: Das Interesse an Risikoversicherungen wie Berufsunfähigkeit oder Ableben ist gestiegen. Wirklich neu sind dank Homeoffice die Cyberversicherungen für Gewerbebetriebe. Dieser Bereich wächst langsam mit zunehmendem Bewusstsein für das Risiko.
CHEFINFO: Wo sehen Sie die Herausforderungen der Zukunft für die Branche?
Nagl: Die großen Umwälzungen erwarte ich in der KFZ-Haftpflichtversicherung. Autonomes Fahren bedeutet, dass dieser riesige Bereich nicht mehr benötigt wird. Früher oder später wird es zu einer Produkthaftpflichtversicherung des Herstellers kommen. Aber das ist eine Herausforderung der nächsten Jahrzehnte.
Kühtreiber-Leitner: Die Digitalisierung ist eine riesige Herausforderung, denn die junge Generation wächst mit Smartphone-Lösungen auf und fordert das simple Handling auch für unsere Branche ein. Es wird einfacher für den Kunden werden, aber schwieriger für uns im Hintergrund, das alles zu managen.
CHEFINFO: Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?
Nagl: Wir sind in Oberösterreich mit einem Prämienvolumen von 433 Millionen Euro, 800 Mitarbeitern und 455.000 Kunden Marktführer. Das bedeutet keineswegs, dass man nicht noch wachsen kann. Der wichtigste Punkt ist, unsere Selbstständigkeit als Regionalversicherung für unsere Kunden zu erhalten: Diese Selbstständigkeit ist die Freiheit, für unsere Kunden schnelle und kulante Lösungen aufzustellen, ohne Rücksprache bei Mutterkonzernen in München oder Triest halten zu müssen. Unsere Selbstständigkeit ist ein Asset, von dem auch unsere Kunden profitieren.
CHEFINFO: Angebote von Versicherungen sind oft austauschbar. Wie grenzen Sie sich ab?
Nagl: Qualität durch Nähe, man kennt seinen Berater. Es sind nicht nur Geschäftsbeziehungen, sondern in aller Regel Freundschaften. Wer bei uns einen Schaden meldet, landet nicht in einer Hotline in Indien oder in Bratislava.
Kühtreiber-Leitner: Erwähnenswert ist das individuelle Versicherungspaket, das wir schnell schnüren können, wenn die Standardlösung nicht passt. In einem größeren Konzern dauert das alles länger und ist möglicherweise gar nicht möglich. Jeder Kunde will das Gefühl haben, dass er einen Maßanzug erhält, der perfekt passt.