Herzog: "Für Rangnick hätt' ich gern gespielt"
weekend Andi, die Euphorie in Österreich ist nach der starken EM-Qualifikation groß – aber auch die Erwartungshaltung. Fluch oder Segen?
Herzog: Mannschaftsintern ist es wichtig, sich nicht von den Ergebnissen der letzten Spiele blenden zu lassen. Ich habe eine ähnliche Situation 1990 erlebt, als wir vor der WM Spanien und den amtierenden Europameister Niederlande geschlagen haben – im Turnier konnten wir dann aber nichts davon umsetzen und haben eine herbe Enttäuschung erlebt. Die EM geht erst mit dem Anpfiff los – dieses Bewusstsein müssen alle haben. Österreich hat mit Frankreich, Niederlande und Polen eine der schwersten Gruppen erwischt. Ich würde mir wünschen, dass die Euphorie im Land anhält und die Erwartungshaltung realistisch bleibt. Die Ausfälle, vor allem die Verletzung von Xaver Schlager, trifft das Team schon hart.
weekend Umso wichtiger das klare Bekenntnis von Trainer Ralf Rangnick zum ÖFB, oder? Hat dich seine Entscheidung überrascht?
Herzog: In Hinblick auf die EM war das ein starker Zug von ihm. Es gibt nichts schädlicheres als Unruhe. Hätte er Bayern zugesagt, wären bestimmt Spekulationen aufgetaucht, ob er bei der Sache ist. Ich denke, es war eine gute Entscheidung für alle – Rangnick und Hoeneß hätte ich mir in der Zusammenarbeit auch schwer vorstellen können.
weekend Apropos Zusammenarbeit. Hättest du unter Rangnick gern gespielt – beziehungsweise ein Leiberl gehabt?
Herzog: Kommt darauf an (lacht) – der 23-jährige Andi in Topform und mit breiter Brust vom gewonnenen Meistertitel mit Werder Bremen wahrscheinlich schon. In jedem Fall hätte ich gern in seinem System gespielt – das Pressing entspricht meiner Vorstellung von Fußball und ehrlich gesagt hat mich früher dieses ständige Zurücklaufen ziemlich genervt.
weekend Als Spieler warst du zwei Mal bei einer WM. Deine prägendste Erinnerung?
Herzog: Als ich in Rom gegen Italien den Rasen betreten habe – unvergesslich. Außerdem verbinde ich mit Zimmerpartner Toni Polster lustige Momente. Ohne ihn wäre ich in Frankreich 1998 wohl vorzeitig abgereist, weil ich nicht gespielt habe und gefrustet war. Für Ablenkung war Toni immer gut (lacht).
weekend Das zeigt, wie wichtig Teamgeist während eines solchen Turniers ist, oder?
Herzog: Definitiv. Es braucht Zusammenhalt, Teamspirit – und auch Abwechslung. Der ÖFB hat in der Vergangenheit den Fehler gemacht, die Spieler abzuschotten. Das kann nicht förderlich sein, wenn keiner raus und seine Familie nicht sehen kann. Ich habe mit Amerika bei der WM in Brasilien eine ganz andere Herangehensweise erlebt. Das Quartier war mitten in Sao Paulo und die Spieler konnten sich frei bewegen. Jeder ist Profi genug, um zu wissen, wie er sich zu verhalten hat.
weekend Ist ein Großereignis als Spieler oder Trainer fordernder?
Herzog: Definitiv als Trainer. Klar, als Spieler braucht es eine körperliche Topform und mentale Stärke. Als Trainer musst du aber durchgängig präsent sein. Du gibst die Marschroute vor und je besser jeder seine Rolle vermittelt bekommt, umso harmonischer läuft es ab. Wichtig ist, dass es Leader gibt, die unterstützen und Dinge intern regeln.
weekend Wen siehst du in dieser Rolle?
Herzog: Speziell Konrad Laimer und Marcel Sabitzer. „Sabi“ kommt als Champions League Finalist und kann das Team sicher positiv mitreißen. Wir haben aktuell viele starke Spieler im Team. Ich freu mich.
WORDRAP
EM-Sieger wird… Deutschland. Das hätte ich vor einem halben Jahr noch nicht gesagt, pünktlich zum Turnierstart sind aber viele Leistungsträger in Topform. Mein zweiter Tipp wäre Portugal.
Die größte Überraschung gelingt… natürlich Österreich
Die Österreich-Spiele schau ich… live gegen Frankreich in Düsseldorf und die beiden anderen Duelle wahrscheinlich gemütlich zuhause.
Meine persönlichen EM-Lieblingsspieler sind… Florian Wirtz (Deutschland), Jude Bellingham (England), Kylian Mbappé (Frankreich) und Christoph Baumgartner (Österreich)
Österreich spielt… 1:2 gegen Frankreich, 1:0 gegen Polen und 2:1 gegen Niederlande – und steigt auf.