Gas-Stopp: 130.000 Arbeitslose mehr in Österreich
Es sei die schwierigste Studie seiner bisherigen langen Ökonomen-Laufbahn gewesen, sagt der emeritierte Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider (73) als Vorbemerkung zur Studienpräsentation über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines Gas-Stopps vor Journalisten heute in Linz. Doch trotz fehlender Vergleichsdaten und aller Unwägbarkeiten ist die Botschaft klar: Ein Lieferstopp Russlands oder ein EU-Gasembargo hätte unmittelbar negative Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft. "Vor allem die Industrie-Bundesländer Steiermark und Oberösterreich wären stark betroffen", sagt Schneider. In der pessimistischeren Modellrechnung konkret für Oberösterreich geht der Wirtschaftswissenschaftler von einem Minus von 6,5 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) und 56.000 zusätzlichen Arbeitslosen aus. Im optimistischeren Szenario, in dem etwa rasch umgesetzte Energie-Einsparmöglichkeiten berücksichtigt sind, rechnet Schneider mit einem Wirtschaftseinbruch von 3,4 Prozent, beziehungsweise "nur" 34.620 Arbeitslosen mehr in Oberösterreich. Die Berechnung bezieht sich auf den Zeitraum eines Jahres, beginnend mit 1. Juli 2022. Beide Varianten orientieren sich am Gasverbrauch auf Basis von 2020. Die Auswirkungen eines Gasstopps auf Österreich (Mix aus beiden Szenarien) wären laut Schneider ebenfalls katastrophal: Die Wirtschaft würde laut seiner "Grobschätzung" um sechs Prozent schrumpfen, die Zahl der Arbeitslosen würde um 130.000 steigen. "Kurzarbeitsmaßnahmen wie am Beginn der Pandemie wären in so einem Fall ratsam", sagt Schneider.
1,5 Millionen mehr Arbeitslose in der EU
Auftraggeber der Studie ist die Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich (IWS), deren Präsident der ehemalige Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl ist. Die Studie soll bewusstseinfördernd auf EU-Entscheidungsträger einwirken, ein Gas-Embargo gegen Russland zu verhindern. Die gesamte Europäische Union wäre ebenfalls davon unmittelbar negativ betroffen. Schneider rechnet mit einem BIP-Minus von ein bis zwei Prozent und 1,5 Millionen mehr Arbeitslosen. Derzeit zählt die EU 13,5 Millionen Menschen ohne Beschäftigung (Stand April 2022). "Putin kann die Lieferverluste durch den von ihm kalkulierten Preisanstieg beim Gas verkraften", sagt Schneider.
"Die Lage ist ernst"
"Die Lage ist ernster als manche noch immer glauben", sagt IWS-Geschäftsführer Gottfried Kneifel. "Wir vermissen von der Regierung klare Anleitungen zum Energiesparen für die Bevölkerung", sagt Kneifel. Aber er appelliert auch zur Eigenverantwortung, denn der Staat werde nicht alles richten können. "Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft in dieser schwierigen Situation. Wir müssen eine Spaltung der Gesellschaft vermeiden." Welches der beiden Szenarien das wahrscheinlichere ist, sei derzeit nicht abschätzbar, sagt Schneider. Deshalb sollen beide Szenarien gleich ernst und zutreffend genommen werden. Eine Basis der Untersuchung waren zwei Studien aus Österreich (Agenda Austria und OenB, beide aus dem Jahr 2022) und fünf Studien aus Deutschland, deren Simulationsmodelle bei einem Gas-Aus von "keine Auswirkungen" bis minus acht Prozent beim BIP reichen. Viele Annahmen (etwa die Befüllung der Gasspeicher) müssen laufend aktualisiert werden und damit können sich auch die Ergebnisse rasch wieder ändern können.