Jugendstil
Die Angelobung des neuen Gesundheitsministers Wolfgang Mückstein brachte eine kleine Welle der Empörung ins Laufen: Ein Minister in Turnschuhen beim Präsidenten! Das gab‘s noch nie. Mückstein ist 48, also bei Gott kein Jugendlicher mehr, weshalb man ihn in manchen Medien als „Berufsjugendlichen“ bezeichnete. Eine Diskussion, die wieder einmal vor Augen führt, dass es einen Stilbruch gibt. Wenn selbst Minister Sneakers tragen, wie soll man dann überhaupt noch die jüngeren Generationen verstehen? Eine Frage, die sich Firmen stellen müssen, und die zur wirtschaftlichen Überlebensstrategie hochstilisiert werden kann.
Eine Frage des Stils
Wer könnte die Stilfrage besser beantworten als ein Modeschöpfer, der sich mit 18 selbstständig gemacht hat und mit heute 28 Jahren die junge Generation gut einschätzen kann: Emanuel Nikolaus Burger. Er ist einer der jüngsten Haute-Couture-Designer der Welt, und doch wäre er beinahe Hochbauingenieur geworden. „Ich war schon in der HTL angemeldet, als wir im Rahmen eines Schulprojekts Mode entworfen und selbst genäht haben.“ Innerhalb weniger Tage war sein Plan verworfen und ein anderer Karriereweg eingeschlagen. Scheinbar vorgezeichnete Wege zu gehen, ist nichts für die junge Generation, das gilt auch für die Mode. „Junge Leute unterwerfen sich ungern einem Dresscode. Das sehe ich auch an meinen Kunden. Wenn die Mutter mit der Tochter kommt, will die Mutter ein klassisches bodenlanges Kleid, die Tochter hat da aber ganz andere Vorstellungen.“ Burger sieht generell mehr Modebewusstsein in der jungen Generation. „Das ist wohl der einzige positive Effekt der Fast Fashion. Die globalen Textilketten orientieren sich an den Modellen der großen Häuser und machen Mode so auch für junge Leute erschwinglich.“
Steine des Anstoßes
Dennoch wird der Generation Y bzw. Z unterstellt, sie würde „verlottern“. Die Jogginghose ist schließlich allgegenwärtig. Hat die Generation, frei nach Karl Lagerfeld, die Kontrolle über ihr Leben verloren? Burger hat eine einfache Erklärung: „Chanel hat die Kunstperle salonfähig gemacht, Corona die Jogginghose. Die Wahrnehmung von Mode hat sich durch Corona mit Sicherheit verändert. Vor der Pandemie traf man fast täglich auf Menschen und musste immer etwas vermitteln. Das ist auf fast null reduziert worden, daher verstehe ich jeden, der keine Anzughose zum Einkaufen anziehen will. Man hat nicht die Kontrolle verloren, im Gegenteil: Man beobachtet jetzt, dass sich mit den Öffnungen die Menschen wieder bewusst gut anziehen.“ Burger merkt das in seinem Geschäft in der Linzer Schmidtorstraße. Da es keine großen Anlässe wie Hochzeiten oder Bälle gab, hagelte es Stornierungen. Jetzt geht es in seinem Atelier wieder rund. „Ich bin überzeugt, dass es ein neues Qualitäts- und Nachhaltigkeitsbewusstsein gibt, das vor allem von den jungen Leuten befeuert wird.“
Individualisierung pur
Für Burger bringt die junge Generation damit Steine ins Rollen, die „sonst wohl noch 20 bis 30 Jahre gedauert hätten“, vor allem in Umweltfragen. Wie kann es nun Unternehmen gelingen, diese scheinbar anspruchsvolle Generation als Mitarbeiter zu gewinnen bzw. zu binden? „Man muss den Trend zur Individualisierung berücksichtigen. Junge Leute wollen sich nicht in klassische Schemen pressen lassen. Es geht um Diversity – jeder hat seinen eigenen Stil.“ Eine Unternehmenskultur lässt sich nicht verordnen. Burger verweist auf die CEOs großer Digitalfirmen. Schon zu Steven Jobs‘ Zeiten wäre es befremdlich gewesen, das IT-Genie in einen Nadelstreifanzug zu zwängen. „Man würde ihm das Produkt nicht abnehmen. Gewisse Branchen stehen für Innovation. Wenn ich mich dann anziehe wie vor 80 Jahren, kann ich diese Branche nicht repräsentieren.“ Die jüngere Generation verlangt auch nach mehr Abwechslung. „Wenn man einen Arbeitsplatz bietet, der jungen Menschen verschiedene Tätigkeiten garantiert, kann man sie sehr lange halten.“
Die Sinnsuche
Das kann auch Günter Znidersic bestätigen. Der Produktmanager von WIFI Firmen-Intern-Training kennt vor allem eine heiß umkämpfte junge Klientel: Lehrlinge. Seit er 2008 damit begann, sich mit Lehrlingstrainings und Qualifizierung für Lehrlingsausbildner zu beschäftigen, blieb kein Stein auf dem anderen. „In dieser Zeitspanne gab es einen entscheidenden Wandel. Solche Trainings sind heute nichts Absurdes mehr.“ Der Hintergrund ist ganz klar die verzweifelte Suche nach jungen Facharbeitern. Ein guter Name allein reicht schon lange nicht mehr. „Die erste Herausforderung ist dabei schon, die richtigen Botschaften auszusenden, etwa, dass die Tätigkeit im Unternehmen Sinn stiftet.“ Die Sinnsuche ist zentral für junge Menschen. „Ich kenne eine Firma aus der Metallbranche, die meint, sie fürchtet sich schon davor, wenn ihre Lehrlinge zum Zivildienst kommen, weil es nicht nur einmal vorkam, dass sie sich danach für Sozialberufe umschulen ließen.“ Ein Beispiel, das schon zeigt, dass Geld allein kein Lockmittel mehr ist. Metallfacharbeiter genießen hohe Kollektivvertragslöhne, während der Sozialbereich dagegen chronisch unterbezahlt ist. „Sie brauchen das Gefühl, dass man sich für sie interessiert und dass sie Sinn stiften können. Man muss sich mit der neuen Generation intensiv beschäftigen.“
Beziehungen zählen
Vor allem Lehrlingsausbildner sind da gefordert. „Die müssen damit zurechtkommen, dass sie es oft mit Lehrlingen zu tun haben, die nicht sofort für den Betrieb einsetzbar sind.“ Znidersic spricht vor allem Defizite aus der Schule an. Mathematik ist dabei meist das Sorgenkind Nummer eins. „Wir machen sehr viel Nachhilfeunterricht, alle diese Lehrlinge schaffen die Prüfungen auch. Das Feedback der Trainer ist dabei immer dasselbe. Wenn sie zwei Stunden mit dem Lehrling verbringen, dann widmen sie sich eine Stunde nur dem Lehrling selbst. Man muss also echtes Interesse an ihnen haben.“ Auch Interesse an ihrem Umfeld. Trotz sozialer Medien und Co zählen die persönlichen Beziehungen für junge Leute mehr denn je. Familie und Freunde sind zentral. „Das ist auch die Chance für kleinere Unternehmen. In großen ist es schwieriger, sich freundschaftlich mit den Kollegen nach der Arbeit auf ein Bier zusammenzusetzen. Unternehmen müssen nicht nur das Wirtschaftliche, sondern auch das Familiäre repräsentieren. Lehrlinge sind da supersensibel, wenn etwas nicht authentisch ist. Sie checken das sofort.“
Smartphone ist tabu
Die Beziehung zu den Kollegen, die Einbindung der jungen Menschen, all das ist entscheidend. „Wenn Anspruch und Realität nicht zusammenpassen, sind die künftigen Facharbeiter weg.“ Alle Mitarbeiter sind daher gefordert. „Oft sind alte Hasen nicht sonderlich nett zu der jungen Generation.“ Die wird aber selbstbewusster, denn die Demografie spielt ihnen in die Hände. „Sie können es sich meist aussuchen und haben andere Perspektiven als andere Generationen vor ihnen. Sie können etwa die Matura mit der Lehre kombinieren.“ Und noch eines rät Znidersic: „Man darf ihnen das Handy nicht wegnehmen. Arbeitgeber sind gut beraten, einen geregelten Umgang damit zu schaffen, etwa Pausen, in denen die Pflege sozialer Kontakte ermöglicht wird. Das Smartphone wegzunehmen ist ein No-Go!“ Die virtuelle Welt und vor allem die vielen Videos auf YouTube, Tiktok und Co nehmen auch Einfluss auf die Arbeitswelt. „Das Bildhafte wird wichtiger. Schulungsunterlagen sollten visueller werden. Zudem ist es sinnvoll, kürzere Aufgaben und kleinere Projekte zu vergeben. Lehrlinge werden dabei extrem kreativ.“
Neue Qualitäten
Die Führungskräfte und vor allem die Lehrbeauftragten brauchen dabei oft ein dickes Fell: „Jugendliche haben weniger Respekt vor dem Alter, vor Institutionen oder Religionen. Sie respektieren es aber, wenn ihnen jemand auf Augenhöhe begegnet.“ Znidersic warnt davor, diese Generation zu unterschätzen. „Sie können etwa viel objektiver einschätzen, was im Betrieb gut läuft und was nicht. Sie haben einen Blick für Veränderungen und hinterfragen viel. Das haben sich Generationen vor ihnen nicht so getraut, und genau das ist eine Chance für viele Firmen. Sie bestimmen die Zukunft und es lohnt sich, sich mit ihnen zu beschäftigen“, denn schließlich: „Neue Generationen waren immer anders und immer schräg. Das war immer so und das ist auch gut so.“