Franz Gasselsberger: Bilanz zieht man am Schluss
CHEFINFO: Herr Gasselsberger, Sie sind bei Marathonrennen aktiv und trainieren für neue persönliche Höchstleistungen. Wie zu lesen war, sind Sie auch ein Rekordhalter im Job: Sie sind der dienstälteste Bankchef in Österreich, der längst amtierende Vorstandsvorsitzende einer börsennotierten Bank in Europa und haben vor Kurzem Ihren 65. Geburtstag gefeiert. Ist man nach so einem langen und sehr erfolgreichen Berufsleben nicht versucht, selbst Bilanz zu ziehen?
Franz Gasselsberger: Bilanz zieht man ganz am Schluss. Mein Vertrag läuft noch drei Jahre. Selbst nach dieser langen Zeit ist es mir wichtig, aktuelle Themen anzupacken, sich neuen Herausforderungen zu stellen und andere dafür zu begeistern. Man darf nicht den Eindruck vermitteln, aus der Zeit gefallen zu sein oder nachzulassen. In diesem Punkt bin ich sehr selbstkritisch.
Welche Themen beschäftigen Sie?
Gasselsberger: Zum einen alles, was mit Nachhaltigkeit zusammenhängt. Das Thema verändert das Bankgeschäft gewaltig. Zweitens begleitet mich seit fünf Jahren intensiv das Personalwesen, konkret die Gender-Policy, die Potenzialförderung und die Ausbildung unserer Führungskräfte. Dank unserer Mitarbeiterbeteiligung haben wir uns am Arbeitsmarkt ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Das dritte Thema, das wir angehen, ist die Ausarbeitung der Strategie 2030. Das aktuelle Strategieprogramm wird bis 2025 umgesetzt, und jetzt planen wir die nächsten fünf Jahre. Sie sehen, zum Bilanzziehen bleibt mir überhaupt keine Zeit.
Der direkte Kundenkontakt wird weniger, das Filialgeschäft verliert wegen der Digitalisierung an Bedeutung. Eine Gefahr für die Zukunft der Banken?
Gasselsberger: Nein, denn die Digitalisierung im Bankwesen ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber bereits sehr weit fortgeschritten. Dabei geht es überwiegend um einfache Bankgeschäfte, die digital umgesetzt werden und während der Pandemie einen enormen Schub erhalten haben. Gleichzeitig ist der Bedarf an Beratung, vor allem bei Veranlagungen, größeren Investitionen und komplexeren Fragen, enorm gestiegen. Zeit ist heute eines der kostbarsten Güter. Wer den Kunden das Gefühl gibt, sich für ihre Anliegen Zeit zu nehmen und ihnen qualifizierte Ansprechpartner zur Seite zu stellen, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Ein Thema, das Sie auch beschäftigt, wenn auch unfreiwillig, ist die Unabhängigkeit der Oberbank. Seit fünf Jahren prozessiert die UniCredit gegen die 3-Banken-Gruppe, deren Teil die Oberbank ist. Es geht in diesem komplexen Rechtsstreit um den Versuch der UniCredit, als Großaktionär mehr Einfluss zu erhalten. Die Gerichte haben bisher in Ihrem Sinne entschieden. Ende Mai ist die UniCredit im Übernahmeverfahren beim Oberlandesgericht Wien in zweiter Instanz gescheitert. Warum ist Unabhängigkeit als Wert so wichtig? Kann es dem Kunden nicht egal sein, woher sein Geld kommt?
Gasselsberger: Unseren Kunden und Aktionären ist es wichtig, dass Entscheidungen hier in Österreich getroffen werden und wir nicht von einer fernen Konzernzentrale fremdbestimmt sind. Wenn wir nicht unabhängig wären, würden wir beide heute nicht hier sitzen und dieses Gespräch führen. Das würde maximal jemand anderer für mich tun. Auch Mitarbeiter profitieren davon, weil jeder in diesem Haus kraft seiner eigenen Leistung alles werden kann. Als ich vor 40 Jahren in die Oberbank eingetreten bin, mit 9.600 Schilling netto, bin ich zu meinem Personalchef gegangen und habe ihm gesagt, das sei doch ein bisschen wenig. Er antwortete: „Was wollen Sie? Sie können alles werden. Sie können auch Vorstand werden.“ Wir haben in den letzten 40 Jahren jede Vorstandsbesetzung aus den eigenen Reihen durchgeführt. Zeigen Sie mir ein Unternehmen, wo das auch der Fall ist. Das Denken in Unabhängigkeit ist alternativlos. Ich bin jetzt im Herbst meiner Vorstandstätigkeit. Vielleicht bleibt der Gasselsberger ja als jener in Erinnerung, der immer die Fahne der Unabhängigkeit geschwungen hat.
Was macht einen guten Bankchef aus?
Gasselsberger: Wie in jedem anderen Unternehmen sind Leadership-Qualitäten gefragt. Du musst vorangehen und es schaffen, möglichst viele Mitarbeiter in die von dir angedachte, hoffentlich richtige Richtung mitzunehmen. Allein kannst du gar nichts bewegen. Zweitens muss dir bei schwierigen Unternehmens- und Personalentscheidungen klar sein, dass die Institution über dem Einzelnen steht. Und drittens ist eine positive Reputation am Ende entscheidend. Wenn die Reputation als Chef einmal weg ist – und da haben wir ja im Moment ein sehr prominentes Beispiel im Immobilienbereich –, dann ist das unwiederbringlich. Daher musst du auch bei all deinem Tun und Handeln immer aufpassen, dass du gewisse rote Linien nicht überschreitest.
Welche roten Linien sind das?
Gasselsberger: Das sind die roten Linien von Anstand, Sitte und Moral. Du musst dich immer in einem Korridor des Anstands bewegen.
Es ist auffallend, dass Sie selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten versuchen, positive Botschaften zu vermitteln. Muss man als Banker gute Stimmung verbreiten oder gar Zweckoptimist sein?
Gasselsberger: Mit Zweckoptimismus wirst du unglaubwürdig. Ich bin am besten damit gefahren, möglichst nahe an der Wahrheit zu bleiben. Man muss aber auch aufpassen, nicht zu sehr in der Gegenwart zu verharren; den momentanen Zustand in die Zukunft zu projizieren wäre ein Fehler. Du musst dich damit beschäftigen, wie es weitergehen und in drei oder sechs Monaten aussehen könnte. Ich denke, dass wir die Talsohle durchschritten haben und es wieder aufwärts geht. Das zeigt die Entwicklung der Börse, die die Zukunft vorwegnimmt. Die Börse erwartet eine Zinssenkung, rückläufige Inflationsraten und die Unternehmensgewinne sind ja immer noch gut. Das widerspiegeln auch unsere Kundenreaktionen. Zudem wurde von der Regierung ein Wohnbaupaket geschnürt, es gibt Vereinfachungen bei der KIM-Verordnung für private Wohnbaukredite und die Reallohnzuwächse darf man auch nicht vergessen. Für mich ergibt das in Summe eine Stimmung, die man auch verbreiten muss.
KTM-Chef und Industriellenpräsident Stefan Pierer weist in deutlichen Worten darauf hin, wie sehr der Industriestandort unter Druck steht. Das Wort der Deindustrialisierung macht die Runde. Er würde Ihren Optimismus wohl nicht teilen, oder?
Gasselsberger: Die letzten Jahre waren für die heimische Industrie sehr schwierig. Der österreichische Standort hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Die Lohnstückkosten sind im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere zu Deutschland, gestiegen. Aber ich glaube auch, dass die 2020er-Jahre als das Jahrzehnt der Produktivitätssteigerung in die Geschichte eingehen werden. Ich habe Unternehmen noch nie so viel in KI und sonstige produktivitätssteigernde Maßnahmen investieren gesehen wie jetzt. In Richtung Asien, USA, Mexiko oder anderswo abzuwandern muss nicht unbedingt heilsbringend sein. Man sollte trotz aller Probleme schätzen, was man am Standort Österreich hat. Aber Pierer hat natürlich auch recht. Wir bräuchten dringend Reformen – Arbeitsmarktreform, Kapitalmarktreform, Pensionsreform. Arbeit muss sich lohnen. All diese Botschaften sind richtig. Man muss Menschen motivieren, länger zu arbeiten.
Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?
Gasselsberger: Wir rechnen unseren rund 700 Teilzeitkräften vor, auf wie viel Lebenseinkommen und auf wie viel Pension sie verzichten, wenn sie nicht bereit sind, zwei, vier oder sechs Stunden mehr zu arbeiten. Wir haben einen unglaublichen Zuspruch zu unserem Angebot – die Mehrleistung entspricht inzwischen 40 Vollzeitequivalenten. Man muss es den Leuten nur erklären und Sinnvermittlung betreiben. Die Behauptung, dass Menschen nicht arbeiten wollen, ist ein Mythos.
Was sagen Sie zu den Plänen einer Vermögens- und Erbschaftssteuer der SPÖ, die nach den Wahlen kommen könnte?
Gasselsberger: Das ist blanker Unsinn. Ich hoffe sehr, dass im Koalitionspoker niemand bereit ist, in einem Hochsteuerland wie Österreich zusätzliche Steuern zu akzeptieren. Das wäre absolut standortschädigend und ich lehne das genauso ab wie Vorschläge zur 32-Stunden-Woche oder ähnliche Themen.
Kürzlich sorgten die hohen ORF-Gehälter für Aufregung. Hohe Gagen sind auch Banken nicht fremd. Gibt es für Sie eine Grenze, ab wann ein Verdienst nicht mehr moralisch vertretbar ist?
Gasselsberger: Lohn- und Gehaltsdebatten begleiten mich, seit ich in der Bank tätig bin. Leistung ist etwas Subjektives, und damit auch die Gehaltshöhe. Die hohen Gehälter für Manager entstehen durch Angebot und Nachfrage. Es muss immer jemanden geben, der bereit ist, das zu bezahlen, was der andere verlangt. Eine moralische Obergrenze irgendwo einzuführen, dazu fühle ich mich nicht in der Lage. Geld und Moral sind immer gute Themen für politische Debatten.
BASF-Erbin Marlene Engelhorn findet ihr Millionenerbe unmoralisch und will einen Großteil davon verschenken.
Gasselsberger: Wenn es sie glücklicher macht, das Geld zu verschenken, als es zu behalten, soll sie das tun. Glück kann man sich nicht kaufen. Sie hat offensichtlich ein Motiv, das zu tun. Und wenn sie das glücklich macht, dann hat sie aus ihrer Sicht recht.
Was bedeutet Ihnen Geld ganz privat?
Gasselsberger: Meine Frau und ich sind unglaublich sparsame Menschen. Wir sind auch nicht sehr konsumorientiert und machen keine besonders teuren Reisen. Natürlich weiß ich, dass die Oberbank gute Private-Banking-Einheiten hat. Dort lasse ich mich immer wieder gerne beraten und veranlage auch mein Geld.
Und Ihre Enkel kommen gerne zum Opa, oder?
Gasselsberger: Ja, aber ich glaube noch nicht aus pekuniären Gründen. Wobei ich versuche, ihnen den Wert des Geldes etwas näherzubringen. Vor allem den Wert des Sparens, der in meiner Jugend viel ausgeprägter war.