Es ist angerichtet
Stopp im „Josef“, wo Günter Hager wartet. Er zählt zu jener Spezies von Gastronomen, die gerne bei Politikern und Kollegen aneckt. Aktuell steht der 68-jährige Inhaber des bekannten Linzer Innenstadtlokals wieder selbst in der Küche, was seine Stimmung auch nicht gerade hebt. Grund: akuter Personalmangel. Im Eingangsbereich seines Lokals werden Gäste mit „Fucking Gastro“ empfangen. So lautet der Titel des Buches, auf dessen Cover eine Gabel mit nachempfundenem Stinkefinger zu sehen ist. In dieser zweiten „Reloaded“-Version wettert das Gastro-Urgestein gegen den Bürokratie-Wahnsinn oder das Steuersystem: „Ich habe 12.000 Exemplare drucken lassen, 1.000 davon sind noch übrig.“ Seine Gäste würden es mit Humor nehmen und sein Stammpublikum wisse, dass dieses Image des Wut-Wirts auch Teil seiner Markenpflege ist. Motto: Nur wer laut schreit, wird gehört. „Bub sei grad und ehrlich, hat mir mein Großvater, ein Bergbauer aus dem Almtal, schon als Kind beigebracht. So habe ich es auch mein Leben lang gehalten.“ Hager hat mit dem „Allegro“ in den 1980er-Jahren die erste Gault-Millau-Haube für Linz erkocht und mit dem „Josef“ ein erfolgreiches Konzept-Wirtshaus mit Indoorbrauerei mitkreiert. Doch die Welt der Gastronomie ist heute eine andere. Im „Josef“ arbeiten 46 Mitarbeiter aus 17 Nationen. Qualifiziertes Personal ist kaum noch zu bekommen.
Die Zahl der Lehrlinge sinkt dramatisch, wie Zahlen des Fachverbands der Gastronomie der Wirtschaftskammer zeigen. Hatte die Lehrlingsstatistik 2010 noch rund 5.000 Auszubildene ausgewiesen, so waren es 2022 nur noch 2.650. Ein Minus von 46,3 Prozent in mehr als einem Jahrzehnt. In Oberösterreich schrumpfte die Zahl der Gastro-Lehrlinge in diesem Zeitraum sogar um mehr als die Hälfte (53,4 Prozent). Auch die zunehmende Unverbindlichkeit seit Corona ärgert. „Kein Gastgeber beschimpft gerne seine Gäste. Aber es ist mühsam, wenn du ausreserviert bist und 50 bis 60 Personen nicht kommen. Du musst als Wirt heute bereits so flexibel agieren wie eine Fluglinie.“
Der letzte Mohikaner
Hager holt sein Smartphone hervor und zeigt auf eine Liste von 15 Wirtshäusern, die in Linz zuletzt für immer ihre Pforten geschlossen haben, darunter so klingende Namen wie der Prielmayerhof mit Haubenkoch Johann Aspalter oder der Freiseder am Pöstlingberg. Sein Erfolgsrezept? „Du musst als Gastronom ein Besessener sein“, so Hagers Resümee, der sich bereits als letzter Mohikaner in der City wähnt.
Die Zahl jener Wirte, die in der Stahlstadt klassische Gasthausatmosphäre mit Hausmannskost vom Wiener Schnitzel bis Schweinsbraten anbieten, ist auf einige wenige geschrumpft. Gestiegene Kosten für Personal, Lebensmittel und Energie fressen die Gewinne auf. „Ein Küchenchef, der mit 50.000 bis 60.000 Euro heimgeht, verdient meist mehr als der Wirt.“ Hager kennt auch noch die Zeiten vor der Registrierkassenpflicht, die 2016 im Zuge der Steuerreform aufgrund der lockeren Bargeldgeschäfte eingeführt wurde. „Früher haben wir wirklich Gewinne gemacht, aber da hat auch jeder beschissen und betrogen. Das ist vorbei. Heute kann das Finanzamt alles genau prüfen.“ Das hat zweifellos den Strukturwandel in der heimischen Gastronomie weiter beschleunigt. Gastronomiebetriebe zählen zwar neben dem Handel und der Bauwirtschaft regelmäßig zu den Top-3-Branchen in der Insolvenzstatistik, aber es gibt keine besonderen Ausreißer nach oben. 86 Pleiten verzeichnete der KSV1870 im Vorjahr, 2022 waren es 71. Die meisten klassischen Wirte hören einfach auf – weil der Arbeitsdruck zu groß wird, zu wenig Geld übrig bleibt oder sie mehr Zeit für die Familie haben wollen.
Strukturwandel überall
Wirtshäuser schließen, dafür sperren Kebab-Buden & Co auf. Die Anzahl der aktiven Mitgliedsbetriebe in der Fachgruppe Gastronomie Oberösterreich bewegt sich deshalb seit zehn Jahren auf demselben Level von rund 6.000 Unternehmen. Es gebe eine gewisse Unschärfe bei den Betriebsarten „Vollgewerbe“ und „kleines Gastgewerbe“, sagt Stefan Praher, Fachgruppengeschäftsführer Gastronomie der Wirtschaftskammer OÖ. Das „kleine Gastgewerbe“ umfasst Lokale, meist Imbissbereiche, die typischerweise die Verabreichung von Speisen in einfacher Art und nur ein sehr eingeschränktes Getränkesortiment anbieten dürfen, meist alkoholfreie Getränke in den handelsüblichen verschlossenen Flaschen. Auch die Abgabe von Wein und Spirituosen ist nicht erlaubt. Das „kleine Gastgewerbe“ ist auch eingeschränkt auf acht Verabreichungsplätze (Budel oder Stehtische).
Und dann gibt es für größere Betriebsstrukturen das Vollgewerbe, dafür muss man den Befähigungsnachweis erfüllen und kann dann sämtliche gastronomische Tätigkeiten und Leistungen anbieten. „Beim kleinen Gastgewerbe gibt es einen gewissen Zuwachs“, meint Praher. Ein Zuwachs, der den Strukturwandel beschleunigt , auf den es keine wirklichen Antworten gibt. Um dem Sterben der Wirtshauskultur entgegenzuwirken, wurde etwa in Niederösterreich eine Wirteprämie in der Höhe von 10.000 Euro eingeführt. Mit überschaubarem Erfolg: Sie wurde im Jänner genau zweimal beantragt. Auch andere Länder kämpfen mit Zusperr-Phänomenen. In England ist beispielsweise fast jedes dritte Pub verschwunden. Pubs sind, ähnlich wie das klassische Wirtshaus bei uns, Orte einer besonderen Kultur, die es so nur in England gibt. Die Gründe für den Niedergang liegen am Brexit, an Corona und den gestiegenen Bierpreisen. Aber auch, weil die Leute mehr auf ihre Gesundheit achten und weniger oft einen trinken gehen.
Passt die Preiskalkulation?
„Die Jungen trinken weniger und sind bei der Feuerwehr mit einer eigenen Gastro-Infrastruktur. Das trifft den Dorfwirt, der sich umstellen muss“, bestätigt auch der Linzer Steuerberater Bernhard Ditachmair. Die Kanzlei hat seit Pandemiebeginn die Gastronomie als Schwerpunktthema definiert. Wer laut Ditachmair gut über die Runden kommt, sind Familienbetriebe, die mit Personal aus dem eigenen Umkreis ausgestattet sind. Das sind sowohl Landgasthäuser als auch Wirte, die so klein sind, dass sie durch die Familie geführt werden können. „Voraussetzung ist aber auch, dass die Preiskalkulation stimmt. In der Innenstadtlage laufen jene Restaurants gut, die sich preislich nach oben hin abheben. Da kann ein Dreigängemenü schon 50 Euro kosten“, sagt der Steuerberater. „Bei Wirten habe ich fast 50 Prozent UiS – Unternehmen in Schwierigkeiten. Sie haben Rückstände bei Finanzamt und Gebietskrankenkasse.“
Wichtigster Tipp: Die Entnahmen dürfen nicht höher sein als der Verdienst, der mit dem jeweiligen Betrieb möglich ist. Bei einigen, die nicht vom Fleck kommen, sollte man auch Insolvenzszenarien durchrechnen. Ein Klient sei im Jänner in Insolvenz gegangen, weil er trotz mehrjähriger Bemühungen nicht ins Reine gekommen ist. Er macht ein Nullergebnis, bräuchte aber ein Plus. Das war nicht möglich, weil die Verpächter auch kräftig die Mietpreise und Betriebskosten erhöht haben. „Ich höre jetzt auf, mich freut es nicht mehr. Das hört man sehr oft. Ich würde sagen, dass 10 bis 20 Prozent der Wirte diesen Satz einmal in den Raum stellen“, sagt Ditachmair.
Die Multi-Gastronomen
Die aktuelle Lage lässt wenig Handlungsspielraum. Bereiche schließen, Produktion auslagern, Speisekarten reduzieren. „Es geht in Richtung Systemgastronomie“, sagt Hager. Einer seiner früheren Haubenköche beim Allegro ist Gerhard Fuchs. Der Innviertler ist heute der „Mister McDonald’s“ in Oberösterreich und betreibt inzwischen acht Filialen der amerikanischen Fastfoodkette. Der Multigastronom Thomas Altendorfer will das Herberstein abgeben und geht mit seinen „Ox“-Filialen und der Burgerista-Kette in Richtung „systematisierte Gastronomie“, wie er es nennt. Plachutta in Wien betreibt mit seiner Erlebnisphilosophie mehrere Restaurants auf höchstem kulinarischem Niveau und mit hohen zweistelligen Umsatzrenditen. Der Einkauf erfolgt zentral, gekocht wird in einer Küche, die Speisekarten sind ident. Am großen Rad drehen inzwischen der Italiener Carmelo Surace, der heuer nach Wien expandiert (siehe S. 26) und Josef Donhauser. Der Chef der DoN group führt das „Anton“ im Musiktheater und die „Liesl“ in der Tabakfabrik gemeinsam mit Linzer Bier (Brau Union). „Als Gastronom bleibt man entweder ganz klein oder versucht ganz groß zu werden“, sagt Donhauser. „Eine entsprechende Organisation und klare Prozesse im Hintergrund sind dabei sicherlich kein Nachteil“, sagt er im Interview.
Novum „No-Show“-Gebühr
Einer, der als „Klein, aber oho“ mit aktuell drei Gault Millau Hauben konsequent seinen Weg geht, ist Michael F. Müller mit dem „Kliemstein“ in Linz. Der Spitzengastronom hat sieben Tische und fünf Köche. Ohne Reservierung gibt es keinen Platz. Gäste, die gebucht haben und nicht erscheinen, zahlen eine „No-Show“-Gebühr. „Weil der Aufwand so groß ist, kann ich mir einen Tischausfall nicht leisten. Wir waren lange die Einzigen in der Region mit Stornobedingungen“, sagt Müller. Im Normalfall sei seine Küche altösterreichisch mit spanisch-portugiesischem Einschlag ausgerichtet. „Je klarer die Positionierung, desto besser und desto höher der Wiedererkennungswert“, so der gebürtige Salzburger, den es vor Jahren der Liebe wegen nach Linz verschlagen hat. Es gibt kein à la Carte, sondern nur Menüs. „Ich würde jedem vergönnen, eine Hauptspeise bei uns zu essen. Aber ich muss pro Sitzplatz ein Minimum an Umsatz erzielen, damit die exorbitant gestiegenen Fixkosten verdient werden.“ In der Spitzengastronomie gibt es laut Müller drei Varianten. Erstens: Du bist groß genug und kannst das Wirtshaus zwei- oder dreimal täglich besetzen. Oder der Gastronom betreibt zusätzlich ein Fünfsternehotel zum Restaurant. „Oder der Chef hat, wie in meinem Fall, einen Zweitjob.“ Müller ist international gut vernetzt, ist als Berater tätig und verkauft Weine. Dass man wie in Frankreich von einem kleinen Gourmetlokal leben kann, gehe bei uns nicht.