"Datenliefern ist das neue Blutspenden"
CHEFINFO: Die neu geformte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) ging am 1. Jänner 2020 an den Start, im März kam dann der Lockdown. Wie gingen Sie damit um?
Peter Lehner: Es war ein Schock und die Frage: Was kommt auf uns zu? Wir hatten eine Maxime, nämlich für unsere Versicherten da zu sein. Das ist uns gut gelungen, weil wir in vielen Bereichen bereits digitalisiert waren. Ungewissheit gab es auch mit den Beitragszahlungen in dieser Phase. Wir haben alle Leistungen immer sicherstellen können und haben uns sogar zusätzlich über die Bundesfinanzierungsagentur abgesichert.
CHEFINFO: Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Erfahrung?
Lehner: Digitalisierung ist keine Gefahr, sondern ein notwendiges Werkzeug. Die zweite Lehre: Digitalisierung ersetzt keine persönliche Beratung, die aufgrund persönlicher Terminvereinbarung an Qualität gewonnen hat. Wir reden von 4.000 Beratungstagen jährlich. Statistisch gesehen, ruft jeder Versicherte bei uns 1,5 Mal im Jahr an. Wir haben damit eine unglaubliche Frequenz von 1,7 Millionen Telefonaten im Jahr. Was wir auch gesehen haben: Die Reform mit der Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger zur SVS hat sich bewährt. Als SVS haben wir von Beginn an darauf geachtet, Struktur und Service nach den Bedürfnissen der Selbstständigen auszurichten.
Frühe Anreizsysteme sind positiv, späte Anreizsysteme sind kontraproduktiv.
CHEFINFO: Selbstständige und Bauern wurden in der SVS zusammenfasst. Sind das nicht doch sehr unterschiedliche Bereiche?
Lehner: Nein, die Grundbedürfnisse der Selbstständigen sind immer gleich und die Grenzen verschwinden immer mehr. Es gibt sehr viele Bauern, die gleichzeitig Gewerbebetriebe angemeldet haben. Wir haben gar nicht versucht, Teile der SVA und SVB in irgendeinem Verhältnis in der SVS abzubilden, sondern gleich auf die Bedürfnisse der Selbstständigen ausgerichtet. Das Neue ist dieser 360-Grad-Schutz mit Unfallversicherung, Pensionsversicherung und Krankenversicherung unter einem Dach und einem Ansprechpartner.
CHEFINFO: Prävention spielt eine wichtige Rolle. Ist so ein Anreiz-Modell für ganz Österreich denkbar?
Lehner: Es gibt unterschiedliche Zugänge bei Selbstständigen und Unselbstständigen. Wir halten Eigenverantwortung und Prävention für etwas sehr Wichtiges. Daher werden Versicherte, die auf ihre Gesundheit achten, mit einer Halbierung des Selbstbehalts von 20 auf 10 Prozent und in weiterer Folge sogar auf 5 Prozent. In unseren Programmen haben wir auch „Sicherheits-Hunderter“ und „Gesundheits-Hunderter“ im Angebot, das mit Nudging sanfte Anstöße zur Verhaltensänderung geben soll. Anreizsysteme ohne soziale Härten auf alle Versicherten auszudehnen, wäre sicher sinnvoll, ist aber eine Entscheidung der ÖGK.
CHEFINFO: Anreizmodelle bei der Covid-19-Impfung werden diskutiert. Was halten Sie davon?
Lehner: Ein zu spätes Anreizmodell bedeutet eine Benachteiligung jener, die besonders verantwortungsvoll agieren. Damit wird der gegenteilige Effekt erreicht, weil viele Menschen das nächste Mal den Impftermin hinauszögern, um den Impf-Bonus zu erhalten. Frühe Anreizsysteme sind positiv, späte Anreizsysteme sind kontraproduktiv.
Anreizsysteme ohne soziale Härten auf alle Versicherten auszudehnen, wäre sicher sinnvoll, ist aber eine Entscheidung der ÖGK.
CHEFINFO: Sie haben den positiven Effekt der digitalen Transformation erwähnt. Was ist noch geplant?
Lehner: Hier wird es die größten Veränderungen geben. Wir erleben die Transformation einerseits in der Verwaltung. Handy-Signatur und digitale Abrechnungen beschleunigen die Abläufe. Digitalisierung ist notwendig, um das Gesundheitssystem finanzierbar zu halten. Wir haben zuletzt erlebt, dass vieles möglich ist: Der digitale Impfpass ist jahrelang diskutiert worden – und nun wurde er in wenigen Monaten umgesetzt. Der nächste Schritt ist die Entwicklung der E-Medikation zum E-Rezept – ein digitaler Prozess von der Ausstellung des Rezeptes bis zur Abrechnung. Der große Change wird in der Medizin stattfinden. Wir messen Schritte und Blutdruck auf unseren Gadgets. Und die Frage ist: Bleiben die Daten, die sehr wichtig sind für die Prävention und das Erkennen von Krankheiten, bei den Apples, Googles und Amazons oder gelingt es, sie anonymisiert in Österreich, in gesicherten Systemen der Sozialversicherung zu speichern? Datenliefern ist das neue Blutspenden. Daten können Leben retten. Wir haben das im ersten Lockdown gesehen, als Risikopatienten mittels Medikationsdaten herausgefiltert wurden. Hier braucht es noch Überzeugungsarbeit