Bauboom: "Das ist Nachkriegszeit"
Erich Günterseder, Geschäftsführer der ge ProjektErrichtungs GmbH, kann es nicht fassen: „Ich bin seit 33 Jahren im Geschäft, aber so eine Situation wie derzeit gab es noch nie.“ Günterseder spitzt zu: „Das ist Nachkriegszeit.“ Was er damit meint? Eine Situation am Immobilienmarkt, die kurioser nicht sein könnte. Zum einen gibt es so viel Geschäft wie selten zuvor, zum anderen fehlt es an Material und Personal. Diese Festpreise wurden mittlerweile aber ausgesetzt. Bei alten Verträgen gibt es sogar finanzielle Zuckerl, um Kunden dazu zu bewegen, aus ihrem Vertrag auszusteigen. Man bekommt Geld, wenn man nicht baut, anstatt Geld auszugeben: Was ist da los?
Investitionsprämie als Bumerang?
Florian Kammerstätter, Geschäftsführer Consulting Company, Wels, weiß warum: „Die Nachfrage bei den Professionisten ist riesig. Sie können sich ihre Kunden aussuchen und das sind meist gewerbliche Kunden, weil die weniger Folgegewerke benötigen und die Wertschöpfung höher ist.“ Gewerbliche und industrielle Bauprojekte werden vorgezogen – eine Folge der Investitionsprämie. Für Günterseder war diese „ein bisschen ein Schuss nach hinten, zwar gut gemeint, aber leider nicht ganz zu Ende gedacht“. Der Wohnbau leidet darunter. „Man bekommt nicht einmal mehr Angebote. Ich habe ein attraktives Projekt ausgeschrieben und 18 Unternehmen kontaktiert. Es kam genau ein Angebot zurück.“
Globale Preistreiber bei Baumaterialien
Das treibt die Preise in die Höhe, befeuert von globalen Engpässen am Rohstoff- und Vormaterialmarkt. Europa wurde vom Importeur von Holz und Stahl zum Exporteur. In nur wenigen Monaten stieg der Stahlpreis etwa um 60 Prozent. Chinas Hunger nach Schrott ist riesig und ohne Schrott kein Stahl. Dämmstoffe stiegen im selben Zeitraum um 30 bis 40 Prozent, Holz um bis zu 200 Prozent. Leimholz ist faktisch nicht vorhanden. Dazu kamen Verkettungen unglücklicher Umstände, wie die unfreiwillige Blockade des Suezkanals oder ein Gefrierschaden in einem der größten US-Dämmstoffwerke. Die zur Produktion notwendigen Additive zur Herstellung von geschäumtem Material wurden von dem Unternehmen über die Börse zu günstigen Konditionen in Europa gekauft. Materialien, die heute am alten Kontinent fehlen. „Auch Beton ist knapp, weil die Chemie fehlt.“
Container-Kreislauf stottert
Und damit nicht genug mit den Mangelerscheinungen. „Noch größere Probleme gibt es bei Kabel, Kabelhüllen, Flexschläuchen und Kunststoffen. Das ist alles Containerware und die Containerpreise sind explodiert“, schildert Kammerstätter. Während der Pandemie und der gesunkenen Nachfrage wurden Container aus dem Kreislauf genommen. Mehrere 100.000 Container wurden so aus dem Dauerbetrieb genommen. Es dauert bis zu zwei Jahre, bis wieder die alte Container-Stärke vorhanden sein wird. Die Auswirkungen: 2020 kamen Container im Schnitt um 2,5 Tage zu spät an. 2021 liegt dieser Wert schon bei 12,3 Tagen. Für Kammerstätter ist daher klar: „Es wird zu einem Nachzieheffekt kommen.“ Dennoch ist das für die Experten nur die halbe Wahrheit: Große Firmen haben die Märkte leer gekauft und bunkern Materialien, dazu kommen Mangelerscheinungen, die nicht erklärbar sind. „Warum es keine Ziegel gibt, verstehe ich einfach nicht. Die Rohstoffe sind alle da, die Herstellung ist hocheffizient mit einem Automatisierungsgrad von 70 Prozent.“
Preise werden hoch bleiben
Wann sich die Situation verbessert, kann aktuell niemand sagen. Günterseder kann nur mutmaßen. „Bei gewissen Materialien hat es den Anschein, als würde sich die Situation im dritten Quartal halbwegs stabilisieren. Ich rechne dennoch mit dauerhaften Preissteigerungen von 10 bis 15 Prozent.“ Ein Mangel wird aber bleiben: der Fachkräftemangel. „Noch sind die Fachkräfte da. In klassischen Industrieländern ist es aber nicht mehr hip, etwa Maurer zu lernen. Dabei ist es durchaus attraktiv. Ein junger Polier, der 25/30 Jahre alt ist, verdient erheblich mehr als ein gleichaltriger Jurist oder Architekt“, so Kammerstätter.
Keine Blase in Sicht
Die ohnehin angespannte Situation wird durch den privaten Wohnungs(aus)bau belastet, denn obwohl die Renditen bei Zinshäusern und Neubauwohnungen sinken, wird nach wie vor investiert. „Sonst drohen Strafzinsen. Es zeigt sich, dass immer mehr, die etwa ein Grundstück geerbt haben, sich nicht ein Einfamilienhaus bauen, sondern gleich eines für mehrere Familien, um Mieteinnahmen zu lukrieren.“ Eine immer wieder skizzierte Immobilienblase sieht Kammerstätter daher nicht in Sicht. „Eine Immobilienblase gibt es nur, wenn die Kredite zu hoch sind, die dafür aufgenommen worden sind. Immobilien, die überfinanziert sind, sind auch nicht verkaufbar.“
Umdenken gefordert
Dennoch könnte die aktuelle Krise ein Umdenken provozieren. Grund und Boden sind für Normalsterbliche bereits jetzt schon fast unbezahlbar, gleichzeitig gibt es Kritik an der Versiegelung von Böden. Österreich ist in dieser Disziplin übrigens Weltmeister. Für Kammerstätter gibt es daher nur einen Weg: „Wir müssen wieder vermehrt in die Höhe bauen. Einen Versiegelungsstopp sehe ich nicht politisch motiviert, sondern sachlich. Es bringt nichts, wenn ich die Leute aus der Stadt dränge, dann würden sie erst wieder zwei Auto brauchen. Nachverdichtung wie in Wien ist für Kammerstätter der Königsweg. „Das senkt den gebäudetechnischen Fußabdruck.“ Zudem sollten Baumaterialien vermehrt recycelt werden. Erich Günterseder sieht die Politik gefordert. „Die Bauwirtschaft ist die Hauptachse in jedem Land. Die Ansätze wie ein Lieferkettengesetz sind da. Das muss man durchziehen, anstatt sich ewig lange über grüne Pässe zu unterhalten. Wir sind Europa und wir müssen zusammenhalten. Export- und Importverbote gehören geregelt und rigoroser umgesetzt.“
Finanzierung ab 0,25 % Zinsen?
Wie wirken sich steigende Preise auf die Wohnbaufinanzierung aus? Wie sieht die Zinssituation aus? Peter Gruber, Infina Wohnbau-Finanz-Experte, gibt Antworten.
CHEFINFO: Wie reagieren Ihre Kunden auf die gestiegenen Baupreise?
Peter Gruber: Sie reagieren ungläubig. Wir weisen aktiv auf die Situation hin, aber sie wollen es nicht glauben. Ich habe gerade einen Fall von einem Finanzierungskonzept, das wir vor zwei Jahren erstellt haben. Das Gesamtkonzept wurde mit der Bank besprochen und bewilligt. Doch die Preissituation hat sich derart verschärft, dass der Kreditgeber für die Bank plötzlich nicht mehr finanzierbar ist. Der hat mittlerweile den Grund gekauft, hat Eigenkapital und ist dennoch nicht mehr finanzierbar. Warum? Weil sich die Preissituation bei der Fertigteilhausfirma geändert hat. Die meisten unserer Kunden denken noch nicht über Aufstockungen von 10 bis 20 Prozent nach. Wir sprechen da von Leuten, mit denen wir vor einem halben bzw. Dreivierteljahr ein Finanzierungskonzept erstellt haben.
CHEFINFO: Noch helfen niedrige Zinsen, doch droht das Inflationsgespenst. Gehen Sie von höheren Zinsen aus? #
Gruber: Beim variablen Zinssatz wird er noch einige Jahre auf dem niedrigen Niveau bleiben, wo er jetzt ist. Die meisten Banken setzen auf den Drei-Monats-Euribor, der liegt aktuell bei minus 0,5 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der gravierend ändert, weil alles auf dem variablen Zinssatz basiert. Der österreichische Hausbauer will einen Fixzinssatz und der ist so günstig wie noch nie. Es gibt Finanzierungen mit einem Fixzinssatz über 35 Jahre bei 1,5 Prozent. Der nächste Schritt wäre wohl, wenn die Bank Geld verschenkt. Aber die Swaps dieser Zinssätze können auch aufgrund von Inflation und Preisanstiegen massiv steigen. Günstiger wird es also nicht mehr. Wenn ich heute variabel finanziere und ich handle beste Konditionen heraus bei guter Bonität, dann finanziert man zurzeit schon um 0,25 Prozent.
CHEFINFO: Dennoch scheinen sich immer weniger Menschen Eigentum leisten zu können. Warum eigentlich?
Gruber: Die Eigenkapitalquote ist ein großes Thema. Die Wunschvorstellung der Finanzmarktaufsicht (FMA) ist es, dass niemand unter 20 Prozent Eigenkapital bauen sollte, plus weitere 10 Prozent für Nebenkosten. Ein durchschnittliches Reihenhaus bekommt man aber nicht mehr unter 400.000 Euro. Eine junge Familie zwischen 25 und 30 Jahren kann sich da kaum Eigentum schaffen. Das macht unsere Aufgabe immer schwieriger, da sich Banken an die Vorgaben der FMA halten.