Aufschwung mit Hindernissen
Gäbe es ein Optimismusbarometer, schlüge es bei Bankern besonders stark aus. „In Österreich sei bald der größte Aufschwung nach dem Krieg möglich“, sagte Oberbank-Chef Franz Gasselsberger im Rahmen der Bilanzpressekonferenz im März. Hier mag Zweckoptimismus mitklingen, aber die Meinungen aus den Vorstandsetagen der Geldinstitute sind in ihrer positiven Zukunftssicht kohärent. Bankmanager sind Zahlenmenschen und nennen es Realismus. Sie kennen die Bilanzen ihrer Kunden, blicken in die Auftragsbücher, beobachten Investitionstätigkeit und Kreditvolumen. Und sie wissen, wie wichtig eine positive Stimmung für einen beschleunigten Aufschwung ist. Wer nur die wöchentlichen steigenden Inzidenzen, das politische Versagen bei der Impfstoffbeschaffung und die Dramen in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft sieht, kommt aus dem Schwarzmalen nicht mehr heraus. Mitten in der größten Wirtschaftskrise, die eigentlich eine Gesundheitskrise ist, hat sich eine Parallelwelt mit einer Aufbruchsstimmung entwickelt, in der Industrie, Zulieferbetriebe und Baubranche mit erhöhter Schlagzahl unterwegs sind. Die wirtschaftliche Lage erweist sich insgesamt als überraschend robust, in manchen Bereichen euphorisch.
„Der Aufschwung kommt“, ist sich Robert Holzmann sicher. Nur der genaue Zeitpunkt ist noch nicht klar. Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank hat zwei Modelle vorgelegt. In einem rasch eintretenden Post-Lockdown-Szenario mit raschem Impf-Fortschritt wächst die Wirtschaft heuer um 2,2 Prozent, und im Jahr darauf wäre mit einem Wachstum von 5,5 Prozent das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Ziehen sich die Corona-Maßnahmen jedoch bis in den Sommer, findet die Erholung erst 2022 statt – aber dafür mit einem Wachstum von 6,8 Prozent.
Die Goldenen Zwanziger
Hinzu kommt: Die Österreicher sitzen auf nie da gewesenen Ersparnissen. Die Sparquote hat sich während der Krise überall im Euroraum signifikant erhöht. Kehrt das Vertrauen zurück, steigt die Konsumfreude. Der amerikanische Arzt und Soziologe Nicholas Christakis ruft in seinem Buch „Apollo‘s Arrow“ gar die „Roaring Twenties“, die Goldenen Zwanziger, aus: Nach der Pandemie beginne eine Zeit des Konsums, der „Zügellosigkeit und Lebensfreude“, schreibt er und zieht Parallelen zur Zeit nach der Spanischen Grippe vor 100 Jahren. „Es hat sich ein enormer Nachholbedarf entwickelt nach so einer langen Zeit, in der Leute nicht ihr Geld ausgeben und Unternehmen nicht investieren konnten. Wenn dank der Impfungen die Bedrohung signifikant sinkt, wird die Wirtschaft rasch an Fahrt gewinnen“, ist Martin Bergsmann, CEO von Hueck Folien in Baumgartenberg, überzeugt. Das auf Hightech-Folien spezialisierte Unternehmen merkt den Aufschwung vor allem in den Auftragseingängen beim Etikettengeschäft oder im Möbelbereich.
Comeback der Gewinne
Entscheidend für Österreich ist die Entwicklung in Deutschland, der mit Abstand wichtigste Handelspartner. An der Börse in Frankfurt durchbrach der DAX erstmals die Schallmauer von 15.000 Punkten – Anleger reiben sich die Augen. Die 30 größten börsennotierten Konzerne erleben gerade ein Comeback der Gewinne, trotz Pandemie könnte 2021 für viele ein Rekordjahr werden. Ganz vorne dabei: Continental, Deutsche Post, Siemens, Volkswagen, Infineon oder BASF.
Auch der ATX, der wichtigste österreichische Aktienindex, verzeichnet Kursgewinne auf breiter Front. Positiv gestimmt ist auch der börsennotierte Aluminiumhersteller AMAG. „Wir stehen heute genauso gut da wie vor der Pandemie“, bestätigt Gerald Mayer, CEO der AMAG. Für heuer plant der Konzern, zusätzlich 100 Leute einzustellen. Der Leitbetrieb aus Ranshofen setzt auf Innovationen und neue Geschäftsfelder. So werden im Bereich E-Mobilität Aluminiumteile aus Ranshofen für Batteriekühlsysteme verwendet. „Das hat viel Zukunftspotenzial“, ist Mayer überzeugt. Wie rasch sich die Industrie erholt hat, zeigt auch das Beispiel des Maschinenbauers Engel in Schwertberg. CEO Stefan Engleder erwartet für das am 1. April begonnene Geschäftsjahr ein Umsatzwachstum von 20 Prozent. In den vergangenen drei Berichtsjahren ist der Umsatz von 1,6 auf 1,1 Milliarden Euro gesunken. Auch Engel profitiert vom kommenden Elektroboom und von dem steigenden Anteil von Kunststoffen bei E-Autos. Das Konjunkturbarometer der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ) – eine Umfrage unter 102 Unternehmen mit 118.000 Mitarbeitern – zeigt seit dem vierten Quartal 2020 steil nach oben. „Wir sind etwa auf dem Niveau von Mitte 2019, als nach einer zweijährigen Hochkonjunkturphase der Absturz einsetzte – jetzt erleben wir wieder eine Erholung“, sagt Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der IV OÖ.
Investitionen in die Zukunft
Dass die Unternehmen optimistisch in die Zukunft blicken, zeigen nicht zuletzt einige Großinvestitionen in den Standort Oberösterreich: Das Mühlviertler Unternehmen Strasser Steine investiert 23 Millionen Euro in den Ausbau seiner Produktionskapazität in St. Martin im Mühlkreis (siehe auch Unternehmensporträt Strasser Steine). Über gleich zwei große Investitionen kann sich der Standort Leonding freuen: Um 40 Millionen Euro will Poloplast seinen Standort ausbauen und der Automatisierungsspezialist Keba errichtet ab 2023 am Technologiering in Leonding und Pasching einen neuen Standort mit 600 neuen Arbeitsplätzen. Viel Geld nimmt auch der Naturholmöbelhersteller Team 7 in die Hand: Mitte April kündigten Georg Emprechtinger und Geschäftsführer Hermann Pretzl die bisher größte Investition der Firmengeschichte an.
Bis 2024 werden 35 Millionen Euro in eine hochmoderne Werkshalle, eine Holz-Heizzentrale und die umfassende Digitalisierung des Unternehmens investiert. Obwohl das Werk im ersten Lockdown im März 2020 für vier Wochen komplett geschlossen wurde, konnte Team 7 seinen Umsatz im Vorjahr um sieben Prozent auf 101 Millionen Euro steigern. Auch wenn aufgrund der geschlossenen Geschäfte die Auftragslage derzeit rückläufig ist, blickt man optimistisch in die Zukunft. "Wer sich weiterentwickeln möchte, muss etwas tun. Das war schon immer meine Maxime und mein Antrieb", so Georg Emprechtinger und ergänzt: „Zudem ist es uns ein Anliegen, die heimischen Arbeitsplätze unserer exzellenten Fachkräfte zu erhalten und auszubauen.“
Der Arbeitsmarkt als Paradoxie
Aber nicht alles läuft rund. Eine der vielen Paradoxien dieser Pandemie ist der Arbeitsmarkt. Die Corona-Krise hat einerseits zu den höchsten Arbeitslosenzahlen in der Zweiten Republik geführt. Andererseits fehlen manchen Branchen Fachkräfte. Derzeit sinkt zwar die Zahl der Menschen ohne Job vor allem in Oberösterreich: Die Arbeitslosenquote hatte im März mit 5,6 Prozent den niedrigsten Wert von allen Bundesländern. Der Plan, die Kurzarbeit bis 2022 zu verlängern, bleibt aufrecht. „Wir spüren in der Transportwirtschaft bereits wieder einen Fahrermangel. Das hat mich wirklich überrascht bei dieser hohen Arbeitslosigkeit“, sagt Johannes Hödlmayr vom internationalen Fahrzeuglogistiker Hödlmayr mit Sitz in Schwertberg.
Darüber wundert sich auch Haindl-Grutsch, der für ein modernes Arbeitsmarkt-Management plädiert: „Es muss viel schneller gelingen, umzuschulen, neu zu qualifizieren und die Qualität am Arbeitsmarkt zu erhöhen.“ Das Allerdümmste wäre es jetzt, die Arbeitszeit zu verkürzen. Das würde die Krise vertiefen und den Fachkräftemangel verschärfen. Warum? „Weil eine Verteilung von Arbeit in einer digitalen Wissensgesellschaft nicht mehr möglich ist. Es gibt diese 08/15-Fließbandjobs nicht mehr, wo man nach zehnminütiger Einschulung arbeiten kann. Wir brauchen kompetente Mitarbeiter“, sagt der IV OÖ-Geschäftsführer.
Supply-Chain wird zum Problem
Wenn die Pandemie ein Marathon mit noch ungewissem Ende ist, dann ist der Aufschwung ein Hindernislauf. Das gilt insbesondere für die Automobilindustrie. „Jeder ist einigermaßen gut durch die Krise 2020 gekommen und 2021 ist jeder über seinen Plänen. Wir haben alle konservativer geplant“, sagt Rudolf Mark, Sprecher des oberösterreichischen Automobil-Clusters. Aber er ist überzeugt, dass dieses Tempo der Autoindustrie nicht auf Dauer durchgehalten werden kann. Denn es gebe ein paar Störfaktoren. Der wichtigste: die fehlenden Elektronikbauteile. Steuer- und Speicherchips für Daten aller Art sind einer der wichtigsten Bausteine eines modernen Autos.
Es gibt eine Handvoll Chip-Produzenten in Asien, die ihr eigenes Spiel treiben und die ohnehin brisante Lage in den Lieferketten der Fahrzeugbauer verschärfen. Die globale Supply-Chain wird immer mehr zum Problem für die Hersteller, die mit tageweisen Produktionsstopps in den Autofabriken reagieren. Zu spüren bekommt das der global tätige Fahrzeuglogistiker Hödlmayr mit Sitz in Schwertberg. Der europäische Automarkt verzeichnete 2020 ein Minus von 24 Prozent. „Wir haben alle damit gerechnet, dass der Markt mit acht bis zehn Prozent plus anziehen wird, doch Jänner und Februar wiesen immer noch ein Minus von 19 Prozent auf“, sagt Hödlmayr. Resümee: Es gibt keine Planungssicherheit, gearbeitet wird von einem Tag auf den anderen.
Patient Europa
Rudolf Mark kennt die Konjunkturtreiber für die heimischen Industriebranchen: Es sind vor allem Asien und Amerika. Das Familienunternehmen aus Spital am Pyhrn, weltweit führend in der Metallumformtechnik, baut in China gerade eine Fertigung auf. „In China geben sie Vollgas und sind bereits wieder vor dem Krisenniveau“, sagt der Unternehmer. Weite Teile der Welt boomen sich aus der Krise – nur Europa kommt kaum vom Fleck. Die aktuellen Zahlen der OECD prognostizieren ein Wachstum von 6,5 Prozent für die USA, für China 7,8 Prozent und für Indien 12,6 Prozent. Europa hat seine Wachstumsprognosen nur minimal nach oben korrigiert. Asien und China wachsen seit dem Sommer des Vorjahres wieder. In den USA lässt Präsident Joe Biden zusätzlich zu seinem gewaltigen Corona-Hilfspaket ein Multi-Billionen-Programm für eine klimafreundlichere US-Wirtschaft erarbeiten. „Europa ist der Schwachpunkt der Weltwirtschaft“, sagt der Ökonom Marcel Fratzscher. Gegen den 1,9 Billionen schweren „Stimulus“ wirken Europas Pläne „wie Kleingeld“, schreibt der „Economist“. Europa muss nach der Pandemie seine Hausaufgaben machen, um nicht noch mehr Marktanteile an Asien zu verlieren.