Kinderschutzstimme Christian Netzer
Weekend: Was ist Ihr Schwerpunkt?
Christian Netzer: Die Stärkung der Kinderrechte und die Sensibilisierung für psychische Gewalt. Die Implementierung von Kinderschutzkonzepten in allen Einrichtungen des Bildungs-, Betreuungs- und Vereinsbereiches ist dringend geboten. Massiv ansteigend ist mittlerweile auch das Thema
LGBTIQ+ oder der Bereich Fluchtwaisen sowie der Cybermissbrauch.
Weekend: Was hat es mit den neuen Kinderschutzkonzepten auf sich?
Christian Netzer: Diese sind in der Elementarpädagogik ab 2024 verpflichtend und in anderen Bereichen dringend empfohlen. Schulen, Sport- und Musikvereine arbeiten – angesichts vergangener Missbrauchsfälle - ebenfalls daran. Politik und Dachverbände sollen unterstützen, damit künftig Gefahren durch Gefährdungsanalysen minimiert, Vieraugenprinzip und klare Meldeverfahren eingeführt werden. Kinder werden aktiv einbezogen, um Risikobereiche zu identifizieren und das Wohlbefinden zu erhöhen.
Weekend: Was lässt Ihre Aufgaben so anwachsen?
Christian Netzer: Die hohe bis vollständige Auslastung im stationären Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Lehrermangel im Bildungssektor, die gestiegenen Lebenshaltungskosten und starke finanzielle Belastung der Familien sowie Zukunftsängste, Nachwehen der Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und der Klimawandel haben die psychische Belastung junger Menschen intensiviert. Die Rasanz unserer Zeit und die Unberechenbarkeit künftiger Entwicklungen wirken ebenfalls.
Weekend: Welche Hebel werden benötigt?
Christian Netzer: Es muss das Bewusstsein geschaffen werden, dass dies nicht nur politische Themen sind. Psychische Probleme müssen in unserer Gesellschaft ernster genommen werden. Man darf diese nicht wegwischen und den Jungen sagen „Was wisst ihr denn von Stress, was wisst ihr denn vom Leben?“ Ein gebrochener Fuß ist eventuell cool, aber eine psychische Erkrankung wird – im Umfeld und sogar in der eigenen Familie – vielfach nicht ernst genommen. Damit ist niemanden geholfen – ich plädiere dafür, individuelle Ängste ernstzunehmen.
Weekend: Was kann die KiJa hier leisten?
Christian Netzer: Wir in der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KiJa) versuchen ständig darauf aufmerksam zu machen: Der Fokus sollte auf präventiven, niederschwelligen Ansätzen liegen, insbesondere im psychologischen/psychiatrischen Bereich. Die ständige Auslastung im stationären Sektor zeigt die Notwendigkeit, mehr Angebote in Prävention und im ambulanten Bereich zu schaffen. Die Schule wird für Kinder immer mehr zum Lebensraum und muss immer mehr Probleme abfangen. Die Bereitstellung ausreichender Ressourcen ist entscheidend, um diese Themen adäquat anzugehen.
Weekend: Sie nennen einen weiteren Faktor?
Christian Netzer: Die Unvorstellbarkeit ist ein großes Hemmnis im Kinderschutz. Viele können sich in ihrem geregelten Alltag gar nicht vorstellen, was Kindern und Jugendlichen widerfährt. Wer hätte sich früher vorstellen können, dass es einen Fall Fritzl oder einen Fall Kampusch gibt? Psychische Gewalt ist zudem für Profis oft sehr schwer fassbar. Man merkt diese vielfach erst, wenn Auswirkungen sicht- oder spürbar werden.
Zur Person: MAG: CHRISTIAN NETZER
Kinder- und Jugendanwalt
- geb. und wohnhaft in Schruns
- verheiratet, 2 Kinder
- Werdegang: Lehre als Maler und Anstreicher im elterlichen Betrieb, Gendarmerieschule, Polizeidienst bis 2011, Strafabteilung der BH bis 2016, nebenberuflich Matura, Jus-Studium, Kinder- und Jugendhilfelehrgang sowie Masterstudium in General Management, seit Mai 2022 Kinder- und Jugendanwalt
- Hobbies: Laufen, Berglaufen, Camping