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AK Salzburg-Direktorin Cornelia Schmidjell | Credit: AK/wildbild
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„Kurzarbeit ist eine Notwendigkeit, damit Österreich nicht abstürzt.“

14.09.2020 um 09:37, Simone Reitmeier
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Mit Cornelia Schmidjell steht erstmals eine Frau an der Spitze der Arbeiterkammer (AK) Salzburg-Direktion. Warum „Chefinnen“ immer noch Seltenheitswert haben und was Arbeitnehmer in der Corona-Krise brauchen, erläutert sie im Gespräch.

weekend.at: Frau Schmidjell, Sie haben als erste Frau den Direktorenposten der Arbeiterkammer Salzburg übernommen – empfinden Sie das als Ehre und was soll man in zehn Jahren über Sie in dieser Funktion sagen?

Schmidjell: Die Herausforderungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind aktuell groß, daher habe ich durchaus Respekt vor dieser Aufgabe. Nicht als Frau, sondern generell empfinde ich es als eine Ehre, in die Direktion der AK bestellt zu werden. Zehn Jahre sind ein weiter Horizont! Die Kammer soll nicht nur ein „Thinktank“ sein, sondern Notwendigkeiten für Beschäftigte der Zukunft erkennen sowie Lösungen im Bereich der Dienstleistung und im politischen Geschäft bieten. Von mir soll man sagen können, dass ich gemeinsam mit dem Präsidenten und meinem Team die Kammer ein Stück weit in diese Richtung weiterentwickelt habe.

weekend.at: Können Sie sich erklären, warum Frauen hierzulande in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert sind? Island oder Finnland haben dieses Problem nicht. Was ist dort anders?

Schmidjell: In der Privatwirtschaft rücken Frauen zwar in die Aufsichtsräte nach, aber was Vorstände und börsennotierte Unternehmen angeht, wissen wir, dass Frauen selten an der Spitze sind. Das liegt an den Rahmenbedingungen und wäre politisch gestaltbar – echte Gleichstellungspolitik wirkt! Dabei haben nordische Länder mehr getan als andere und haben deshalb die Nase vorne. Das Kinderbetreuungsgeld sollte so gestaltet werden, dass Männer länger in Karenz gehen. Auch braucht es Anreize und Maßnahmen, damit die Berufswahl nicht mehr so geschlechterspezifisch abläuft. In Corona-Zeiten sind besonders Frauen von Arbeitslosigkeit betroffen und Umschulungen sind nötig. Man könnte gerade jetzt in MINT-Berufen verstärkt Perspektiven bieten. Wir brauchen aber auch Quotenregelungen, Frauenförderprogramme und Angebote, die garantieren, dass Förderungen für Unternehmen an echte Gleichstellungsmaßnahmen gebunden werden.

Natürlich ist es auch mitentscheidend, ob wir ein konservatives Bild von Geschlechterverhältnissen und Familie aufrechterhalten. Es ist an der Zeit, gleichberechtigt zu denken. Das scheint schwer zu fallen. Wenn ich mir aber junge Eltern ansehe, erkenne ich schon, dass bei einem Teil das Bedürfnis da ist, sich partnerschaftlich zu organisieren. Dem müsste man mit Rahmenbedingungen viel mehr Nachdruck verleihen.

Es ist an der Zeit, gleichberechtigt zu denken. Das scheint schwer zu fallen.

weekend.at: Dazu kommt, dass Frauen das Gros der unbezahlten Arbeit verrichten. Warum bleibt dies meist an ihnen hängen?

Schmidjell: Würde man einen großen Teil der unbezahlten Arbeit gesellschaftlich anders organisieren, könnte der Druck auf Frauen und Familien entschärft werden. Damit meine ich zum Beispiel Kinderbetreuungsmöglichkeiten mit Öffnungszeiten, die mit der Vollerwerbstätigkeit zusammenpassen oder mehr mobile Unterstützung und Tageszentren im Bereich Pflege. Das ist die gesellschaftspolitische Seite, entscheidend ist aber auch, dass Frauen tendenziell in schlechter bezahlten Berufen tätig sind. Wird in einer Familie ökonomisch abgewogen, wer die Arbeitszeit für Verpflichtungen zu Hause reduziert, fällt das Los meist auf die Frauen – daher braucht es bessere Entlohnung!  Die individuelle Ebene gehört natürlich auch dazu. Entscheidend ist aber, ob die Gesellschaft Angebote schafft oder nicht.

weekend.at: Inwieweit unterscheidet sich die Privatperson Cornelia Schmidjell zur Führungspersönlichkeit?

Schmidjell: Ich glaube, das ist eine Einheit mit verschiedenen Aufgaben und Facetten. Ich sehe mich selbst als ambitioniert, kreativ und neugierig. Ich lebe extrovertiert, gestalte gerne und richte meinen Blick in die Zukunft – das gilt sowohl für mein Berufs- als auch mein Privatleben.

Cornelia Schmidjell | Credit: AK/wildbild
"Ich wollte gerne Schriftstellerin werden und immer etwas tun, was der Gerechtigkeit in der Welt zum Durchbruch verhilft."

weekend.at: Haben Sie sich schon als Kind in einer führenden Aufgabe gesehen?

Schmidjell: Ich wollte gerne Schriftstellerin werden und immer etwas tun, was der Gerechtigkeit in der Welt zum Durchbruch verhilft. Schlussendlich wählte ich das Jus-Studium. In punkto Gerechtigkeit keine schlecht Wahl.

weekend.at: Apropos Gerechtigkeit. In Zeiten von Corona ist meist die Rede davon, wie man Unternehmern wieder auf die Beine helfen kann. Was brauchen aber die Arbeitnehmer, um diese Krise zu bewältigen?

Schmidjell: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in vielfältiger Weise dazu beigetragen, dass wir jetzt so gut durch die Krise kommen – allen voran jene in den systemerhaltenden Berufen. Hier braucht es mehr Geld statt schöner Worte. Arbeitslose und jene, die es womöglich noch werden, sollen mit Umschulungen und Ausbildungen unterstützt werden, damit sie gute Chancen in Zukunftsberufen haben. Entscheidend ist auch, wie gut die Leistungen der Arbeitslosenversicherung sind. Zu den hohen Mietkosten: Für Geschäftsflächen von Unternehmern gibt es Mietreduktionsmöglichkeiten, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Mietwohnungen nicht.

weekend.at: Können Sie der Corona-Krise auch etwas Positives abgewinnen?

Schmidjell: Als Institution haben wir gesehen, dass wir auch unter diesen Bedingungen sehr schnell eine Stütze sein können. Im Nu haben wir unsere Beratungsdienste auf Online- und Telefonangebote umgestellt und konnten rasch bedarfsgerechte Leistungen anbieten. Digitalisierung kann auch zum Nutzen der Menschen eingesetzt werden. Das Zweite ist die deutliche Erkenntnis, dass Österreich bis jetzt relativ gut durch die Krise kam, weil wir ein hochqualitatives Sozial- und Gesundheitssystem sowie die Sozialpartnerschaft haben, die das Kurzarbeitsmodell auf den Weg brachte. Das ist ein stabiles Gefüge der Gesellschaft, das lösungsorientiert für die breite Masse Auffangnetze stricken kann. Es war schön zu sehen, dass alle an einem Strang gezogen und Menschen begonnen haben, sich für andere einzusetzen.

weekend.at: Mit 1. Oktober startet die dritte Kurzarbeitsphase – was halten Sie von diesem Modell?

Schmidjell: Damit halten wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Beschäftigungsverhältnissen und sichern die Betriebe ab. Dieses Instrument garantiert Einkommen und hält damit Nachfrage und Konsum der Menschen aufrecht. Das wiederum stärkt die heimische Wirtschaft. Die Kurzarbeit ist eine Notwendigkeit, damit Österreich nicht abstürzt und zweifelslos ein wichtiger Ansatzpunkt, um dieser Krise zu begegnen.

Die Kurzarbeit ist eine Notwendigkeit, damit Österreich nicht abstürzt und zweifelslos ein wichtiger Ansatzpunkt, um dieser Krise zu begegnen.

weekend.at: Glauben Sie, dass auf Salzburgs Arbeitnehmer eine Kündigungswelle zurollt?

Schmidjell: Es gibt bereits Betriebe, die jetzt schon Kündigungen aussprechen müssen. Ich befürchte und rechne damit, dass es noch mehr werden. Natürlich können Kurzarbeit und Folgemodelle einiges abfedern, aber dort wo die Exportorientierung groß ist, wird es schwierig, weil man von europäischen und globalen Bedingungen abhängig ist. Es gibt viele Stellschrauben, die gedreht werden müssen, damit die Wirtschaft sich wieder erholen kann.

weekend.at: Sie haben sich erst kürzlich wieder für eine Erhöhung der Sozialleistungen und des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des Nettobezugs ausgesprochen. Wie realistisch ist die Umsetzung?

Schmidjell: Schön, dass Sie mich das fragen, denn das fordern wir schon seit Jahren, da die Leistungen der österreichischen Arbeitslosenversicherung im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich sind. Der Einkommensabfall auf 55 Prozent des Nettoeinkommens hat viele negative Folgen. Einerseits ist die Existenzsicherung damit schwierig und andererseits sind Menschen, die nicht gleich wieder ins Arbeitsverhältnis kommen, tendenziell dazu gezwungen, schlechtere Jobs anzunehmen als es ihren Qualifikationen entspricht. Allein diese zwei Faktoren haben uns schon immer dazu bewogen aufzuzeigen, dass es hier einen Aufstockungsbedarf gibt. In der Corona-Krise sieht man das natürlich noch deutlicher. Als unrealistisch würde ich die Umsetzung nicht sehen, es ist eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse und wie weit die Interessen der Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer vertreten sind. In der aktuellen Regierung haben es die Grünen sogar einmal gefordert, inzwischen ist es kein Thema mehr. Wir werden das aber ständig auf die Agenda setzen.

 

Zur Person: Cornelia Schmidjell (*1964) ist seit Juli Direktorin der Arbeiterkammer Salzburg. Die gebürtige Oberösterreicherin studierte Jus und war von 2011 bis 2012 Sozial- und Gesundheitslandesrätin in Salzburg.

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